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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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demselben, daß einer seiner Bewohner seine mühselige Laufbahn vollendet.
Das Weib und die Töchter gehen auf dem rund um das Häuschen laufenden
Vorsprung umher, ringen die Hände, während der Wind mit dem aufgelösten
Haar spielt, und rufen in langsam "ertönender Modulationen die Worte, die jedem
Todten voll seinen Hinterbliebenen nachgerufen werden: "Wehe uns, Du hast
uns verlassen -- fremd sind wir auf Gottes Erde zurückgeblieben! Wohin bist
Du gegangen? Und warum sagst Du uns nicht, ob Du bist gekommen an einen
Ort der Freude oder an einen Ort des Schmerzes! Du hast uns verlassen
-- und wir wissen nichts von Dir -- wehe uns!

Allmälig finden sich noch andere Weiber aus dem Dorfe ein, um mit
einzustimmen in das Wehklagen der Leidtragenden. Jedes Mal, wenn ein
ein neuer Gast in den Hof tritt, beginnt die eintönige Todtenklage mit er¬
neuter Kraft und immer voller tönt das Chor der singenden Weiber-

Unterdeß ist jemand aus dem Trauerhause ins Dorf gegangen, um ein
paar Freunde des Verstorbenen, die mit Art und Hobel umzugehen wissen,
um die Anfertigung des Sarges zu bitten. Eine solche Bitte schlägt kein
Moldauer ab, so lange er eine Hand rühren kann. Die Aufgeforderten folgen
augenblicklich der Einladung.

In der Zwischenzeit sind der Melodie der Klagweiber andere Worte
untergeschoben worden: "Wehe uns!" singen sie, "jetzt müssen wir ihm ein
Wohnhaus bereiten, und wen finden wir, der ihm sein Wohnhaus bereiten
könnte? Siehe, da kommen die Zimmerleute! Seid gesegnet, lieben Leute!
Ihr bereitet unsrem Todten seine letzte Lagerstätte!" -- Die Zimmerleute
tragen Fragmente alter Breter und sonstiges halbwegs taugliches Material zu¬
sammen, und machen sich an die Arbeit.

Aber unir kann nicht immer klagen, die Natur macht ihre Rechte geltend,
es muß auch waS gegessen werden. Man tritt hinein, um eine Mamaliga
zu kochen; im Innern des Hauses schweigt der Gesang. Bisweilen wird der
Todesfall durchaus nicht für ein Unglück angesehen, wenn der Kranke vielleicht
lange gelitten und seinen Hausgenossen zur Last geworden. Der Bauer steht
überhaupt dem Tode mit viel Ruhe ins Gesicht, es ist also natürlich, daß
beim Frühstück auch dem Zweck der Versammlung fremde Gespräche geführt
werden. Tritt man aber hinaus, so beginnt der Gesang gleich wieder - be¬
sonders jetzt, wo der Sarg bald fertig ist. "Herbei, Brüder, herbei, Schwestern!"
rufen die Klageweiber immer mit denselben eigenthümlichen Modulationen,
"kommt und seht das Haus, in welchem unser alter Vater jetzt wohnen
wird!"

Mit entblößtem Haupt, wie eS die Sitte erheischt, geht inzwischen einer
der Angehörigen in die Stadt, und bringt mit, was zu einer anständigen Be¬
stattung einer Leiche gehört: Fleisch, Reis, Weizenmehl u. s. w. in unglaub-


Gvenzboten. it. 1867.

demselben, daß einer seiner Bewohner seine mühselige Laufbahn vollendet.
Das Weib und die Töchter gehen auf dem rund um das Häuschen laufenden
Vorsprung umher, ringen die Hände, während der Wind mit dem aufgelösten
Haar spielt, und rufen in langsam »ertönender Modulationen die Worte, die jedem
Todten voll seinen Hinterbliebenen nachgerufen werden: „Wehe uns, Du hast
uns verlassen — fremd sind wir auf Gottes Erde zurückgeblieben! Wohin bist
Du gegangen? Und warum sagst Du uns nicht, ob Du bist gekommen an einen
Ort der Freude oder an einen Ort des Schmerzes! Du hast uns verlassen
— und wir wissen nichts von Dir — wehe uns!

Allmälig finden sich noch andere Weiber aus dem Dorfe ein, um mit
einzustimmen in das Wehklagen der Leidtragenden. Jedes Mal, wenn ein
ein neuer Gast in den Hof tritt, beginnt die eintönige Todtenklage mit er¬
neuter Kraft und immer voller tönt das Chor der singenden Weiber-

Unterdeß ist jemand aus dem Trauerhause ins Dorf gegangen, um ein
paar Freunde des Verstorbenen, die mit Art und Hobel umzugehen wissen,
um die Anfertigung des Sarges zu bitten. Eine solche Bitte schlägt kein
Moldauer ab, so lange er eine Hand rühren kann. Die Aufgeforderten folgen
augenblicklich der Einladung.

In der Zwischenzeit sind der Melodie der Klagweiber andere Worte
untergeschoben worden: „Wehe uns!" singen sie, „jetzt müssen wir ihm ein
Wohnhaus bereiten, und wen finden wir, der ihm sein Wohnhaus bereiten
könnte? Siehe, da kommen die Zimmerleute! Seid gesegnet, lieben Leute!
Ihr bereitet unsrem Todten seine letzte Lagerstätte!" — Die Zimmerleute
tragen Fragmente alter Breter und sonstiges halbwegs taugliches Material zu¬
sammen, und machen sich an die Arbeit.

Aber unir kann nicht immer klagen, die Natur macht ihre Rechte geltend,
es muß auch waS gegessen werden. Man tritt hinein, um eine Mamaliga
zu kochen; im Innern des Hauses schweigt der Gesang. Bisweilen wird der
Todesfall durchaus nicht für ein Unglück angesehen, wenn der Kranke vielleicht
lange gelitten und seinen Hausgenossen zur Last geworden. Der Bauer steht
überhaupt dem Tode mit viel Ruhe ins Gesicht, es ist also natürlich, daß
beim Frühstück auch dem Zweck der Versammlung fremde Gespräche geführt
werden. Tritt man aber hinaus, so beginnt der Gesang gleich wieder - be¬
sonders jetzt, wo der Sarg bald fertig ist. „Herbei, Brüder, herbei, Schwestern!"
rufen die Klageweiber immer mit denselben eigenthümlichen Modulationen,
„kommt und seht das Haus, in welchem unser alter Vater jetzt wohnen
wird!"

Mit entblößtem Haupt, wie eS die Sitte erheischt, geht inzwischen einer
der Angehörigen in die Stadt, und bringt mit, was zu einer anständigen Be¬
stattung einer Leiche gehört: Fleisch, Reis, Weizenmehl u. s. w. in unglaub-


Gvenzboten. it. 1867.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/521>, abgerufen am 01.09.2024.