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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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singen der Krankheiten ist wirksamer als .die Hilfe deö Arztes, der am Ende
gegen den Tod auch kein Kraut anzugeben weiß;*) u. s. w. Leider ist aber
auch seine Religion, an der er mit Fanatismus hängt, nicht frei von ähnlicher
Beimischung, Wenn er an dem Tage dieses oder jenes Heiligen arbeitet, so
trifft der Hagel sein Feld; ein anderer Heiliger rächt sich indem er den
ihn Nichtachtenden Hand oder Fuß mit der Art beschädigt; noch andere
richten ihr Augenmerk auf Vieh und Geflügel, oder lassen das.Feuer heraus¬
schlagen aus dem Strohdach, wenn man ihren Feiertag nicht heiligt.

Aber nicht der Aberglaube allein legt seinem Geiste Fesseln an, auch die
Traditionen der Knechtschaft lasten noch augenscheinlich auf dem moldauischen
Bauer, und wie schwer ein ganzer Volksstamm solche Traditionen von sich
abschüttelt, bedarf wol hier keiner Erörterung. Die Leibeigenschaft ist schon
seit mehr als hundert Jahren aufgehoben; was aber im Laufe dieses Jahr¬
hunderts an die Stelle kam, war nicht viel besser. Der Bauer sieht
daher gedrückt aus, zieht den Hut schon von sern vor jeder herrschaftlichen
Equipage. Erst seit der Regulirung seiner Verhältnisse durch das unter der
provisorischen russischen Regierung im Jahre 1834 aufgesetzte organische Reg¬
lement hat er angefangen den Gutsbesitzer zu fragen: Herr, wofür soll ich
Dir diese oder jene Arbeit leisten, und was gibst Du mir dafür?




Korrespondenzen.
Paris,

Die Wahlen und die Parteien. Der Wahl¬
kampf hat begonnen, wenn bei dieser allgemeinen Apathie von einem Kampfe die
Rede sein kann. Die Oppositionsparteien schienen anfänglich geneigt, sich an den
Wahlen zu betheiligen und das allgemeine Stimmrecht, welches officiell als Fels
ausgerufen ist, auf welchem das neue Kaiserreich beruht, beim Worte zu nehmen.
Die Regierung hat sich nämlich so angestellt, als wäre ihr eine Messung der gegen¬
seitigen Kräfte erwünscht. Es zeigte sich aber bald, daß ° dies bloße Redensart
war. Im Grunde ist man jetzt ebensowenig als früher geneigt, gefährliche Ver-
suche zu machen und begnügt sich vollkommen mit dem, was man hat. Nach dem
Rundschreiben des Herrn Billault an die Präfecten und nach der officiösen Deu-



Es gibt in jedem Dorf wenigstens ein altes Weib, das durch ärztliche Kenntnisse
berühmt ist. Das Hauptmittel, bleibt das Wegsiugen, nebenbei aber bedienen sie sich der
eigenthümlichsten Arzneien. Hollunderrinde von oben nach unten geschabt, wirkt als Abführung,
von unten nach oben als Brechmittel. Gegen das so häufig vorkommende Wechselfieber reibt
man einen Frosch mit etwas Erde von einem Grabe tüchtig zusammen, trägt die Masse in
einen Lappen gehüllt Nenn Tage laug am Halse, und wirft sie dann in ein fließendes Wasser.
Solcher Heilmittel gibt es sehr viele.

singen der Krankheiten ist wirksamer als .die Hilfe deö Arztes, der am Ende
gegen den Tod auch kein Kraut anzugeben weiß;*) u. s. w. Leider ist aber
auch seine Religion, an der er mit Fanatismus hängt, nicht frei von ähnlicher
Beimischung, Wenn er an dem Tage dieses oder jenes Heiligen arbeitet, so
trifft der Hagel sein Feld; ein anderer Heiliger rächt sich indem er den
ihn Nichtachtenden Hand oder Fuß mit der Art beschädigt; noch andere
richten ihr Augenmerk auf Vieh und Geflügel, oder lassen das.Feuer heraus¬
schlagen aus dem Strohdach, wenn man ihren Feiertag nicht heiligt.

Aber nicht der Aberglaube allein legt seinem Geiste Fesseln an, auch die
Traditionen der Knechtschaft lasten noch augenscheinlich auf dem moldauischen
Bauer, und wie schwer ein ganzer Volksstamm solche Traditionen von sich
abschüttelt, bedarf wol hier keiner Erörterung. Die Leibeigenschaft ist schon
seit mehr als hundert Jahren aufgehoben; was aber im Laufe dieses Jahr¬
hunderts an die Stelle kam, war nicht viel besser. Der Bauer sieht
daher gedrückt aus, zieht den Hut schon von sern vor jeder herrschaftlichen
Equipage. Erst seit der Regulirung seiner Verhältnisse durch das unter der
provisorischen russischen Regierung im Jahre 1834 aufgesetzte organische Reg¬
lement hat er angefangen den Gutsbesitzer zu fragen: Herr, wofür soll ich
Dir diese oder jene Arbeit leisten, und was gibst Du mir dafür?




Korrespondenzen.
Paris,

Die Wahlen und die Parteien. Der Wahl¬
kampf hat begonnen, wenn bei dieser allgemeinen Apathie von einem Kampfe die
Rede sein kann. Die Oppositionsparteien schienen anfänglich geneigt, sich an den
Wahlen zu betheiligen und das allgemeine Stimmrecht, welches officiell als Fels
ausgerufen ist, auf welchem das neue Kaiserreich beruht, beim Worte zu nehmen.
Die Regierung hat sich nämlich so angestellt, als wäre ihr eine Messung der gegen¬
seitigen Kräfte erwünscht. Es zeigte sich aber bald, daß ° dies bloße Redensart
war. Im Grunde ist man jetzt ebensowenig als früher geneigt, gefährliche Ver-
suche zu machen und begnügt sich vollkommen mit dem, was man hat. Nach dem
Rundschreiben des Herrn Billault an die Präfecten und nach der officiösen Deu-



Es gibt in jedem Dorf wenigstens ein altes Weib, das durch ärztliche Kenntnisse
berühmt ist. Das Hauptmittel, bleibt das Wegsiugen, nebenbei aber bedienen sie sich der
eigenthümlichsten Arzneien. Hollunderrinde von oben nach unten geschabt, wirkt als Abführung,
von unten nach oben als Brechmittel. Gegen das so häufig vorkommende Wechselfieber reibt
man einen Frosch mit etwas Erde von einem Grabe tüchtig zusammen, trägt die Masse in
einen Lappen gehüllt Nenn Tage laug am Halse, und wirft sie dann in ein fließendes Wasser.
Solcher Heilmittel gibt es sehr viele.
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[0485] singen der Krankheiten ist wirksamer als .die Hilfe deö Arztes, der am Ende gegen den Tod auch kein Kraut anzugeben weiß;*) u. s. w. Leider ist aber auch seine Religion, an der er mit Fanatismus hängt, nicht frei von ähnlicher Beimischung, Wenn er an dem Tage dieses oder jenes Heiligen arbeitet, so trifft der Hagel sein Feld; ein anderer Heiliger rächt sich indem er den ihn Nichtachtenden Hand oder Fuß mit der Art beschädigt; noch andere richten ihr Augenmerk auf Vieh und Geflügel, oder lassen das.Feuer heraus¬ schlagen aus dem Strohdach, wenn man ihren Feiertag nicht heiligt. Aber nicht der Aberglaube allein legt seinem Geiste Fesseln an, auch die Traditionen der Knechtschaft lasten noch augenscheinlich auf dem moldauischen Bauer, und wie schwer ein ganzer Volksstamm solche Traditionen von sich abschüttelt, bedarf wol hier keiner Erörterung. Die Leibeigenschaft ist schon seit mehr als hundert Jahren aufgehoben; was aber im Laufe dieses Jahr¬ hunderts an die Stelle kam, war nicht viel besser. Der Bauer sieht daher gedrückt aus, zieht den Hut schon von sern vor jeder herrschaftlichen Equipage. Erst seit der Regulirung seiner Verhältnisse durch das unter der provisorischen russischen Regierung im Jahre 1834 aufgesetzte organische Reg¬ lement hat er angefangen den Gutsbesitzer zu fragen: Herr, wofür soll ich Dir diese oder jene Arbeit leisten, und was gibst Du mir dafür? Korrespondenzen. Paris, Die Wahlen und die Parteien. Der Wahl¬ kampf hat begonnen, wenn bei dieser allgemeinen Apathie von einem Kampfe die Rede sein kann. Die Oppositionsparteien schienen anfänglich geneigt, sich an den Wahlen zu betheiligen und das allgemeine Stimmrecht, welches officiell als Fels ausgerufen ist, auf welchem das neue Kaiserreich beruht, beim Worte zu nehmen. Die Regierung hat sich nämlich so angestellt, als wäre ihr eine Messung der gegen¬ seitigen Kräfte erwünscht. Es zeigte sich aber bald, daß ° dies bloße Redensart war. Im Grunde ist man jetzt ebensowenig als früher geneigt, gefährliche Ver- suche zu machen und begnügt sich vollkommen mit dem, was man hat. Nach dem Rundschreiben des Herrn Billault an die Präfecten und nach der officiösen Deu- Es gibt in jedem Dorf wenigstens ein altes Weib, das durch ärztliche Kenntnisse berühmt ist. Das Hauptmittel, bleibt das Wegsiugen, nebenbei aber bedienen sie sich der eigenthümlichsten Arzneien. Hollunderrinde von oben nach unten geschabt, wirkt als Abführung, von unten nach oben als Brechmittel. Gegen das so häufig vorkommende Wechselfieber reibt man einen Frosch mit etwas Erde von einem Grabe tüchtig zusammen, trägt die Masse in einen Lappen gehüllt Nenn Tage laug am Halse, und wirft sie dann in ein fließendes Wasser. Solcher Heilmittel gibt es sehr viele.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/485>, abgerufen am 28.07.2024.