Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Abschluß deS ersten Theils des "Faust", der erste Theil der "Pandora"
füllen neben kleineren Schöpfungen die Zeit bis ins Jahr 1807 und es findet
sich bis dahin keine Lücke, in welche sich mit Wahrscheinlichkeit die Muße zur
Beschäftigung mit einem neuen Trauerspiele einschieben ließe.

Jetzt sind aber für unsre Frage die Worte von Wichtigkeit, mit denen
Goethe in den Tages- und Jahresheften 1807 den standhaften Prinzen wieder
bespricht; sie lauten: "Eine höhere Bedeutung für die Zukunft gab sodann
der standhafte Prinz, der, wie er einmal zur Sprache gekommen, im Stillen
unaufhaltsam fortwirkte." Berücksichtigt man, daß dem Zusammenhange nach
diese gehaltvollen Worte auf Goethe selbst zu beziehen sind, so läßt sich nicht
verkennen, daß sie sehr nachdrücklich auf die Vorbereitung eines größern Werks,
das im standhaften Prinzen seine Grundlage hat, hinweisen. Die Bearbeitung
desselben für die Aufführung kann damit nicht gemeint sein; denn da diese
Goethe 1810 viele Unruhe machte und doch erst zum Schlüsse des Jahres
zu Stande kam, so kann sie ihn nicht schon 1807 so durch und durch beschäftigt
haben, um jene gewichtigen Worte zu rechtfertigen. Bemerkenswerth ist auch,
daß nach der 1807 beendigten Pandora eine Lücke in Goethes bekannten Büh¬
nenarbeiten wahrzunehmen ist, wie sonst in seinem ganzen Leben bis 1817 nicht.

Ueberblicken wir diese Umstände, so werden wir eine auf Calderon gegrün¬
dete Bühnenarbeit Goethes gegen das Ende des Jahres 1807 oder spätestens
in den Anfang des folgenden zu setzen haben. Wäre indessen nicht jene Er¬
wähnung in den Annalen von 1807, so wären auch die Jahre bis 1810
von der Annahme, daß aus ihnen eine solche Arbeit herrühre, nicht ausge¬
schlossen; ein späteres Jahr könnte aber keinesfalls in Frage kommen, da Goethe
nach der Vorstellung des standhaften Prinzen sich nicht mehr enthusiastisch,
sondern nur geschäftsmäßig oder kritisch gegen das spanische Theater ".erhält.
Zur weitern Bestätigung dieser Entwicklung stellt eine andere Auslassung
Goethes diese Grenzen sest. In seinem Aufsatz "Epochen deutscher Literatur" ^)
gibt er nämlich für die Zeit von 1790 bis 1810 "spanische Cultur" an. Diese
Epochen hat er unverkennbar wesentlich nach seinem eignen Bildungsgange
entworfen, waS hier schon daraus hervorleuchtet, daß bekanntlich für andere
deutsche Dichter die spanische Epoche und ihre Nachwehen 1810 noch keines¬
wegs vorüber waren, obwol er nicht vermeiden konnte, dasjenige Jahr wirklich
als Anfangspunkt der spanischen Literatur in Deutschland zu bezeichnen, in wel¬
chem sie hier zuerst Aufsehen erregte, ihm aber vorerst noch ein wesenloser
Klang blieb. Zu dieser aus die Voraussetzung einer erfolgten Nachbildung
Calderons gegründeten Zeitbestimmung für die Entstehung der Fragmente einer
Tragödie waren wir gelangt, bevor wir Riemers Mittheilungen darüber zu Rathe



Werke, B. 32, S. 423,

der Abschluß deS ersten Theils des „Faust", der erste Theil der „Pandora"
füllen neben kleineren Schöpfungen die Zeit bis ins Jahr 1807 und es findet
sich bis dahin keine Lücke, in welche sich mit Wahrscheinlichkeit die Muße zur
Beschäftigung mit einem neuen Trauerspiele einschieben ließe.

Jetzt sind aber für unsre Frage die Worte von Wichtigkeit, mit denen
Goethe in den Tages- und Jahresheften 1807 den standhaften Prinzen wieder
bespricht; sie lauten: „Eine höhere Bedeutung für die Zukunft gab sodann
der standhafte Prinz, der, wie er einmal zur Sprache gekommen, im Stillen
unaufhaltsam fortwirkte." Berücksichtigt man, daß dem Zusammenhange nach
diese gehaltvollen Worte auf Goethe selbst zu beziehen sind, so läßt sich nicht
verkennen, daß sie sehr nachdrücklich auf die Vorbereitung eines größern Werks,
das im standhaften Prinzen seine Grundlage hat, hinweisen. Die Bearbeitung
desselben für die Aufführung kann damit nicht gemeint sein; denn da diese
Goethe 1810 viele Unruhe machte und doch erst zum Schlüsse des Jahres
zu Stande kam, so kann sie ihn nicht schon 1807 so durch und durch beschäftigt
haben, um jene gewichtigen Worte zu rechtfertigen. Bemerkenswerth ist auch,
daß nach der 1807 beendigten Pandora eine Lücke in Goethes bekannten Büh¬
nenarbeiten wahrzunehmen ist, wie sonst in seinem ganzen Leben bis 1817 nicht.

Ueberblicken wir diese Umstände, so werden wir eine auf Calderon gegrün¬
dete Bühnenarbeit Goethes gegen das Ende des Jahres 1807 oder spätestens
in den Anfang des folgenden zu setzen haben. Wäre indessen nicht jene Er¬
wähnung in den Annalen von 1807, so wären auch die Jahre bis 1810
von der Annahme, daß aus ihnen eine solche Arbeit herrühre, nicht ausge¬
schlossen; ein späteres Jahr könnte aber keinesfalls in Frage kommen, da Goethe
nach der Vorstellung des standhaften Prinzen sich nicht mehr enthusiastisch,
sondern nur geschäftsmäßig oder kritisch gegen das spanische Theater ».erhält.
Zur weitern Bestätigung dieser Entwicklung stellt eine andere Auslassung
Goethes diese Grenzen sest. In seinem Aufsatz „Epochen deutscher Literatur" ^)
gibt er nämlich für die Zeit von 1790 bis 1810 „spanische Cultur" an. Diese
Epochen hat er unverkennbar wesentlich nach seinem eignen Bildungsgange
entworfen, waS hier schon daraus hervorleuchtet, daß bekanntlich für andere
deutsche Dichter die spanische Epoche und ihre Nachwehen 1810 noch keines¬
wegs vorüber waren, obwol er nicht vermeiden konnte, dasjenige Jahr wirklich
als Anfangspunkt der spanischen Literatur in Deutschland zu bezeichnen, in wel¬
chem sie hier zuerst Aufsehen erregte, ihm aber vorerst noch ein wesenloser
Klang blieb. Zu dieser aus die Voraussetzung einer erfolgten Nachbildung
Calderons gegründeten Zeitbestimmung für die Entstehung der Fragmente einer
Tragödie waren wir gelangt, bevor wir Riemers Mittheilungen darüber zu Rathe



Werke, B. 32, S. 423,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104165"/>
          <p xml:id="ID_1410" prev="#ID_1409"> der Abschluß deS ersten Theils des &#x201E;Faust", der erste Theil der &#x201E;Pandora"<lb/>
füllen neben kleineren Schöpfungen die Zeit bis ins Jahr 1807 und es findet<lb/>
sich bis dahin keine Lücke, in welche sich mit Wahrscheinlichkeit die Muße zur<lb/>
Beschäftigung mit einem neuen Trauerspiele einschieben ließe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1411"> Jetzt sind aber für unsre Frage die Worte von Wichtigkeit, mit denen<lb/>
Goethe in den Tages- und Jahresheften 1807 den standhaften Prinzen wieder<lb/>
bespricht; sie lauten: &#x201E;Eine höhere Bedeutung für die Zukunft gab sodann<lb/>
der standhafte Prinz, der, wie er einmal zur Sprache gekommen, im Stillen<lb/>
unaufhaltsam fortwirkte." Berücksichtigt man, daß dem Zusammenhange nach<lb/>
diese gehaltvollen Worte auf Goethe selbst zu beziehen sind, so läßt sich nicht<lb/>
verkennen, daß sie sehr nachdrücklich auf die Vorbereitung eines größern Werks,<lb/>
das im standhaften Prinzen seine Grundlage hat, hinweisen. Die Bearbeitung<lb/>
desselben für die Aufführung kann damit nicht gemeint sein; denn da diese<lb/>
Goethe 1810 viele Unruhe machte und doch erst zum Schlüsse des Jahres<lb/>
zu Stande kam, so kann sie ihn nicht schon 1807 so durch und durch beschäftigt<lb/>
haben, um jene gewichtigen Worte zu rechtfertigen. Bemerkenswerth ist auch,<lb/>
daß nach der 1807 beendigten Pandora eine Lücke in Goethes bekannten Büh¬<lb/>
nenarbeiten wahrzunehmen ist, wie sonst in seinem ganzen Leben bis 1817 nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1412" next="#ID_1413"> Ueberblicken wir diese Umstände, so werden wir eine auf Calderon gegrün¬<lb/>
dete Bühnenarbeit Goethes gegen das Ende des Jahres 1807 oder spätestens<lb/>
in den Anfang des folgenden zu setzen haben. Wäre indessen nicht jene Er¬<lb/>
wähnung in den Annalen von 1807, so wären auch die Jahre bis 1810<lb/>
von der Annahme, daß aus ihnen eine solche Arbeit herrühre, nicht ausge¬<lb/>
schlossen; ein späteres Jahr könnte aber keinesfalls in Frage kommen, da Goethe<lb/>
nach der Vorstellung des standhaften Prinzen sich nicht mehr enthusiastisch,<lb/>
sondern nur geschäftsmäßig oder kritisch gegen das spanische Theater ».erhält.<lb/>
Zur weitern Bestätigung dieser Entwicklung stellt eine andere Auslassung<lb/>
Goethes diese Grenzen sest. In seinem Aufsatz &#x201E;Epochen deutscher Literatur" ^)<lb/>
gibt er nämlich für die Zeit von 1790 bis 1810 &#x201E;spanische Cultur" an. Diese<lb/>
Epochen hat er unverkennbar wesentlich nach seinem eignen Bildungsgange<lb/>
entworfen, waS hier schon daraus hervorleuchtet, daß bekanntlich für andere<lb/>
deutsche Dichter die spanische Epoche und ihre Nachwehen 1810 noch keines¬<lb/>
wegs vorüber waren, obwol er nicht vermeiden konnte, dasjenige Jahr wirklich<lb/>
als Anfangspunkt der spanischen Literatur in Deutschland zu bezeichnen, in wel¬<lb/>
chem sie hier zuerst Aufsehen erregte, ihm aber vorerst noch ein wesenloser<lb/>
Klang blieb. Zu dieser aus die Voraussetzung einer erfolgten Nachbildung<lb/>
Calderons gegründeten Zeitbestimmung für die Entstehung der Fragmente einer<lb/>
Tragödie waren wir gelangt, bevor wir Riemers Mittheilungen darüber zu Rathe</p><lb/>
          <note xml:id="FID_62" place="foot"> Werke, B. 32, S. 423,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] der Abschluß deS ersten Theils des „Faust", der erste Theil der „Pandora" füllen neben kleineren Schöpfungen die Zeit bis ins Jahr 1807 und es findet sich bis dahin keine Lücke, in welche sich mit Wahrscheinlichkeit die Muße zur Beschäftigung mit einem neuen Trauerspiele einschieben ließe. Jetzt sind aber für unsre Frage die Worte von Wichtigkeit, mit denen Goethe in den Tages- und Jahresheften 1807 den standhaften Prinzen wieder bespricht; sie lauten: „Eine höhere Bedeutung für die Zukunft gab sodann der standhafte Prinz, der, wie er einmal zur Sprache gekommen, im Stillen unaufhaltsam fortwirkte." Berücksichtigt man, daß dem Zusammenhange nach diese gehaltvollen Worte auf Goethe selbst zu beziehen sind, so läßt sich nicht verkennen, daß sie sehr nachdrücklich auf die Vorbereitung eines größern Werks, das im standhaften Prinzen seine Grundlage hat, hinweisen. Die Bearbeitung desselben für die Aufführung kann damit nicht gemeint sein; denn da diese Goethe 1810 viele Unruhe machte und doch erst zum Schlüsse des Jahres zu Stande kam, so kann sie ihn nicht schon 1807 so durch und durch beschäftigt haben, um jene gewichtigen Worte zu rechtfertigen. Bemerkenswerth ist auch, daß nach der 1807 beendigten Pandora eine Lücke in Goethes bekannten Büh¬ nenarbeiten wahrzunehmen ist, wie sonst in seinem ganzen Leben bis 1817 nicht. Ueberblicken wir diese Umstände, so werden wir eine auf Calderon gegrün¬ dete Bühnenarbeit Goethes gegen das Ende des Jahres 1807 oder spätestens in den Anfang des folgenden zu setzen haben. Wäre indessen nicht jene Er¬ wähnung in den Annalen von 1807, so wären auch die Jahre bis 1810 von der Annahme, daß aus ihnen eine solche Arbeit herrühre, nicht ausge¬ schlossen; ein späteres Jahr könnte aber keinesfalls in Frage kommen, da Goethe nach der Vorstellung des standhaften Prinzen sich nicht mehr enthusiastisch, sondern nur geschäftsmäßig oder kritisch gegen das spanische Theater ».erhält. Zur weitern Bestätigung dieser Entwicklung stellt eine andere Auslassung Goethes diese Grenzen sest. In seinem Aufsatz „Epochen deutscher Literatur" ^) gibt er nämlich für die Zeit von 1790 bis 1810 „spanische Cultur" an. Diese Epochen hat er unverkennbar wesentlich nach seinem eignen Bildungsgange entworfen, waS hier schon daraus hervorleuchtet, daß bekanntlich für andere deutsche Dichter die spanische Epoche und ihre Nachwehen 1810 noch keines¬ wegs vorüber waren, obwol er nicht vermeiden konnte, dasjenige Jahr wirklich als Anfangspunkt der spanischen Literatur in Deutschland zu bezeichnen, in wel¬ chem sie hier zuerst Aufsehen erregte, ihm aber vorerst noch ein wesenloser Klang blieb. Zu dieser aus die Voraussetzung einer erfolgten Nachbildung Calderons gegründeten Zeitbestimmung für die Entstehung der Fragmente einer Tragödie waren wir gelangt, bevor wir Riemers Mittheilungen darüber zu Rathe Werke, B. 32, S. 423,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/498>, abgerufen am 01.09.2024.