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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Gitter schließt sie ein; aber man hört sie doch, und bei der Dürftigkeit
der römischen Kirchenmusik und der Abwesenheit fast aller andern Musik nach
beendigter Saison, drängt sich die Fremdenwelt in Menge zu diesem durch das
Geheimniß reizenden Genuß. Da zieht es denn in Scharen an Pepe vorbei
und gefällig berichtet er seinen Freunden, ob die Kirche schon voll, ob der
Gesang schon begann^ .ob noch Zeit ist, die hohe Kirchentreppe im gemächlichen
Schritte zu ersteigen, ob schon diese oder jener drinnen ist. Ja, mit dem
"diese oder jener" verdient so mancher Bettelmann und mehr noch so manches
Bettelweib im alten Rom seinen Unterhalt! Wer kanns auch Pepe, dem Schutz-
empfohlnen des heiligen Giuseppe verargen, wenn er hin und wieder den ge¬
fälligen Wegweiser macht, der auf der nahen Passegiata die Spur der schö¬
nen Südländerin dem Suchenden verräth, widersteht er doch der Versuchung,
sich gleich so vielen seiner Genossen zum lebendigen Briefkasten zu machen, duf¬
tige Botschaften für andere aufzuheben und lächelnd den verschwiegenen Ver¬
mittler zwischen "dieser und jenem" zu machen -- wer weiß freilich warum
er widersteht, -- vielleicht nur, weil sein Thron zu vielen Augen sicht¬
bar ist.

Pepe würde in Neapel weniger Glück machen und zwar weil die fröhlichen
Bettler dort recht eigentlich zu Hause sind. Sobald man sich an dem Fenster
eines der Hotels am Strande von Se. Lucia zeigt, grüßen nur halbbekleidete
Betteljungen herauf und geben durch die drolligste Fingersprache zu verstehen,
daß dampfende Maccaroni zu einem nicht verächtlichen Theile neapolitanischer
Genüsse zählen. Die nämliche Geberde verfolgt den Zahlungsfähigen auf der
Straße, aber nicht hungerleidend mit dem kläglichen Ko käme wie zu Rom, sondern
neckend und so ausgelassen wie möglich, zumal wenn die bettelnden Possen¬
reißer noch Kinder sind. Wie Kletten hängen diese kleinen Maccaroniliebhaber
an des Fremden Fersen. Sie wissen sich bei aller Zudringlichkeit doch fern
genug zu halten, um das Weite zu suchen, wenn deS Fremden gute Laune
nach langer Ausbeutung endlich in nordische Grobheit umzuschlagen droht. In
ihrer Rolle bleiben sie aber auch noch dann^ und wenn sie aus der Ferne,
häufig nach durchaus erfolglosen Zeitverluste, ^alio rufen und immer wieder
im Erzschelmentone, ^.alio, a reveclervi ^alio! ^cUo! da gesteht sich der mür¬
rische Fremde nicht selten, daß er selbst von diesen Schelmen sich noch liebens¬
würdige Seiten aneignen könnte.

Die nämliche Begehrlichkeit nach Maccaroni findet man unter den Schiffern,
unter den Lastträgern, eigentlich unter allen Gesellschaftsschichten beider Sici-
lien verbreitet. Wenn der verstorbene König sich ein Gericht mit Maccaroni
in seine Se. Carlologe bringen ließ und es bei dem Klänge einer rossinischen
Cavatine zum großen Entzücken och übrigen Publicums verspeiste, so lag wol
ein populärer Köder auf dem Boden der Schüssel, aber ohne allen Zweifel


9*

Gitter schließt sie ein; aber man hört sie doch, und bei der Dürftigkeit
der römischen Kirchenmusik und der Abwesenheit fast aller andern Musik nach
beendigter Saison, drängt sich die Fremdenwelt in Menge zu diesem durch das
Geheimniß reizenden Genuß. Da zieht es denn in Scharen an Pepe vorbei
und gefällig berichtet er seinen Freunden, ob die Kirche schon voll, ob der
Gesang schon begann^ .ob noch Zeit ist, die hohe Kirchentreppe im gemächlichen
Schritte zu ersteigen, ob schon diese oder jener drinnen ist. Ja, mit dem
„diese oder jener" verdient so mancher Bettelmann und mehr noch so manches
Bettelweib im alten Rom seinen Unterhalt! Wer kanns auch Pepe, dem Schutz-
empfohlnen des heiligen Giuseppe verargen, wenn er hin und wieder den ge¬
fälligen Wegweiser macht, der auf der nahen Passegiata die Spur der schö¬
nen Südländerin dem Suchenden verräth, widersteht er doch der Versuchung,
sich gleich so vielen seiner Genossen zum lebendigen Briefkasten zu machen, duf¬
tige Botschaften für andere aufzuheben und lächelnd den verschwiegenen Ver¬
mittler zwischen „dieser und jenem" zu machen — wer weiß freilich warum
er widersteht, — vielleicht nur, weil sein Thron zu vielen Augen sicht¬
bar ist.

Pepe würde in Neapel weniger Glück machen und zwar weil die fröhlichen
Bettler dort recht eigentlich zu Hause sind. Sobald man sich an dem Fenster
eines der Hotels am Strande von Se. Lucia zeigt, grüßen nur halbbekleidete
Betteljungen herauf und geben durch die drolligste Fingersprache zu verstehen,
daß dampfende Maccaroni zu einem nicht verächtlichen Theile neapolitanischer
Genüsse zählen. Die nämliche Geberde verfolgt den Zahlungsfähigen auf der
Straße, aber nicht hungerleidend mit dem kläglichen Ko käme wie zu Rom, sondern
neckend und so ausgelassen wie möglich, zumal wenn die bettelnden Possen¬
reißer noch Kinder sind. Wie Kletten hängen diese kleinen Maccaroniliebhaber
an des Fremden Fersen. Sie wissen sich bei aller Zudringlichkeit doch fern
genug zu halten, um das Weite zu suchen, wenn deS Fremden gute Laune
nach langer Ausbeutung endlich in nordische Grobheit umzuschlagen droht. In
ihrer Rolle bleiben sie aber auch noch dann^ und wenn sie aus der Ferne,
häufig nach durchaus erfolglosen Zeitverluste, ^alio rufen und immer wieder
im Erzschelmentone, ^.alio, a reveclervi ^alio! ^cUo! da gesteht sich der mür¬
rische Fremde nicht selten, daß er selbst von diesen Schelmen sich noch liebens¬
würdige Seiten aneignen könnte.

Die nämliche Begehrlichkeit nach Maccaroni findet man unter den Schiffern,
unter den Lastträgern, eigentlich unter allen Gesellschaftsschichten beider Sici-
lien verbreitet. Wenn der verstorbene König sich ein Gericht mit Maccaroni
in seine Se. Carlologe bringen ließ und es bei dem Klänge einer rossinischen
Cavatine zum großen Entzücken och übrigen Publicums verspeiste, so lag wol
ein populärer Köder auf dem Boden der Schüssel, aber ohne allen Zweifel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/75>, abgerufen am 01.09.2024.