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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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fluß etwas abnahmen. Auf der Jagd stellt er sich kühn dem Bären entgegen,
und zwar oft mit einem Gewehr, das wir kaum den Muth haben würden ab¬
zudrücken. Mit unermüdlicher Ausdauer erträgt er Beschwerden aller Art, und
ist erst sein Widerwille, in die Reihen der Miliz zu treten, überwunden, so
nimmt er sich als Soldat überraschend gut aus. Mit besonderer Vorliebe muß
man in den Dörfern die jungen Burschen betrachten, wenn sie sich bei Fest¬
lichkeiten zum Tanz versammeln. Ihre Gestalt ist kräftig und schlank; unter
dem mit Blumen, Pfauenfedern und Glasperlen geschmückten breitkrämpigen
Hut wallt das meist kastanienbraune Haar in Locken aus die Schultern herab
-- nur der Gebirgsbauer pflegt es in Zöpfe zu flechten; das Hemd hängt
über die Beinkleider; ein breiter mit Schnallen und Metallknöpfen besetzter
Ledergürtel umschließt den Leib; ein weißes Jäckchen ohne Aermel, mit schwar¬
zer Baumwolle und Flittern gestickt, ist ein Luxusartikel, den sich nicht jeder
erlauben kann. So ausgestattet bilden sie mit den Mädchen einen weiten
Kreis, in dessen Mitte die Zigeunermusikanten stehen. Die Tanzenden be¬
wegen sich in langsamem Takt vorwärts und rückwärts, und willkürlich reißt
bald der eine, bald der andere von den Burschen seine Nachbarn bis zum
Mittelpunkt des Kreises fort, wo er einige capriziöse, trampelnde Sprünge
macht, worauf die Kette wieder in die frühere Ordnung kommt. Dieser Tanz
heißt die Hora.' Viel lebendiger aber ist ein zweiter, de Crau, der Gürtel¬
tanz, an welchem nur die jungen Bursche Theil nehmen; sie fassen in langer
Reihe rechts und links den Gürtel der Nächststehenden, und machen in end¬
losen Windungen die Fußbewegungen des Vortänzers mit, und ist dieser ein
witziger Kopf, so geräth die ganze Gesellschaft in die ausgelassenste Lustigkeit.

Frohsinn ist übrigens kein hervortretender Charakterzug des moldauischen
Bauers; nur bei Hochzeiten, Kindtaufen und anderen Festlichkeiten läßt er
sich gehen; gewöhnlich ist er ernst und still. Seine Arbeiten verrichtet er mit
einer gewissen bedächtigen Langsamkeit, der man den durch sein ganzes Leben
sich ziehenden Grundgedanken ansieht: weiter als ich gekommen bin, kann ich
doch nicht -- wozu also die Eile. Er urtheilt über seine Lage ganz richtig,
wenn man sich in ein Gespräch mit ihm einläßt und wenn der Fragende ihm
Zutrauen einflößt; ist letzteres nicht der Fall, so ist keine offene Antwort von
ihm zu erwarten. Er ist schon zu oft getäuscht worden, um nicht mißtrauisch
zu sein.

Sein Respect vor jedem rothen Kragen ist grenzenlos. Und er hat Recht,
die rothen Kragen zu scheuen; von ihnen gehen die meisten Plackereien aus,
die ihm im Leben widerfahren. Harrt die ganze Staatsmaschine einer gründ¬
lichen Säuberung von Mißbräuchen, so ist eine solche besonders für den Dorf¬
bewohner von Herzen zu wünschen. Die erste Instanz, der Dorfrichter oder
Vornik, ist eigentlich gar keine Autorität; er ist Bauer wie die übrigen, wird


fluß etwas abnahmen. Auf der Jagd stellt er sich kühn dem Bären entgegen,
und zwar oft mit einem Gewehr, das wir kaum den Muth haben würden ab¬
zudrücken. Mit unermüdlicher Ausdauer erträgt er Beschwerden aller Art, und
ist erst sein Widerwille, in die Reihen der Miliz zu treten, überwunden, so
nimmt er sich als Soldat überraschend gut aus. Mit besonderer Vorliebe muß
man in den Dörfern die jungen Burschen betrachten, wenn sie sich bei Fest¬
lichkeiten zum Tanz versammeln. Ihre Gestalt ist kräftig und schlank; unter
dem mit Blumen, Pfauenfedern und Glasperlen geschmückten breitkrämpigen
Hut wallt das meist kastanienbraune Haar in Locken aus die Schultern herab
— nur der Gebirgsbauer pflegt es in Zöpfe zu flechten; das Hemd hängt
über die Beinkleider; ein breiter mit Schnallen und Metallknöpfen besetzter
Ledergürtel umschließt den Leib; ein weißes Jäckchen ohne Aermel, mit schwar¬
zer Baumwolle und Flittern gestickt, ist ein Luxusartikel, den sich nicht jeder
erlauben kann. So ausgestattet bilden sie mit den Mädchen einen weiten
Kreis, in dessen Mitte die Zigeunermusikanten stehen. Die Tanzenden be¬
wegen sich in langsamem Takt vorwärts und rückwärts, und willkürlich reißt
bald der eine, bald der andere von den Burschen seine Nachbarn bis zum
Mittelpunkt des Kreises fort, wo er einige capriziöse, trampelnde Sprünge
macht, worauf die Kette wieder in die frühere Ordnung kommt. Dieser Tanz
heißt die Hora.' Viel lebendiger aber ist ein zweiter, de Crau, der Gürtel¬
tanz, an welchem nur die jungen Bursche Theil nehmen; sie fassen in langer
Reihe rechts und links den Gürtel der Nächststehenden, und machen in end¬
losen Windungen die Fußbewegungen des Vortänzers mit, und ist dieser ein
witziger Kopf, so geräth die ganze Gesellschaft in die ausgelassenste Lustigkeit.

Frohsinn ist übrigens kein hervortretender Charakterzug des moldauischen
Bauers; nur bei Hochzeiten, Kindtaufen und anderen Festlichkeiten läßt er
sich gehen; gewöhnlich ist er ernst und still. Seine Arbeiten verrichtet er mit
einer gewissen bedächtigen Langsamkeit, der man den durch sein ganzes Leben
sich ziehenden Grundgedanken ansieht: weiter als ich gekommen bin, kann ich
doch nicht — wozu also die Eile. Er urtheilt über seine Lage ganz richtig,
wenn man sich in ein Gespräch mit ihm einläßt und wenn der Fragende ihm
Zutrauen einflößt; ist letzteres nicht der Fall, so ist keine offene Antwort von
ihm zu erwarten. Er ist schon zu oft getäuscht worden, um nicht mißtrauisch
zu sein.

Sein Respect vor jedem rothen Kragen ist grenzenlos. Und er hat Recht,
die rothen Kragen zu scheuen; von ihnen gehen die meisten Plackereien aus,
die ihm im Leben widerfahren. Harrt die ganze Staatsmaschine einer gründ¬
lichen Säuberung von Mißbräuchen, so ist eine solche besonders für den Dorf¬
bewohner von Herzen zu wünschen. Die erste Instanz, der Dorfrichter oder
Vornik, ist eigentlich gar keine Autorität; er ist Bauer wie die übrigen, wird


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[0516] fluß etwas abnahmen. Auf der Jagd stellt er sich kühn dem Bären entgegen, und zwar oft mit einem Gewehr, das wir kaum den Muth haben würden ab¬ zudrücken. Mit unermüdlicher Ausdauer erträgt er Beschwerden aller Art, und ist erst sein Widerwille, in die Reihen der Miliz zu treten, überwunden, so nimmt er sich als Soldat überraschend gut aus. Mit besonderer Vorliebe muß man in den Dörfern die jungen Burschen betrachten, wenn sie sich bei Fest¬ lichkeiten zum Tanz versammeln. Ihre Gestalt ist kräftig und schlank; unter dem mit Blumen, Pfauenfedern und Glasperlen geschmückten breitkrämpigen Hut wallt das meist kastanienbraune Haar in Locken aus die Schultern herab — nur der Gebirgsbauer pflegt es in Zöpfe zu flechten; das Hemd hängt über die Beinkleider; ein breiter mit Schnallen und Metallknöpfen besetzter Ledergürtel umschließt den Leib; ein weißes Jäckchen ohne Aermel, mit schwar¬ zer Baumwolle und Flittern gestickt, ist ein Luxusartikel, den sich nicht jeder erlauben kann. So ausgestattet bilden sie mit den Mädchen einen weiten Kreis, in dessen Mitte die Zigeunermusikanten stehen. Die Tanzenden be¬ wegen sich in langsamem Takt vorwärts und rückwärts, und willkürlich reißt bald der eine, bald der andere von den Burschen seine Nachbarn bis zum Mittelpunkt des Kreises fort, wo er einige capriziöse, trampelnde Sprünge macht, worauf die Kette wieder in die frühere Ordnung kommt. Dieser Tanz heißt die Hora.' Viel lebendiger aber ist ein zweiter, de Crau, der Gürtel¬ tanz, an welchem nur die jungen Bursche Theil nehmen; sie fassen in langer Reihe rechts und links den Gürtel der Nächststehenden, und machen in end¬ losen Windungen die Fußbewegungen des Vortänzers mit, und ist dieser ein witziger Kopf, so geräth die ganze Gesellschaft in die ausgelassenste Lustigkeit. Frohsinn ist übrigens kein hervortretender Charakterzug des moldauischen Bauers; nur bei Hochzeiten, Kindtaufen und anderen Festlichkeiten läßt er sich gehen; gewöhnlich ist er ernst und still. Seine Arbeiten verrichtet er mit einer gewissen bedächtigen Langsamkeit, der man den durch sein ganzes Leben sich ziehenden Grundgedanken ansieht: weiter als ich gekommen bin, kann ich doch nicht — wozu also die Eile. Er urtheilt über seine Lage ganz richtig, wenn man sich in ein Gespräch mit ihm einläßt und wenn der Fragende ihm Zutrauen einflößt; ist letzteres nicht der Fall, so ist keine offene Antwort von ihm zu erwarten. Er ist schon zu oft getäuscht worden, um nicht mißtrauisch zu sein. Sein Respect vor jedem rothen Kragen ist grenzenlos. Und er hat Recht, die rothen Kragen zu scheuen; von ihnen gehen die meisten Plackereien aus, die ihm im Leben widerfahren. Harrt die ganze Staatsmaschine einer gründ¬ lichen Säuberung von Mißbräuchen, so ist eine solche besonders für den Dorf¬ bewohner von Herzen zu wünschen. Die erste Instanz, der Dorfrichter oder Vornik, ist eigentlich gar keine Autorität; er ist Bauer wie die übrigen, wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/516>, abgerufen am 01.09.2024.