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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Der Schauplatz des letzteren ist die Moschee, wo das Haupt Hossains
fich befindet, und deren unmittelbare Nachbarschaft. Die Moschee ist dann mit
zahlreichen Laternen und vielen zum Theil sehr großen Wachskerzen erleuchtet,
die Läden in ihrer Umgebung stehen die ganze Nacht offen, ebenso die Kaffee¬
häuser und die Boutiquen der Scherbetvertaufcr, vor denen Musikanten spielen,
Märchenerzähler ihre Vorträge halten und Sänger Liebeslieder und Romanzen
von Abu Said und Antar absingen. Auf den gleichfalls illuminirten Straßen
ist ein großes Gedränge, ein noch größeres herrscht in der Moschee, namentlich
in dem Säulengange und in dem Kuppelsaale, in dem sich daS Grab deS
Heiligen befindet. An der einen Stelle sitzen Reihen von Frommen sich die
Gesichter zukehrend auf dem Boden und recitiren mit singendem Tone und
unter steten Verbeugungen Korancapitel. An einer andern sind andere be¬
schäftigt. Segensspruche und Lobpreisungen res Propheten aus Gebetbüchern
abzulesen, was ebenfalls so laut wie möglich geschieht. Wieder an einer
andern unterhalten sich Gruppen von Leuten, welche die bloße Schaulust und
das Verlangen, gute Freunde zu treffen, hergeführt hat, und von da und dort
her erschallen, das Stimmengewirr übertäubend, die wilden Gesänge und die
taktmäßigen Allahrufe von Derwischen, welche hier an verschiedenen Stellen
zugleich ihre ZikrS aufführen. Von Zeit zu Zeit kommt durch die Pforte mit
Pauken, Pfeifen und Becken, begleitet von Laternenträgern, ein neuer Zug
dieser seltsamen Gesellen, geht nach der Grabkapelle, umschreitet daS Grabmal,
sagt das erste Capitel des Koran her und läßt sich dann, in die Säulenhalle
zurückgekehrt, zu einem Zikr nieder ober bewegt sich wieder zur Thür hinaus.

Besonders auffallend treten bei dieser Gelegenheit bisweilen die Esauijeh
auf, eine Sekte von Derwischen, welche meist aus Nordafrikanern, sogenannten
Mograbis, besteht. Sie setzen sich zunächst in einen Kreis. Dann schlagen
alle mit Ausnahme des Schechs die Tamburins oder Kesselpauken, mit denen
sie versehen sind, und ein Theil von ihnen springt empor, um unter dem Rufe
"Allah Maulana!" (Gott unser Herr!) einen ungemein grotesken Tanz aus¬
zuführen, bei dem sie sich vollkommen wie Wahnsinnige geberden, bald sich ver¬
beugen, bald sich wie Kreisel drehen, bald die Arme emporwerfen, hüpfen und
unter Geheul Grimassen schneiden, bis endlich der eine und der andere von
solcher Tollheit ergriffen wird, daß er auf das mittlerweile in die Mitte des
Kreises gestellte Kohlenbecken losstürzt und von den glühenden Kohlen zu essen
beginnt.

In einem Falle, den uns ein Augenzeuge mittheilte, wurde daS Becken
förmlich herumgereicht, als ob es Früchte oder Kuchen enthielte, und alle lang¬
ten sich zu. scheußlich soll es ausgesehen haben, wie diese Fanatiker die
feurige Speise zwischen die Zähne nahmen, sie durch hastiges Athmen bis zum
Weißglühen erhitzten, sie dann auf die Zunge gleiten ließen, sie noch mehr


Der Schauplatz des letzteren ist die Moschee, wo das Haupt Hossains
fich befindet, und deren unmittelbare Nachbarschaft. Die Moschee ist dann mit
zahlreichen Laternen und vielen zum Theil sehr großen Wachskerzen erleuchtet,
die Läden in ihrer Umgebung stehen die ganze Nacht offen, ebenso die Kaffee¬
häuser und die Boutiquen der Scherbetvertaufcr, vor denen Musikanten spielen,
Märchenerzähler ihre Vorträge halten und Sänger Liebeslieder und Romanzen
von Abu Said und Antar absingen. Auf den gleichfalls illuminirten Straßen
ist ein großes Gedränge, ein noch größeres herrscht in der Moschee, namentlich
in dem Säulengange und in dem Kuppelsaale, in dem sich daS Grab deS
Heiligen befindet. An der einen Stelle sitzen Reihen von Frommen sich die
Gesichter zukehrend auf dem Boden und recitiren mit singendem Tone und
unter steten Verbeugungen Korancapitel. An einer andern sind andere be¬
schäftigt. Segensspruche und Lobpreisungen res Propheten aus Gebetbüchern
abzulesen, was ebenfalls so laut wie möglich geschieht. Wieder an einer
andern unterhalten sich Gruppen von Leuten, welche die bloße Schaulust und
das Verlangen, gute Freunde zu treffen, hergeführt hat, und von da und dort
her erschallen, das Stimmengewirr übertäubend, die wilden Gesänge und die
taktmäßigen Allahrufe von Derwischen, welche hier an verschiedenen Stellen
zugleich ihre ZikrS aufführen. Von Zeit zu Zeit kommt durch die Pforte mit
Pauken, Pfeifen und Becken, begleitet von Laternenträgern, ein neuer Zug
dieser seltsamen Gesellen, geht nach der Grabkapelle, umschreitet daS Grabmal,
sagt das erste Capitel des Koran her und läßt sich dann, in die Säulenhalle
zurückgekehrt, zu einem Zikr nieder ober bewegt sich wieder zur Thür hinaus.

Besonders auffallend treten bei dieser Gelegenheit bisweilen die Esauijeh
auf, eine Sekte von Derwischen, welche meist aus Nordafrikanern, sogenannten
Mograbis, besteht. Sie setzen sich zunächst in einen Kreis. Dann schlagen
alle mit Ausnahme des Schechs die Tamburins oder Kesselpauken, mit denen
sie versehen sind, und ein Theil von ihnen springt empor, um unter dem Rufe
„Allah Maulana!" (Gott unser Herr!) einen ungemein grotesken Tanz aus¬
zuführen, bei dem sie sich vollkommen wie Wahnsinnige geberden, bald sich ver¬
beugen, bald sich wie Kreisel drehen, bald die Arme emporwerfen, hüpfen und
unter Geheul Grimassen schneiden, bis endlich der eine und der andere von
solcher Tollheit ergriffen wird, daß er auf das mittlerweile in die Mitte des
Kreises gestellte Kohlenbecken losstürzt und von den glühenden Kohlen zu essen
beginnt.

In einem Falle, den uns ein Augenzeuge mittheilte, wurde daS Becken
förmlich herumgereicht, als ob es Früchte oder Kuchen enthielte, und alle lang¬
ten sich zu. scheußlich soll es ausgesehen haben, wie diese Fanatiker die
feurige Speise zwischen die Zähne nahmen, sie durch hastiges Athmen bis zum
Weißglühen erhitzten, sie dann auf die Zunge gleiten ließen, sie noch mehr


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[0506] Der Schauplatz des letzteren ist die Moschee, wo das Haupt Hossains fich befindet, und deren unmittelbare Nachbarschaft. Die Moschee ist dann mit zahlreichen Laternen und vielen zum Theil sehr großen Wachskerzen erleuchtet, die Läden in ihrer Umgebung stehen die ganze Nacht offen, ebenso die Kaffee¬ häuser und die Boutiquen der Scherbetvertaufcr, vor denen Musikanten spielen, Märchenerzähler ihre Vorträge halten und Sänger Liebeslieder und Romanzen von Abu Said und Antar absingen. Auf den gleichfalls illuminirten Straßen ist ein großes Gedränge, ein noch größeres herrscht in der Moschee, namentlich in dem Säulengange und in dem Kuppelsaale, in dem sich daS Grab deS Heiligen befindet. An der einen Stelle sitzen Reihen von Frommen sich die Gesichter zukehrend auf dem Boden und recitiren mit singendem Tone und unter steten Verbeugungen Korancapitel. An einer andern sind andere be¬ schäftigt. Segensspruche und Lobpreisungen res Propheten aus Gebetbüchern abzulesen, was ebenfalls so laut wie möglich geschieht. Wieder an einer andern unterhalten sich Gruppen von Leuten, welche die bloße Schaulust und das Verlangen, gute Freunde zu treffen, hergeführt hat, und von da und dort her erschallen, das Stimmengewirr übertäubend, die wilden Gesänge und die taktmäßigen Allahrufe von Derwischen, welche hier an verschiedenen Stellen zugleich ihre ZikrS aufführen. Von Zeit zu Zeit kommt durch die Pforte mit Pauken, Pfeifen und Becken, begleitet von Laternenträgern, ein neuer Zug dieser seltsamen Gesellen, geht nach der Grabkapelle, umschreitet daS Grabmal, sagt das erste Capitel des Koran her und läßt sich dann, in die Säulenhalle zurückgekehrt, zu einem Zikr nieder ober bewegt sich wieder zur Thür hinaus. Besonders auffallend treten bei dieser Gelegenheit bisweilen die Esauijeh auf, eine Sekte von Derwischen, welche meist aus Nordafrikanern, sogenannten Mograbis, besteht. Sie setzen sich zunächst in einen Kreis. Dann schlagen alle mit Ausnahme des Schechs die Tamburins oder Kesselpauken, mit denen sie versehen sind, und ein Theil von ihnen springt empor, um unter dem Rufe „Allah Maulana!" (Gott unser Herr!) einen ungemein grotesken Tanz aus¬ zuführen, bei dem sie sich vollkommen wie Wahnsinnige geberden, bald sich ver¬ beugen, bald sich wie Kreisel drehen, bald die Arme emporwerfen, hüpfen und unter Geheul Grimassen schneiden, bis endlich der eine und der andere von solcher Tollheit ergriffen wird, daß er auf das mittlerweile in die Mitte des Kreises gestellte Kohlenbecken losstürzt und von den glühenden Kohlen zu essen beginnt. In einem Falle, den uns ein Augenzeuge mittheilte, wurde daS Becken förmlich herumgereicht, als ob es Früchte oder Kuchen enthielte, und alle lang¬ ten sich zu. scheußlich soll es ausgesehen haben, wie diese Fanatiker die feurige Speise zwischen die Zähne nahmen, sie durch hastiges Athmen bis zum Weißglühen erhitzten, sie dann auf die Zunge gleiten ließen, sie noch mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/506>, abgerufen am 01.09.2024.