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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die Mittel zu diesem höchst wünschenswerten Zweck hat er zwar nicht
in ein System gebracht, aber man findet doch in seinen sämmtlichen Deductionen
zwei leitende Gedanken heraus: die Eintracht zwischen Oestreich und Preußen
und die Begünstigung der Mittelstaaten auf Kosten der kleinen.

Was das Erste betrifft, so können wir nur unsere Wünsche mit denen
des Verfassers vereinigen. Wenn Oestreich und Preußen in allen Punkten
einig wären, so würde in materieller Beziehung für Deutschland ein großer
Gewinn daraus hervorgehen, und wir würden eine Politik verfolgen können,
die von Rußland, England und Frankreich unabhängig wäre. Die Eintracht
zwischen den beiden Staaten ist nicht blos wünschenswert!), sie ist auch mög¬
lich. Wenn die beiderseitigen Staaten ihre positiven Interessen richtig ver-
ständen, so würden sie einsehen, daß sie sich in keinem Punkt ernsthaft wider¬
sprechen, ja sie würden mitunter zu ganz erstaunlichen Resultaten kommen, zu
Resultaten, mit denen diejenige Clqsse von Politikern, denen sich Herr Pz.
anreiht, am wenigsten zufrieden sein würde. Herr Pz. schreibt nämlich nicht
grade die Devise Bamberg auf seine Fahne, er mißbilligt sogar den einzelnen
Act, von dem sich diese Benennung herschreibt, indeß aus Gründen, die nicht
in der Natur der Sache liegen, sondern die von der momentanen Zweckmäßig¬
keit hergenommen sind; aber inoirect zielen alle seine Vorschläge dahin, die
bambergcr Politik möglich und wirksam zu machen.

Die östreichischen und preußischen Staatsmänner können sich einigen,
wenn sie alle vorgefaßten Meinungen, Leidenschaften, Sympathien, alle poli¬
tischen Ueberlieferungen zum Schweigen bringen. Eine solche Ueberwindung
deS Gefühls im Interesse deö Verstandes ist aber bei Staatsmännern ebenso
selten, wie bei Privatleuten. Sie ist um so seltener, je weitläufiger Die Be¬
rechnung ist, die der Verstand anstellen müßte, um seine Auffassung geltend
zu machen. Auch die Staatsmänner sehen in der Regel nur daS Nächstlie¬
gende, und daS Nächstliegende ist in diesem Fall, daß Oestreich und Preußen
Concurrenten um denselben Preis sind, daß also der eine wie der andere Staat
dahin arbeiten muß, den Spielraum seines Nebenbuhlers einzuengen. Ein be¬
denklicher Umstand ist ferner, daß ein reales EinVerständniß nur in dem Fall
möglich ist, wenn sich auf beiden Seiten die richtige Einsicht geltend macht,
und hier müssen wir zunächst hervorheben, daß Herr Pz. im höchsten Grabe
Unrecht hat, wenn er in Bezug auf die neueste Geschichte Preußen alle Schuld
zuschreibt.

Ein Staat, der den aufrichtigen Willen hat, einen benachbarten Staat zu
gewinnen, wird es als eine willkommene Gelegenheit mit Freuden ergreifen,
wenn er ihn in einer Angelegenheit verpflichten kann, die nicht einen realen,
sondern einen idealen, d. h. imaginären Werth hat. Eine solche Gelegen¬
heit bot sich Oestreich in der neuenburger Frage. Herr Pz. declamirt sehr aus-


Die Mittel zu diesem höchst wünschenswerten Zweck hat er zwar nicht
in ein System gebracht, aber man findet doch in seinen sämmtlichen Deductionen
zwei leitende Gedanken heraus: die Eintracht zwischen Oestreich und Preußen
und die Begünstigung der Mittelstaaten auf Kosten der kleinen.

Was das Erste betrifft, so können wir nur unsere Wünsche mit denen
des Verfassers vereinigen. Wenn Oestreich und Preußen in allen Punkten
einig wären, so würde in materieller Beziehung für Deutschland ein großer
Gewinn daraus hervorgehen, und wir würden eine Politik verfolgen können,
die von Rußland, England und Frankreich unabhängig wäre. Die Eintracht
zwischen den beiden Staaten ist nicht blos wünschenswert!), sie ist auch mög¬
lich. Wenn die beiderseitigen Staaten ihre positiven Interessen richtig ver-
ständen, so würden sie einsehen, daß sie sich in keinem Punkt ernsthaft wider¬
sprechen, ja sie würden mitunter zu ganz erstaunlichen Resultaten kommen, zu
Resultaten, mit denen diejenige Clqsse von Politikern, denen sich Herr Pz.
anreiht, am wenigsten zufrieden sein würde. Herr Pz. schreibt nämlich nicht
grade die Devise Bamberg auf seine Fahne, er mißbilligt sogar den einzelnen
Act, von dem sich diese Benennung herschreibt, indeß aus Gründen, die nicht
in der Natur der Sache liegen, sondern die von der momentanen Zweckmäßig¬
keit hergenommen sind; aber inoirect zielen alle seine Vorschläge dahin, die
bambergcr Politik möglich und wirksam zu machen.

Die östreichischen und preußischen Staatsmänner können sich einigen,
wenn sie alle vorgefaßten Meinungen, Leidenschaften, Sympathien, alle poli¬
tischen Ueberlieferungen zum Schweigen bringen. Eine solche Ueberwindung
deS Gefühls im Interesse deö Verstandes ist aber bei Staatsmännern ebenso
selten, wie bei Privatleuten. Sie ist um so seltener, je weitläufiger Die Be¬
rechnung ist, die der Verstand anstellen müßte, um seine Auffassung geltend
zu machen. Auch die Staatsmänner sehen in der Regel nur daS Nächstlie¬
gende, und daS Nächstliegende ist in diesem Fall, daß Oestreich und Preußen
Concurrenten um denselben Preis sind, daß also der eine wie der andere Staat
dahin arbeiten muß, den Spielraum seines Nebenbuhlers einzuengen. Ein be¬
denklicher Umstand ist ferner, daß ein reales EinVerständniß nur in dem Fall
möglich ist, wenn sich auf beiden Seiten die richtige Einsicht geltend macht,
und hier müssen wir zunächst hervorheben, daß Herr Pz. im höchsten Grabe
Unrecht hat, wenn er in Bezug auf die neueste Geschichte Preußen alle Schuld
zuschreibt.

Ein Staat, der den aufrichtigen Willen hat, einen benachbarten Staat zu
gewinnen, wird es als eine willkommene Gelegenheit mit Freuden ergreifen,
wenn er ihn in einer Angelegenheit verpflichten kann, die nicht einen realen,
sondern einen idealen, d. h. imaginären Werth hat. Eine solche Gelegen¬
heit bot sich Oestreich in der neuenburger Frage. Herr Pz. declamirt sehr aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/50>, abgerufen am 28.07.2024.