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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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mit diesem, so ziehen sämmtliche Gäste mit, und es wird dem Bojaren etwas
vorgeschrieen und vorgeschossen, worauf er als ein Mann, der zu leben weiß,
eine tüchtige Portion Spiritus zum Besten gibt und den jungen Leuten eine
zahlreiche Nachkommenschaft wünscht.

Man ißt und trinkt, nach Hause zurückgekehrt, wol > so viel als in den
Magen geht, das eigentliche Hochzeitsmahl, der sogenannte große Tisch --msssa
msrv -- findet aber erst gegen Abend statt, und zu diesem werden noch durch be¬
sondere Abgesandte so viele Gäste als nur immer möglich eingeladen, denn ein
jeder trägt etwas ein: wenn ihm der Vornitschel "daS süße Glas" pakar
üultsede das oft mit einem nichts weniger als süßen Wein gefüllt ist, dar¬
reicht, so muß er dafür eine Münze auf den Teller legen, und das auf diese
Weise gesammelte Geld bildet zuweilen ein rundes Sümmchen zur ersten Ein¬
richtung der Neuvermählten. Erschöpft sinkt endlich einer nach dem andern
dem Schlaf in die Arme; die junge Frau zieht ihrem Manne als Zeichen der
Unterwürfigkeit die Stiefel aus, und die Hochzeit hat ein Ende.

Ist alles gut abgelaufen, so ertönt die Musik am folgenden Morgen von
neuem, während die Brautmutter die Neuvermählte auf eine Bank in die
Mitte des Zimmers setzt und ihr den Kopf in ein weißes Tuch hüllt, ohne
welches ein verheiratetes Weib sich nie zeigen darf. Eine mit rothen Bändern
geschmückte Flasche mit rothem Schnaps wird herbeigeschafft, und die Braut¬
mutter tanzt mit derselben in beliebigen kleinen anmuthigen Sprüngen um
die junge Frau, indem sie singt: "Freude fühle ich in meinem Herzen! Wie
ein Blümchen auf der Wiese, das noch keines Menschen Fuß vertreten, rein
wie Gold ist meine Elenka, Smaronda, Kassandra, oder wie sie sonst heißen
mag, in den Ehestand getreten!" Statt dieser Ceremonie kommt es aber auch
bisweilen vor, daß der Vornitschel einen Topf mit Wein füllt, nachdem er
vorher ein Loch in denselben geschlagen, das er vorsichtig mit dem Finger ver¬
stopft, während er den Trunk dem Vater der Braut darreicht. Greift nun
dieser danach, so zieht der Vornitschel den Finger weg und der Wein fließt
auf den Boden; -- die Umstehenden brechen in ein lautes Gelächter aus
und rufen: "Wie man seine Ehre bewacht, so genießt man sie!" Auch die
Frau Mutter bleibt in solchen Fällen nicht ungehänselt: in dem Augenblick,
wo sie sich der Ueberraschung am wenigsten versieht, werfen ihr die Burschen
ein Pferdegeschirr über den Kops. -- Alle diese Kleinigkeiten haben aber auf
die späteren freundschaftlichen Beziehungen der Leute zueinander durchaus
keinen Einfluß.

Ist das Leben eines Dorfbewohners dem Erlöschen nah, so sorgen seine
Angehörigen dafür, daß er in dem Augenblicke, wo er den Geist aufgibt, eine
brennende Wachskerze in der Hand hält. Und ist der entscheidende Moment
vorüber, so ertönt ein gesangartiges Wehklagen durch das Dorf und verkündet


mit diesem, so ziehen sämmtliche Gäste mit, und es wird dem Bojaren etwas
vorgeschrieen und vorgeschossen, worauf er als ein Mann, der zu leben weiß,
eine tüchtige Portion Spiritus zum Besten gibt und den jungen Leuten eine
zahlreiche Nachkommenschaft wünscht.

Man ißt und trinkt, nach Hause zurückgekehrt, wol > so viel als in den
Magen geht, das eigentliche Hochzeitsmahl, der sogenannte große Tisch —msssa
msrv — findet aber erst gegen Abend statt, und zu diesem werden noch durch be¬
sondere Abgesandte so viele Gäste als nur immer möglich eingeladen, denn ein
jeder trägt etwas ein: wenn ihm der Vornitschel „daS süße Glas" pakar
üultsede das oft mit einem nichts weniger als süßen Wein gefüllt ist, dar¬
reicht, so muß er dafür eine Münze auf den Teller legen, und das auf diese
Weise gesammelte Geld bildet zuweilen ein rundes Sümmchen zur ersten Ein¬
richtung der Neuvermählten. Erschöpft sinkt endlich einer nach dem andern
dem Schlaf in die Arme; die junge Frau zieht ihrem Manne als Zeichen der
Unterwürfigkeit die Stiefel aus, und die Hochzeit hat ein Ende.

Ist alles gut abgelaufen, so ertönt die Musik am folgenden Morgen von
neuem, während die Brautmutter die Neuvermählte auf eine Bank in die
Mitte des Zimmers setzt und ihr den Kopf in ein weißes Tuch hüllt, ohne
welches ein verheiratetes Weib sich nie zeigen darf. Eine mit rothen Bändern
geschmückte Flasche mit rothem Schnaps wird herbeigeschafft, und die Braut¬
mutter tanzt mit derselben in beliebigen kleinen anmuthigen Sprüngen um
die junge Frau, indem sie singt: „Freude fühle ich in meinem Herzen! Wie
ein Blümchen auf der Wiese, das noch keines Menschen Fuß vertreten, rein
wie Gold ist meine Elenka, Smaronda, Kassandra, oder wie sie sonst heißen
mag, in den Ehestand getreten!" Statt dieser Ceremonie kommt es aber auch
bisweilen vor, daß der Vornitschel einen Topf mit Wein füllt, nachdem er
vorher ein Loch in denselben geschlagen, das er vorsichtig mit dem Finger ver¬
stopft, während er den Trunk dem Vater der Braut darreicht. Greift nun
dieser danach, so zieht der Vornitschel den Finger weg und der Wein fließt
auf den Boden; — die Umstehenden brechen in ein lautes Gelächter aus
und rufen: „Wie man seine Ehre bewacht, so genießt man sie!" Auch die
Frau Mutter bleibt in solchen Fällen nicht ungehänselt: in dem Augenblick,
wo sie sich der Ueberraschung am wenigsten versieht, werfen ihr die Burschen
ein Pferdegeschirr über den Kops. — Alle diese Kleinigkeiten haben aber auf
die späteren freundschaftlichen Beziehungen der Leute zueinander durchaus
keinen Einfluß.

Ist das Leben eines Dorfbewohners dem Erlöschen nah, so sorgen seine
Angehörigen dafür, daß er in dem Augenblicke, wo er den Geist aufgibt, eine
brennende Wachskerze in der Hand hält. Und ist der entscheidende Moment
vorüber, so ertönt ein gesangartiges Wehklagen durch das Dorf und verkündet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/520>, abgerufen am 01.09.2024.