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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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derem aber die Ausführung zweckdienlicher Maßregeln." -- Es kreuzen sich in
dieser Bemerkung zwei verschiedenartige Wünsche: daS östreichische Kaiserthum
und die Vergrößerung der Mittelstaatcn. Wir fassen zunächst nur den letztern
inS Auge, wobei wir natürlich noch daran erinnern, daß es sich bei der Kritik
eines Buchs, welches den Titel "Träumereien" führt, auch nur um Wünsche
und Träumereien handeln kann.

Gegen die Existenz der kleinen Staaten kann man vom Standpunkt der
innern Politik sehr viel einwenden, denn sie verringern die productive Kraft
des Volks. Dagegen ist ihr Einfluß auf die große Politik niemals schädlich,
oft vortheilhaft gewesen. Den Fürsten, deren Ländergebiet einen Umfang
wie Waldeck umfaßt, kann es nicht einfallen, eine Souveränetät in dem
Sinn zu beanspruchen, wie Oestreich oder Preußen. Die Mittelstaaten
dagegen werden durch ihre Natur dazu gedrängt, und sie würden ihre Un¬
abhängigkeit Oestreich und Preußen gegenüber in noch viel höherem Grade
behauptet haben, wenn man sie 1815 vergrößert hätte. Manchen Politikern,
den reinen Bambergern, wäre das ganz gelegen; aber Herr Pz. wünscht ja
die Einigung zwischen Oestreich und Preußen und die gemeinschaftliche Aus¬
übung der Hegemonie. Nun wird aber durch nichts der Dualismus dieser
beiden Staaten so gefördert, als durch die Eristenz unabhängiger Mittelstaaten,
die zwischen ihnen balanciren; und sollte einmal der Fall eintreten, daß Oest¬
reich und Preußen über eine Sache einig wären, die Mittelstaatcn nicht, so
würde sich aus Bamberg leicht noch etwas Weiteres entwickeln, etwa eine Er¬
neuerung von Staaten von dem Umfang und der Lage Hannovers sind
ganz dazu angethan, eine selbstständige Politik zu verfolgen. Seite ü sagt
der Verfasser selbst: "Nach der Auflösung des deutschen Reichs hatte Napoleon
unter den deutschen Fürsten zweiten und dritten Ranges, die er zum Theil zu
Königen und Großherzogen erhob, sich allerdings manchen Freund erworben,
der in ihm einen besseren Verbündeten und Schutzherrn erkennen mochte, als
die Beherrscher Oestreichs und Preußens zu mancher Zeit gewesen waren."
Weiterhin spricht er einen sehr scharfen Tadel gegen Preußen aus, daß es
den Freiheitskrieg mit Drohungen gegen die Rheinbnndfürsten eröffnete (S. 21).
"Diese Drohung verfehlte nicht nur ihre Wirkung, sondern mußte dieselben
auch mißtrauisch gegen die Absichten ihrer angeblichen Befreier machen." Auch
die weitere Deduction ist interessant genug. (S. 22). "Verblieb Oestreich im
Bunvv mit Frankreich, so würden auch die Rheinbundsfürsten ihre kräftige
Mitwirkung nicht versagt haben. Die Karte von Mitteleuropa wäre dann
ohne Zweifel eine ganz andere geworden, insofern man nämlich -- dem Bei¬
spiele Rußlands und Preußens folgend -- sich zu einem Jnteressenkriege
entschloß. Die Donaufürstemhümer, und vielleicht auch ein Stück von Polen,
würden Oestreich dann nicht entgangen sein." "Indeß Oestreich verzichtete


derem aber die Ausführung zweckdienlicher Maßregeln." — Es kreuzen sich in
dieser Bemerkung zwei verschiedenartige Wünsche: daS östreichische Kaiserthum
und die Vergrößerung der Mittelstaatcn. Wir fassen zunächst nur den letztern
inS Auge, wobei wir natürlich noch daran erinnern, daß es sich bei der Kritik
eines Buchs, welches den Titel „Träumereien" führt, auch nur um Wünsche
und Träumereien handeln kann.

Gegen die Existenz der kleinen Staaten kann man vom Standpunkt der
innern Politik sehr viel einwenden, denn sie verringern die productive Kraft
des Volks. Dagegen ist ihr Einfluß auf die große Politik niemals schädlich,
oft vortheilhaft gewesen. Den Fürsten, deren Ländergebiet einen Umfang
wie Waldeck umfaßt, kann es nicht einfallen, eine Souveränetät in dem
Sinn zu beanspruchen, wie Oestreich oder Preußen. Die Mittelstaaten
dagegen werden durch ihre Natur dazu gedrängt, und sie würden ihre Un¬
abhängigkeit Oestreich und Preußen gegenüber in noch viel höherem Grade
behauptet haben, wenn man sie 1815 vergrößert hätte. Manchen Politikern,
den reinen Bambergern, wäre das ganz gelegen; aber Herr Pz. wünscht ja
die Einigung zwischen Oestreich und Preußen und die gemeinschaftliche Aus¬
übung der Hegemonie. Nun wird aber durch nichts der Dualismus dieser
beiden Staaten so gefördert, als durch die Eristenz unabhängiger Mittelstaaten,
die zwischen ihnen balanciren; und sollte einmal der Fall eintreten, daß Oest¬
reich und Preußen über eine Sache einig wären, die Mittelstaatcn nicht, so
würde sich aus Bamberg leicht noch etwas Weiteres entwickeln, etwa eine Er¬
neuerung von Staaten von dem Umfang und der Lage Hannovers sind
ganz dazu angethan, eine selbstständige Politik zu verfolgen. Seite ü sagt
der Verfasser selbst: „Nach der Auflösung des deutschen Reichs hatte Napoleon
unter den deutschen Fürsten zweiten und dritten Ranges, die er zum Theil zu
Königen und Großherzogen erhob, sich allerdings manchen Freund erworben,
der in ihm einen besseren Verbündeten und Schutzherrn erkennen mochte, als
die Beherrscher Oestreichs und Preußens zu mancher Zeit gewesen waren."
Weiterhin spricht er einen sehr scharfen Tadel gegen Preußen aus, daß es
den Freiheitskrieg mit Drohungen gegen die Rheinbnndfürsten eröffnete (S. 21).
„Diese Drohung verfehlte nicht nur ihre Wirkung, sondern mußte dieselben
auch mißtrauisch gegen die Absichten ihrer angeblichen Befreier machen." Auch
die weitere Deduction ist interessant genug. (S. 22). „Verblieb Oestreich im
Bunvv mit Frankreich, so würden auch die Rheinbundsfürsten ihre kräftige
Mitwirkung nicht versagt haben. Die Karte von Mitteleuropa wäre dann
ohne Zweifel eine ganz andere geworden, insofern man nämlich — dem Bei¬
spiele Rußlands und Preußens folgend — sich zu einem Jnteressenkriege
entschloß. Die Donaufürstemhümer, und vielleicht auch ein Stück von Polen,
würden Oestreich dann nicht entgangen sein." „Indeß Oestreich verzichtete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/53>, abgerufen am 28.07.2024.