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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Farrag genannt) ist. Ihre Farben sind roth und weiß, und sie zerfallen in mehre
Sekten, z.B. die El Benai, die Schinauijeh, die Schaarauijeh und die Auled
Ruch. Die Schinauijeh spielen eine Hauptrolle bei dem Feste, welches jähr¬
lich zweimal am Grabe des Said Achmed El Bidaui gefeiert wird und welches
einige Ähnlichkeit mit den Eselsfesten des christlichen Mittelalters hat, ja
vielleicht, wie anderes Morgenländische mit anderm Abendländischen, von der¬
selben heidnischen Wurzel stammt. Sie richten einen Esel ab, während der
Feierlichkeit ganz von selbst nach dem Grabe zu gehen und dort still zu stehen.
Das Volk drängt sich bann herzu und zupft dem Thiere die Haare aus der
Haut, um sie als Amulete zu gebrauchen. Die Auled Ruch zeichnen sich durch
ihre wunderliche Kleidung aus, die sie mit ihrer spitzen, oben mit einem Büschel
bunter Zeugstreifen verzierten Mütze, mit den unzähligen an Fäden hängenden
Kügelchen, die ihnen über Brust und Rücken hin und herbaumeln, mit ihren
Holzschwertern und ihrer aus Stricken geflochtenen Peitsche sofort als Possen¬
reißer charakteristrt.

i) Die Said Ibrahim, von einem andern hochverehrten Heiligen Aegyp-
tens, dem Said oder Sidi Ibrahim El Dasuki gestiftet, mit grünen Fahnen
und Turbanen. Von letzteren ist uns nur bekannt, baß sie in Alerandrien ein
Kloster haben, und daß unser Dragoman Hassan zu ihnen gehörte.

Diesen vier Orden ist, nach Hassan, von Mohammed die ganze Welt
oder der ganze Mond (der wackre Bursch mischte Englisch und Französisch
durcheinander und sagte: tour quÄrtörs c-t' tus morale) verheißen, und zwar
so, daß jeder Classe ein Viertel zugetheilt ist. Wer daran Theil haben will,
hat eine Art Profeß oder wenn man will, eine Art Freimaurercid abzulegen.
Der Murid b. h. der Novize, begibt sich zu dem Zwecke zum Schech des be¬
treffenden Ordens, vollzieht die vor jedem Gebet übliche Waschung und sagt
dann dem Meister, indem er sich zu ihm auf den Boden setzt und ihm die
Hand reicht, eine Formel nach, in der er Reue über seine Sünden ausspricht,
Gott um Vergebung derselben und "Erlösung vom Feuer" bittet, seinen Vor¬
satz, sich zu bessern erklärt und dann Allah zum Zeugen anruft, sich nie vom
Orden trennen zu wollen. Den Schluß der Ceremonie bildet ein dreimaliges:
"La nada illa las," ein gemeinschaftliches Hersagen deS ersten Capitels des
Koran und ein vom Muriden dem Schech gegebener Handkuß.

Der Zikr ist allen Orden gemeinschaftlich, doch weichen einzelne von der
im Obigen beschriebenen Form ab, was namentlich von den Maulauijeh, Per¬
sischen Derwischen gilt, nach deren Regel sich bei den Gottesdiensten nicht blos
der eine und der andere, sondern alle Theilnehmer zu drehen haben, und nur
der Schech still stehen bleibt. Das Heirathen ist den Derwischen im Allge¬
meinen nicht untersagt; hatte doch unser Hassan sich binnen vier Jahren drei
Frauen genommen. Indeß geschieht es bisweilen, daß einer das Gelübde der


Farrag genannt) ist. Ihre Farben sind roth und weiß, und sie zerfallen in mehre
Sekten, z.B. die El Benai, die Schinauijeh, die Schaarauijeh und die Auled
Ruch. Die Schinauijeh spielen eine Hauptrolle bei dem Feste, welches jähr¬
lich zweimal am Grabe des Said Achmed El Bidaui gefeiert wird und welches
einige Ähnlichkeit mit den Eselsfesten des christlichen Mittelalters hat, ja
vielleicht, wie anderes Morgenländische mit anderm Abendländischen, von der¬
selben heidnischen Wurzel stammt. Sie richten einen Esel ab, während der
Feierlichkeit ganz von selbst nach dem Grabe zu gehen und dort still zu stehen.
Das Volk drängt sich bann herzu und zupft dem Thiere die Haare aus der
Haut, um sie als Amulete zu gebrauchen. Die Auled Ruch zeichnen sich durch
ihre wunderliche Kleidung aus, die sie mit ihrer spitzen, oben mit einem Büschel
bunter Zeugstreifen verzierten Mütze, mit den unzähligen an Fäden hängenden
Kügelchen, die ihnen über Brust und Rücken hin und herbaumeln, mit ihren
Holzschwertern und ihrer aus Stricken geflochtenen Peitsche sofort als Possen¬
reißer charakteristrt.

i) Die Said Ibrahim, von einem andern hochverehrten Heiligen Aegyp-
tens, dem Said oder Sidi Ibrahim El Dasuki gestiftet, mit grünen Fahnen
und Turbanen. Von letzteren ist uns nur bekannt, baß sie in Alerandrien ein
Kloster haben, und daß unser Dragoman Hassan zu ihnen gehörte.

Diesen vier Orden ist, nach Hassan, von Mohammed die ganze Welt
oder der ganze Mond (der wackre Bursch mischte Englisch und Französisch
durcheinander und sagte: tour quÄrtörs c-t' tus morale) verheißen, und zwar
so, daß jeder Classe ein Viertel zugetheilt ist. Wer daran Theil haben will,
hat eine Art Profeß oder wenn man will, eine Art Freimaurercid abzulegen.
Der Murid b. h. der Novize, begibt sich zu dem Zwecke zum Schech des be¬
treffenden Ordens, vollzieht die vor jedem Gebet übliche Waschung und sagt
dann dem Meister, indem er sich zu ihm auf den Boden setzt und ihm die
Hand reicht, eine Formel nach, in der er Reue über seine Sünden ausspricht,
Gott um Vergebung derselben und „Erlösung vom Feuer" bittet, seinen Vor¬
satz, sich zu bessern erklärt und dann Allah zum Zeugen anruft, sich nie vom
Orden trennen zu wollen. Den Schluß der Ceremonie bildet ein dreimaliges:
„La nada illa las," ein gemeinschaftliches Hersagen deS ersten Capitels des
Koran und ein vom Muriden dem Schech gegebener Handkuß.

Der Zikr ist allen Orden gemeinschaftlich, doch weichen einzelne von der
im Obigen beschriebenen Form ab, was namentlich von den Maulauijeh, Per¬
sischen Derwischen gilt, nach deren Regel sich bei den Gottesdiensten nicht blos
der eine und der andere, sondern alle Theilnehmer zu drehen haben, und nur
der Schech still stehen bleibt. Das Heirathen ist den Derwischen im Allge¬
meinen nicht untersagt; hatte doch unser Hassan sich binnen vier Jahren drei
Frauen genommen. Indeß geschieht es bisweilen, daß einer das Gelübde der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/502>, abgerufen am 01.09.2024.