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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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sagte sein Magen zu dem politischen Fastnachtsstreiche Amen. Die Schiffer,
die uns von Capri nach Sorrent ruderten, ermunterten einander durch den
Zuruf Maccaro! Maccaro! und dieser spornende Ruf beschleunigte manches
Ruder im Golf Neapels. Wenn nicht das Wort Maccaroni gebräuchlich und
daS "Fidelin" (Nudeln) ungebräuchlich wäre, so hätte man wenig Mühe den
Refrain des bekannten Liedes "0 pssogtor nött'onäa, ?lacum l" zu verstehen. In
unserer Verdeutschung: "Mein Schiff treibt auf den Wellen -- Fidelin oder
gar Fridolin!" läßt sich der Sinn nicht errathen.

Dadurch nun, daß sich die Devise fast aller neapolitanischen Bittsteller
auf ein leckres Essen bezieht, gewinnt dies Betteltreiben eine komische Seile
und hilft über die Kehrseite glücklich fort, die sonst so leicht die Harmonie südlichen
Lebens stören würde. Unter grüngeschmücklen Zelten broddeln die Kessel,, cor-
pulente Köche mit weißen Schürzen und Mützen stehen rührend, aber durch die
gierigen Blicke der Zuschauenden nicht gerührt, vor dem prasselnden Feuer;
Alt und Jung, wer nur einen Gran auf die Zahlbank legen kann, läßt sich
die gelbweißen Schlangen zutheilen, um sie langen Zugs, die Hand hoch über
dem offnen Munde, in den Schlund herabgleiten zu lassen; -- welche Für¬
sprecher beredter Art, um die Vorschläge eines Betteljungen mit halbem Hemde
und noch weit halberer Hose zu unterstützen, der da mit Hand und Mund
unermüdlich in der Richtung nach dem paradiesischen Kessel und dem schmun¬
zelnden Koche hinüberdeutet!

Um kein anderes Nationalessen wird gebettelt, so viel eS deren auch
gibt. Gefrornes speist jeder gern, und gezuckerter Schnee mit etwas Citronen¬
saft ist ein Volksliebling, der bei keinem Feste fehlen darf. Aber gebettelt
wird nicht seinetwegen. Ebensowenig um jene kühlenden Wassermelonen mit
rothem Fleisch, von denen ein neapolitanisches Sprichwort sagt: 81 mgnxea, 8l
deve, si lava ig, tÄeoia, d. h. sie dienen zum Essen, zum Trinken und -- zum
Waschen des Gesichts.

Im Römischen hört man seltener Bettelgesuche dieser Art. "Date ano es!"
oder einfach >,8iKno', ode es!" d? h. iiualekc; cosa,. Dieser Ausruf ist neben
dem Hungerrufe "ne> käme, per ig, msärv all Dio!" die gewöhnlichste Phrase.
In Terracina und Cisterna bettelt so ziemlich jedes Kind, häufig im Ange¬
sicht ganz wohlgekleideter Eltern, die grüßend vor ihrer Thüre sitzen. In die
neue Kirche von Terracina folgte uns bei unserm ersten Verweilen in dieser Stadt
ein Haufe von etwa dreißig Kindern und erwachsenen Mädchen, die mit ihrem
alle ec> lachend und lärmend unsere Gesellschaft umdrängten, und zwar so, daß
sich der Baumeister gezwungen sah, seine Arbeiter zur Räumung der Kirche
herbeizurufen. Bei aller Heiterkeit, die solcher Scene in Italien eigen ist,
ereignet sichs doch nicht selten, daß sich die Hand eines angehenden Rinaldini
bei Gelegenheiten dieser Art in eure Tasche verirrt und Dinge entführt, die ihr


sagte sein Magen zu dem politischen Fastnachtsstreiche Amen. Die Schiffer,
die uns von Capri nach Sorrent ruderten, ermunterten einander durch den
Zuruf Maccaro! Maccaro! und dieser spornende Ruf beschleunigte manches
Ruder im Golf Neapels. Wenn nicht das Wort Maccaroni gebräuchlich und
daS „Fidelin" (Nudeln) ungebräuchlich wäre, so hätte man wenig Mühe den
Refrain des bekannten Liedes »0 pssogtor nött'onäa, ?lacum l" zu verstehen. In
unserer Verdeutschung: „Mein Schiff treibt auf den Wellen — Fidelin oder
gar Fridolin!" läßt sich der Sinn nicht errathen.

Dadurch nun, daß sich die Devise fast aller neapolitanischen Bittsteller
auf ein leckres Essen bezieht, gewinnt dies Betteltreiben eine komische Seile
und hilft über die Kehrseite glücklich fort, die sonst so leicht die Harmonie südlichen
Lebens stören würde. Unter grüngeschmücklen Zelten broddeln die Kessel,, cor-
pulente Köche mit weißen Schürzen und Mützen stehen rührend, aber durch die
gierigen Blicke der Zuschauenden nicht gerührt, vor dem prasselnden Feuer;
Alt und Jung, wer nur einen Gran auf die Zahlbank legen kann, läßt sich
die gelbweißen Schlangen zutheilen, um sie langen Zugs, die Hand hoch über
dem offnen Munde, in den Schlund herabgleiten zu lassen; — welche Für¬
sprecher beredter Art, um die Vorschläge eines Betteljungen mit halbem Hemde
und noch weit halberer Hose zu unterstützen, der da mit Hand und Mund
unermüdlich in der Richtung nach dem paradiesischen Kessel und dem schmun¬
zelnden Koche hinüberdeutet!

Um kein anderes Nationalessen wird gebettelt, so viel eS deren auch
gibt. Gefrornes speist jeder gern, und gezuckerter Schnee mit etwas Citronen¬
saft ist ein Volksliebling, der bei keinem Feste fehlen darf. Aber gebettelt
wird nicht seinetwegen. Ebensowenig um jene kühlenden Wassermelonen mit
rothem Fleisch, von denen ein neapolitanisches Sprichwort sagt: 81 mgnxea, 8l
deve, si lava ig, tÄeoia, d. h. sie dienen zum Essen, zum Trinken und — zum
Waschen des Gesichts.

Im Römischen hört man seltener Bettelgesuche dieser Art. „Date ano es!"
oder einfach >,8iKno', ode es!" d? h. iiualekc; cosa,. Dieser Ausruf ist neben
dem Hungerrufe „ne> käme, per ig, msärv all Dio!" die gewöhnlichste Phrase.
In Terracina und Cisterna bettelt so ziemlich jedes Kind, häufig im Ange¬
sicht ganz wohlgekleideter Eltern, die grüßend vor ihrer Thüre sitzen. In die
neue Kirche von Terracina folgte uns bei unserm ersten Verweilen in dieser Stadt
ein Haufe von etwa dreißig Kindern und erwachsenen Mädchen, die mit ihrem
alle ec> lachend und lärmend unsere Gesellschaft umdrängten, und zwar so, daß
sich der Baumeister gezwungen sah, seine Arbeiter zur Räumung der Kirche
herbeizurufen. Bei aller Heiterkeit, die solcher Scene in Italien eigen ist,
ereignet sichs doch nicht selten, daß sich die Hand eines angehenden Rinaldini
bei Gelegenheiten dieser Art in eure Tasche verirrt und Dinge entführt, die ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/76>, abgerufen am 01.09.2024.