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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Zigeunermusikcmte" ihre gellende Musik erschallen lassen. Nach dem Essen steht
alles auf, Vater und Mutter müssen sich auf eine Bank setzen, nachdem man
ihnen ein Kissen untergeschoben, und es geht ans Abschiednehmen. Die jungen
Leute knien nieder, und einer der Aeltesten aus dem Kreise tritt vor die Eltern
mit den Worten: "Schaut herab, diese Kinder sind gekommen, von Euch den
Segen Abrahams und Jsaaks zu erbitten." Die Eltern spenden den Segen
und wünschen der Ehe Glück, Frieden und Reichthum -- es ist ein feierlicher
Moment -- tiefe Stille herrscht in der Versammlung. Kaum aber hat das Braut¬
paar die segnenden Hände geküßt, so entsteht ein Lärm, wie kein deutscher
Polterabend ihn harmonischer liefern kann. Wüthend kratzen die Zigeuner auf
Geige und Kobsa; die Gäste bilden eine Kette, der Vvrnitschel, ein weißes
Tuch als Fähnchen an einen Stock gebunden, voraus, und sie trampeln und
tanzen zur Thüre hinaus. Im Hos schleppen sie einen Karren vor die Thüre,
zwingen schreiend die Kopfe der Ochsen ins Joch, und stürzen dann ins Haus
zurück, um die Mitgift aufzuladen. Die Braut klettert mit auf den Karren, wo ihr
der Vater ein in Form eines soliden Kranzes gebackenes Weizenbrod auf den
Kops setzt, das sie dort, zum offenbaren Nachtheil ihres HaarputzeS, zerbrechen
und die Stücke von sich werfen muß. Endlich setzt sich der Zug in Bewegung;
die Bursche jagen zu Pferde voran unter Jauchzen und Schießen; weiße Tü¬
cher flattern an den Hörnern der Ochsen und den Ohren der Pferde; man
begibt sich in das Haus der Eltern des Bräutigams, wo wieder getafelt wird
bis in die Nacht hinein.

Am folgenden Morgen wiederholt sich die Abschiedsscene und die-Bitte
um den Segen Abrahams und Jsaaks, und der Zug geht, immer vou Musik,
Schreien und Schießen begleitet, der Kirche zu. Die kirchliche Ceremonie ist
fast dieselbe wie in andern religivnsverwandten Ländern, nur wenige Zusätze
haben sich eingeschlichen. Der Geistliche läßt die Neuvermählten und die mit
brennenden, verzierten Wachskerzen hinter ihnen stehenden stellvertretenden Braut¬
eltern -- die eigentlichen treten am Hochzeitstage ganz zurück -- aus einem Glase
trinken und von einem Brot essen, wobei der Dorfpope zum allgemeinen Gau-
dium nicht selten den Witz reißt, daß er dem Brautvater die Semmel vor
den Mund hält und schnell zurückzieht, wenn er mit andächtigem Ernst danach
schnappt. Beim Klänge der Glocken zieht das Paar zwischen dem Brautvater
und der Brautmutter unter Anführung deS Geistlichen dreimal um den Altar,
die Anwesenden werfen ihnen Nüsse, Reis und eine Art Confect, das mehr
Mehl als Zucker enthält, vor die Füße, um ihren Wunsch: sie möchten wan¬
deln im Ueberfluß, recht handgreiflich zu machen , und die Ceremonie hat ein
Ende. Nach der Trauung nimmt der Brautvater ein paar Hühner unter den
Arm. die Brautmutter eine Schüssel mit Eiern, und sie begleiten das junge
Ehepaar in den Hof des Gutsherrn. Lebt das Dorf in gutem Einverständnis;


Zigeunermusikcmte» ihre gellende Musik erschallen lassen. Nach dem Essen steht
alles auf, Vater und Mutter müssen sich auf eine Bank setzen, nachdem man
ihnen ein Kissen untergeschoben, und es geht ans Abschiednehmen. Die jungen
Leute knien nieder, und einer der Aeltesten aus dem Kreise tritt vor die Eltern
mit den Worten: „Schaut herab, diese Kinder sind gekommen, von Euch den
Segen Abrahams und Jsaaks zu erbitten." Die Eltern spenden den Segen
und wünschen der Ehe Glück, Frieden und Reichthum — es ist ein feierlicher
Moment — tiefe Stille herrscht in der Versammlung. Kaum aber hat das Braut¬
paar die segnenden Hände geküßt, so entsteht ein Lärm, wie kein deutscher
Polterabend ihn harmonischer liefern kann. Wüthend kratzen die Zigeuner auf
Geige und Kobsa; die Gäste bilden eine Kette, der Vvrnitschel, ein weißes
Tuch als Fähnchen an einen Stock gebunden, voraus, und sie trampeln und
tanzen zur Thüre hinaus. Im Hos schleppen sie einen Karren vor die Thüre,
zwingen schreiend die Kopfe der Ochsen ins Joch, und stürzen dann ins Haus
zurück, um die Mitgift aufzuladen. Die Braut klettert mit auf den Karren, wo ihr
der Vater ein in Form eines soliden Kranzes gebackenes Weizenbrod auf den
Kops setzt, das sie dort, zum offenbaren Nachtheil ihres HaarputzeS, zerbrechen
und die Stücke von sich werfen muß. Endlich setzt sich der Zug in Bewegung;
die Bursche jagen zu Pferde voran unter Jauchzen und Schießen; weiße Tü¬
cher flattern an den Hörnern der Ochsen und den Ohren der Pferde; man
begibt sich in das Haus der Eltern des Bräutigams, wo wieder getafelt wird
bis in die Nacht hinein.

Am folgenden Morgen wiederholt sich die Abschiedsscene und die-Bitte
um den Segen Abrahams und Jsaaks, und der Zug geht, immer vou Musik,
Schreien und Schießen begleitet, der Kirche zu. Die kirchliche Ceremonie ist
fast dieselbe wie in andern religivnsverwandten Ländern, nur wenige Zusätze
haben sich eingeschlichen. Der Geistliche läßt die Neuvermählten und die mit
brennenden, verzierten Wachskerzen hinter ihnen stehenden stellvertretenden Braut¬
eltern — die eigentlichen treten am Hochzeitstage ganz zurück — aus einem Glase
trinken und von einem Brot essen, wobei der Dorfpope zum allgemeinen Gau-
dium nicht selten den Witz reißt, daß er dem Brautvater die Semmel vor
den Mund hält und schnell zurückzieht, wenn er mit andächtigem Ernst danach
schnappt. Beim Klänge der Glocken zieht das Paar zwischen dem Brautvater
und der Brautmutter unter Anführung deS Geistlichen dreimal um den Altar,
die Anwesenden werfen ihnen Nüsse, Reis und eine Art Confect, das mehr
Mehl als Zucker enthält, vor die Füße, um ihren Wunsch: sie möchten wan¬
deln im Ueberfluß, recht handgreiflich zu machen , und die Ceremonie hat ein
Ende. Nach der Trauung nimmt der Brautvater ein paar Hühner unter den
Arm. die Brautmutter eine Schüssel mit Eiern, und sie begleiten das junge
Ehepaar in den Hof des Gutsherrn. Lebt das Dorf in gutem Einverständnis;


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[0519] Zigeunermusikcmte» ihre gellende Musik erschallen lassen. Nach dem Essen steht alles auf, Vater und Mutter müssen sich auf eine Bank setzen, nachdem man ihnen ein Kissen untergeschoben, und es geht ans Abschiednehmen. Die jungen Leute knien nieder, und einer der Aeltesten aus dem Kreise tritt vor die Eltern mit den Worten: „Schaut herab, diese Kinder sind gekommen, von Euch den Segen Abrahams und Jsaaks zu erbitten." Die Eltern spenden den Segen und wünschen der Ehe Glück, Frieden und Reichthum — es ist ein feierlicher Moment — tiefe Stille herrscht in der Versammlung. Kaum aber hat das Braut¬ paar die segnenden Hände geküßt, so entsteht ein Lärm, wie kein deutscher Polterabend ihn harmonischer liefern kann. Wüthend kratzen die Zigeuner auf Geige und Kobsa; die Gäste bilden eine Kette, der Vvrnitschel, ein weißes Tuch als Fähnchen an einen Stock gebunden, voraus, und sie trampeln und tanzen zur Thüre hinaus. Im Hos schleppen sie einen Karren vor die Thüre, zwingen schreiend die Kopfe der Ochsen ins Joch, und stürzen dann ins Haus zurück, um die Mitgift aufzuladen. Die Braut klettert mit auf den Karren, wo ihr der Vater ein in Form eines soliden Kranzes gebackenes Weizenbrod auf den Kops setzt, das sie dort, zum offenbaren Nachtheil ihres HaarputzeS, zerbrechen und die Stücke von sich werfen muß. Endlich setzt sich der Zug in Bewegung; die Bursche jagen zu Pferde voran unter Jauchzen und Schießen; weiße Tü¬ cher flattern an den Hörnern der Ochsen und den Ohren der Pferde; man begibt sich in das Haus der Eltern des Bräutigams, wo wieder getafelt wird bis in die Nacht hinein. Am folgenden Morgen wiederholt sich die Abschiedsscene und die-Bitte um den Segen Abrahams und Jsaaks, und der Zug geht, immer vou Musik, Schreien und Schießen begleitet, der Kirche zu. Die kirchliche Ceremonie ist fast dieselbe wie in andern religivnsverwandten Ländern, nur wenige Zusätze haben sich eingeschlichen. Der Geistliche läßt die Neuvermählten und die mit brennenden, verzierten Wachskerzen hinter ihnen stehenden stellvertretenden Braut¬ eltern — die eigentlichen treten am Hochzeitstage ganz zurück — aus einem Glase trinken und von einem Brot essen, wobei der Dorfpope zum allgemeinen Gau- dium nicht selten den Witz reißt, daß er dem Brautvater die Semmel vor den Mund hält und schnell zurückzieht, wenn er mit andächtigem Ernst danach schnappt. Beim Klänge der Glocken zieht das Paar zwischen dem Brautvater und der Brautmutter unter Anführung deS Geistlichen dreimal um den Altar, die Anwesenden werfen ihnen Nüsse, Reis und eine Art Confect, das mehr Mehl als Zucker enthält, vor die Füße, um ihren Wunsch: sie möchten wan¬ deln im Ueberfluß, recht handgreiflich zu machen , und die Ceremonie hat ein Ende. Nach der Trauung nimmt der Brautvater ein paar Hühner unter den Arm. die Brautmutter eine Schüssel mit Eiern, und sie begleiten das junge Ehepaar in den Hof des Gutsherrn. Lebt das Dorf in gutem Einverständnis;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/519>, abgerufen am 01.09.2024.