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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Der Schech rief zornig aus: "Was, du unterfängst dich, solche Dinge zu
treiben und mir hinterher den Koran vorzuhalten. Fort mit ihm, zehn Tage
ins Gefängniß!" Als er wieder frei war, mußte er abermals eidlich geloben,
das Glasessen künftig zu unterlassen, und diesen zweiten Eid versicherte er ge¬
halten zu haben.

Der Schauplatz des Molid En Nebbi, welches in den Anfang des Monats
Rabbia El Anat fällt, ist der südliche Theil des Esbekiehplatzes, wo für die
Derwische große Zelte aufgeschlagen werden. Zwischen diesen erhebt sich ein
hoher Mastbaum, welcher Sari heißt und als Träger von Laternen dient,
zugleich aber den Mittelpunkt bildet, um den die Derwische der verschiedenen
Orden, jede Classe an einem bestimmten Tage des Festes, im Kreise aufgestellt,
die Zikrs tanzen. Im Uebrigen wird das Tag und Nacht herzuströmende
Volk von Romanerzählern, Gauklern, Fechtern, Leuten mit abgerichteten Eseln
oder Affen, von Zauberern und possenreißenden Kindern unterhalten. Unter
den Bäumen gibt es Schaukeln und Buden mit Näschereien. Mitunter führt
auch eine der von Mehemed Ali nach Oberägypten verbannten Ghawazzis, die
sich unter der jetzigen Regierung allmiilig wieder hervorwagen, die üppigen
Tänze ihrer Zunft auf. Des Nachts flammt der ganze große Platz allent¬
halben von Lampen und Fackeln.

Von den Ceremonien, mit welchen die Derwische dieses Fest begehen, ist
die des "Dosch" die merkwürdigste. Dosel) heißt das Treten, und die Sache
besteht darin, daß der Schech der Saadijeh über eine Anzahl der Seinen, die
sich auf den Boden gelegt hat, hinreitet. Derselbe begibt sich/ nachdem
er vorher mehre Tage in der Einsamkeit mit religiösen Uebungen verbracht hat,
um die bestimmte Stunde nach einer Moschee, um zu beten. Einige Zeit nach
Mittag verläßt er dieselbe, um nach dem Hause des Schech El Bekri zu reiten,
welcher, wie bemerkt, an dem Esbekiehplatz wohnt und daS sichtbare Oberhaupt
aller Derwische Aegyptens ist. Auf dem Wege dahin gesellen sich Massen
von Saadijeh zu ihm, welche truppweise mit ihren Bannern aus den ver¬
schiedenen Quartieren der Stadt herbeiziehen und sich zu einer langen, Pro¬
cession ordnen. Diese Schreiter langsam vor ihm her bis in die Nähe des er¬
wähnten Hauses, wo diejenigen von ihnen, welche sich dem Dosch unterwerfen
wollen, heraustreten und sich, einer dicht neben den andern, mit grade aus¬
gestreckten Beinen, den Rücken nach oben gekehrt, die Arme unter der Stirn
gekreuzt, auf den Boden legen. Man sagte uns, daß dies früher von einer
sehr großen Anzahl, oft von Hunderten geschehen, daß jetzt aber der Eiser sehr
erkaltet sei, und eS wurde hinzugefügt, daß wiederholt die Polizeisoldaten, welche
die Procession begleiten, Zuschauer durch Stockschläge sich ebenfalls niederzu¬
legen gezwungen oder wenigstens solche, die schon gelegen, aber sich inzwischen
eines Bessern besonnen, am Ausstehen gehindert hätten.


Der Schech rief zornig aus: „Was, du unterfängst dich, solche Dinge zu
treiben und mir hinterher den Koran vorzuhalten. Fort mit ihm, zehn Tage
ins Gefängniß!" Als er wieder frei war, mußte er abermals eidlich geloben,
das Glasessen künftig zu unterlassen, und diesen zweiten Eid versicherte er ge¬
halten zu haben.

Der Schauplatz des Molid En Nebbi, welches in den Anfang des Monats
Rabbia El Anat fällt, ist der südliche Theil des Esbekiehplatzes, wo für die
Derwische große Zelte aufgeschlagen werden. Zwischen diesen erhebt sich ein
hoher Mastbaum, welcher Sari heißt und als Träger von Laternen dient,
zugleich aber den Mittelpunkt bildet, um den die Derwische der verschiedenen
Orden, jede Classe an einem bestimmten Tage des Festes, im Kreise aufgestellt,
die Zikrs tanzen. Im Uebrigen wird das Tag und Nacht herzuströmende
Volk von Romanerzählern, Gauklern, Fechtern, Leuten mit abgerichteten Eseln
oder Affen, von Zauberern und possenreißenden Kindern unterhalten. Unter
den Bäumen gibt es Schaukeln und Buden mit Näschereien. Mitunter führt
auch eine der von Mehemed Ali nach Oberägypten verbannten Ghawazzis, die
sich unter der jetzigen Regierung allmiilig wieder hervorwagen, die üppigen
Tänze ihrer Zunft auf. Des Nachts flammt der ganze große Platz allent¬
halben von Lampen und Fackeln.

Von den Ceremonien, mit welchen die Derwische dieses Fest begehen, ist
die des „Dosch" die merkwürdigste. Dosel) heißt das Treten, und die Sache
besteht darin, daß der Schech der Saadijeh über eine Anzahl der Seinen, die
sich auf den Boden gelegt hat, hinreitet. Derselbe begibt sich/ nachdem
er vorher mehre Tage in der Einsamkeit mit religiösen Uebungen verbracht hat,
um die bestimmte Stunde nach einer Moschee, um zu beten. Einige Zeit nach
Mittag verläßt er dieselbe, um nach dem Hause des Schech El Bekri zu reiten,
welcher, wie bemerkt, an dem Esbekiehplatz wohnt und daS sichtbare Oberhaupt
aller Derwische Aegyptens ist. Auf dem Wege dahin gesellen sich Massen
von Saadijeh zu ihm, welche truppweise mit ihren Bannern aus den ver¬
schiedenen Quartieren der Stadt herbeiziehen und sich zu einer langen, Pro¬
cession ordnen. Diese Schreiter langsam vor ihm her bis in die Nähe des er¬
wähnten Hauses, wo diejenigen von ihnen, welche sich dem Dosch unterwerfen
wollen, heraustreten und sich, einer dicht neben den andern, mit grade aus¬
gestreckten Beinen, den Rücken nach oben gekehrt, die Arme unter der Stirn
gekreuzt, auf den Boden legen. Man sagte uns, daß dies früher von einer
sehr großen Anzahl, oft von Hunderten geschehen, daß jetzt aber der Eiser sehr
erkaltet sei, und eS wurde hinzugefügt, daß wiederholt die Polizeisoldaten, welche
die Procession begleiten, Zuschauer durch Stockschläge sich ebenfalls niederzu¬
legen gezwungen oder wenigstens solche, die schon gelegen, aber sich inzwischen
eines Bessern besonnen, am Ausstehen gehindert hätten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/508>, abgerufen am 01.09.2024.