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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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am meisten daran schuld ist, daß das wünschenswerthe Einverständnis) nicht
stattfindet. Genug, es findet nicht statt.. Die Hauptsache ist folgende. Es
kommt nicht blos darauf an, daß Oestreich und Preußen einig
sind, sondern worüber sie einig sind. Auch hier nehmen wir unsere
Belege aus der Geschichte. - '

In der Zeit von 1816 bis 1867 oder wenigstens bis 18it) hat in den
meisten Fällen zwischen Oestreich und Preußen Einverständniß geherrscht,
mit andern Worten, Preußen hat gethan, ,was Oestreich wollte. Nun
wird aber wol alle Welt darüber einig sein, daß die Herrlichkeit dieser Zeit
nicht groß war. Wen nichts Anderes überzeugt, der mag sich daran erinnern,
daß aus jener Zeit das Jahr 1848 hervorging. Die Signatur dieses Jahres
war nicht die Leidenschaft der Menge, sondern die Schwäche der Regierungen,
und diese war das Resultat der Stagnation jener ewig unglückseligen Jahre,
das Resultat der metternichschen Politik. Was in jener Zeit Positives ge¬
leistet wurde (z. B. der Zollverein, das preußische Universitätsleben :c>), ist
von Preußen nicht mit Unterstützung Oestreichs, sondern trotz deö Widerstre-
bens desselben durchgeführt worden.

Als im Jahr 1850 die bisherige Richtung der preußischen Politik auf¬
gegeben wurde, glaubte das Ministerium Manteuffel seine Unabhängigkeit
völlig constatirt zu haben, als es mit Oestreich gemeinsam dieselbe Sache un¬
terstützte, die es früher bekämpfen wollte. Es hat mit Oestreich gemeinschaft¬
lich in Schleswig-Holstein intervenirt und die dänische Oberherrschaft herge¬
stellt, es hat später das londoner Protokoll mit unterzeichnet. Ob Preußen
seine Würde nicht besser gewahrt hätte, wenn eS diese Kooperationen unterließ,
das ist eine Frage, die Herrn Pz. sehr gleichgiltig sein wird. Aber wäre es
nicht auch für die Würde und für den, Vortheil der deutschen Nation besser
gewesen? Und die Sache ist ja noch keineswegs zu Ende. Auch jetzt wird
sich in Bezug auf Schleswig-Holstein noch einmal bewahrheiten, daß es nicht
blos darauf ankommt, daß Oestreich und Preußen einig sind, sondern auch,
worüber sie einig sind. Alle diese Bemerkungen haben nicht den Zweck, die
preußische Politik zu vertheidigen, sondern nur darauf aufmerksam zu machen,
daß jede Sache zwei Seiten hat.

Wir gehen jetzt auf den zweiten Punkt über. In Bezug auf den zweiten
Frieden sagt der Verfasser S. "Wenn es Alexander l. wirklich darum zu
thun war, in Deutschland eine festere politische Gestaltung zu vermitteln, damit
es zu einer tüchtigen Vormauer gegen Frankreich werde, so mußte man vor
allem das deutsche Kaiserreich auf einer neuen Basis wieder herstellen, die
Zahl der Kleinstaaten vermindern und ihre Souveränetätsrechte schmälern, die
Mittelstaaten. hingegen vermehren und kräftigen. Davon ist wol auch die
Rede gewesen. Die dynastischen Interessen Rußlands und Preußens verhin-


am meisten daran schuld ist, daß das wünschenswerthe Einverständnis) nicht
stattfindet. Genug, es findet nicht statt.. Die Hauptsache ist folgende. Es
kommt nicht blos darauf an, daß Oestreich und Preußen einig
sind, sondern worüber sie einig sind. Auch hier nehmen wir unsere
Belege aus der Geschichte. - '

In der Zeit von 1816 bis 1867 oder wenigstens bis 18it) hat in den
meisten Fällen zwischen Oestreich und Preußen Einverständniß geherrscht,
mit andern Worten, Preußen hat gethan, ,was Oestreich wollte. Nun
wird aber wol alle Welt darüber einig sein, daß die Herrlichkeit dieser Zeit
nicht groß war. Wen nichts Anderes überzeugt, der mag sich daran erinnern,
daß aus jener Zeit das Jahr 1848 hervorging. Die Signatur dieses Jahres
war nicht die Leidenschaft der Menge, sondern die Schwäche der Regierungen,
und diese war das Resultat der Stagnation jener ewig unglückseligen Jahre,
das Resultat der metternichschen Politik. Was in jener Zeit Positives ge¬
leistet wurde (z. B. der Zollverein, das preußische Universitätsleben :c>), ist
von Preußen nicht mit Unterstützung Oestreichs, sondern trotz deö Widerstre-
bens desselben durchgeführt worden.

Als im Jahr 1850 die bisherige Richtung der preußischen Politik auf¬
gegeben wurde, glaubte das Ministerium Manteuffel seine Unabhängigkeit
völlig constatirt zu haben, als es mit Oestreich gemeinsam dieselbe Sache un¬
terstützte, die es früher bekämpfen wollte. Es hat mit Oestreich gemeinschaft¬
lich in Schleswig-Holstein intervenirt und die dänische Oberherrschaft herge¬
stellt, es hat später das londoner Protokoll mit unterzeichnet. Ob Preußen
seine Würde nicht besser gewahrt hätte, wenn eS diese Kooperationen unterließ,
das ist eine Frage, die Herrn Pz. sehr gleichgiltig sein wird. Aber wäre es
nicht auch für die Würde und für den, Vortheil der deutschen Nation besser
gewesen? Und die Sache ist ja noch keineswegs zu Ende. Auch jetzt wird
sich in Bezug auf Schleswig-Holstein noch einmal bewahrheiten, daß es nicht
blos darauf ankommt, daß Oestreich und Preußen einig sind, sondern auch,
worüber sie einig sind. Alle diese Bemerkungen haben nicht den Zweck, die
preußische Politik zu vertheidigen, sondern nur darauf aufmerksam zu machen,
daß jede Sache zwei Seiten hat.

Wir gehen jetzt auf den zweiten Punkt über. In Bezug auf den zweiten
Frieden sagt der Verfasser S. „Wenn es Alexander l. wirklich darum zu
thun war, in Deutschland eine festere politische Gestaltung zu vermitteln, damit
es zu einer tüchtigen Vormauer gegen Frankreich werde, so mußte man vor
allem das deutsche Kaiserreich auf einer neuen Basis wieder herstellen, die
Zahl der Kleinstaaten vermindern und ihre Souveränetätsrechte schmälern, die
Mittelstaaten. hingegen vermehren und kräftigen. Davon ist wol auch die
Rede gewesen. Die dynastischen Interessen Rußlands und Preußens verhin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/52>, abgerufen am 28.07.2024.