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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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und die Bäume schütteln sich bei den Tönen eines schönen Liedes, eines Helden¬
gesanges, und dem Spiel auf dem knöchernen Horn, das dein Ohr wohlthut."

Fragen wir uns um den Eindruck, den diese Lieder machen, so ist er
kein ungünstiger für die Beurtheilung der Rumänen. Es sind Poesien einer
verdüsterten und verwilderten Volksseele. Aber man hört doch Töne her¬
aus, nach denen man schließen darf, daß dieser Seele keine der Saiten
fehlt, die zu harmonischem Empfinden erforderlich sind. Die Balladen und
lyrischen Stücke sind nicht schlechter, eher besser als die, welche unter dem
Landvolke Polens und Rußlands gesammelt worden sind. Sie klingen am
meisten an serbische und andere südslawische Lieder an, mit denen sie namentlich
den melancholischen Ton gemein haben, der bald mehr bald weniger deutlich
in ihrer Stimmung sich kundgibt. Auch der Orient klingt hindurch, von den
alten Römern dagegen, den theilweisen Stammvätern der Rumänen, ist nach
diesen Proben zu urtheilen eben nicht viel im Volke zurückgeblieben. --

Nach dieser Abschweifung lassen wir unsern Freund in der Moldau seine
Schilderungen weiter fortsetzen:

Die Sprache des rumänischen Bauern ist, bei aller ihrer Einfachheit,
reich an überraschenden Wendungen.*) Daß er weder schreiben noch lesen
lernt, ist für den Augenblick noch nicht zu verwundern. Die Negierung thut
Verschiedentliches, um Dorfschulen ins Leben zu rufen, aber dieselben finden
durchaus noch keinen Anklang. Die Stellung des Bauers ist der Art, daß er
nicht einsehn kann, wozu er lernen soll. Was er zu seiner Erbauung braucht,
liest ihm der Geistliche vor. Was er zu schreiben hat, und in den jetzigen
Verhältnissen bringt mancher sein Leben zu ohne diese Nothwendigkeit, setzt
ihm der Dorfschreiber auf; in der Wirthschaft vertritt ihm das Kerbholz die
Stelle der rechnenden Feder, und Correspondenzen führt er nicht. Sein Sohn
trägt ihm als Pflugknecht oder bei sonstiger Feldarbeit mehr ein, als wenn er
in die Schule ginge.

Bis ihm in, dieser Hinsicht mit Hilfe jetzt zu erwartender Veränderungen
in seiner materiellen Existenz ein Licht aufgehen wird, wird freilich der Kreis
seiner Vorstellungen ein sehr beschränkter sein müssen, und infolge dessen wuchert
der Aberglaube in ihm wie das Unkraut auf einem schlecht bearbeiteten Felde.
Es wäre interessant, in einem Bilde zusammengestellt zu sehn, waS ihm von
den alten Weibern von Kindesbeinen an als umstößliche Wahrheit eingeimpft
wird. "Das böse Auge" richtet Vieh und Menschen zu Grunde. Das Weg-



*) Der Bauer sagt von einem schlankgewachsener wohlausseheudeu Mann: er ist hoch
wie die Tanne und schön wie der Mai; von einem guten Menschen: er ist gut. wie der Busen
der Mutter; von einem schonen Weibe: sie ist el" Stück von der Sonne; von einem Hä߬
lichen: er hat einen häßlichen Vater gehabt; von einem jungergrauten Menschen: der Schnee
ist ihm früh aufs Haupt gefallen, u. s. w.

und die Bäume schütteln sich bei den Tönen eines schönen Liedes, eines Helden¬
gesanges, und dem Spiel auf dem knöchernen Horn, das dein Ohr wohlthut."

Fragen wir uns um den Eindruck, den diese Lieder machen, so ist er
kein ungünstiger für die Beurtheilung der Rumänen. Es sind Poesien einer
verdüsterten und verwilderten Volksseele. Aber man hört doch Töne her¬
aus, nach denen man schließen darf, daß dieser Seele keine der Saiten
fehlt, die zu harmonischem Empfinden erforderlich sind. Die Balladen und
lyrischen Stücke sind nicht schlechter, eher besser als die, welche unter dem
Landvolke Polens und Rußlands gesammelt worden sind. Sie klingen am
meisten an serbische und andere südslawische Lieder an, mit denen sie namentlich
den melancholischen Ton gemein haben, der bald mehr bald weniger deutlich
in ihrer Stimmung sich kundgibt. Auch der Orient klingt hindurch, von den
alten Römern dagegen, den theilweisen Stammvätern der Rumänen, ist nach
diesen Proben zu urtheilen eben nicht viel im Volke zurückgeblieben. —

Nach dieser Abschweifung lassen wir unsern Freund in der Moldau seine
Schilderungen weiter fortsetzen:

Die Sprache des rumänischen Bauern ist, bei aller ihrer Einfachheit,
reich an überraschenden Wendungen.*) Daß er weder schreiben noch lesen
lernt, ist für den Augenblick noch nicht zu verwundern. Die Negierung thut
Verschiedentliches, um Dorfschulen ins Leben zu rufen, aber dieselben finden
durchaus noch keinen Anklang. Die Stellung des Bauers ist der Art, daß er
nicht einsehn kann, wozu er lernen soll. Was er zu seiner Erbauung braucht,
liest ihm der Geistliche vor. Was er zu schreiben hat, und in den jetzigen
Verhältnissen bringt mancher sein Leben zu ohne diese Nothwendigkeit, setzt
ihm der Dorfschreiber auf; in der Wirthschaft vertritt ihm das Kerbholz die
Stelle der rechnenden Feder, und Correspondenzen führt er nicht. Sein Sohn
trägt ihm als Pflugknecht oder bei sonstiger Feldarbeit mehr ein, als wenn er
in die Schule ginge.

Bis ihm in, dieser Hinsicht mit Hilfe jetzt zu erwartender Veränderungen
in seiner materiellen Existenz ein Licht aufgehen wird, wird freilich der Kreis
seiner Vorstellungen ein sehr beschränkter sein müssen, und infolge dessen wuchert
der Aberglaube in ihm wie das Unkraut auf einem schlecht bearbeiteten Felde.
Es wäre interessant, in einem Bilde zusammengestellt zu sehn, waS ihm von
den alten Weibern von Kindesbeinen an als umstößliche Wahrheit eingeimpft
wird. „Das böse Auge" richtet Vieh und Menschen zu Grunde. Das Weg-



*) Der Bauer sagt von einem schlankgewachsener wohlausseheudeu Mann: er ist hoch
wie die Tanne und schön wie der Mai; von einem guten Menschen: er ist gut. wie der Busen
der Mutter; von einem schonen Weibe: sie ist el» Stück von der Sonne; von einem Hä߬
lichen: er hat einen häßlichen Vater gehabt; von einem jungergrauten Menschen: der Schnee
ist ihm früh aufs Haupt gefallen, u. s. w.
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[0484] und die Bäume schütteln sich bei den Tönen eines schönen Liedes, eines Helden¬ gesanges, und dem Spiel auf dem knöchernen Horn, das dein Ohr wohlthut." Fragen wir uns um den Eindruck, den diese Lieder machen, so ist er kein ungünstiger für die Beurtheilung der Rumänen. Es sind Poesien einer verdüsterten und verwilderten Volksseele. Aber man hört doch Töne her¬ aus, nach denen man schließen darf, daß dieser Seele keine der Saiten fehlt, die zu harmonischem Empfinden erforderlich sind. Die Balladen und lyrischen Stücke sind nicht schlechter, eher besser als die, welche unter dem Landvolke Polens und Rußlands gesammelt worden sind. Sie klingen am meisten an serbische und andere südslawische Lieder an, mit denen sie namentlich den melancholischen Ton gemein haben, der bald mehr bald weniger deutlich in ihrer Stimmung sich kundgibt. Auch der Orient klingt hindurch, von den alten Römern dagegen, den theilweisen Stammvätern der Rumänen, ist nach diesen Proben zu urtheilen eben nicht viel im Volke zurückgeblieben. — Nach dieser Abschweifung lassen wir unsern Freund in der Moldau seine Schilderungen weiter fortsetzen: Die Sprache des rumänischen Bauern ist, bei aller ihrer Einfachheit, reich an überraschenden Wendungen.*) Daß er weder schreiben noch lesen lernt, ist für den Augenblick noch nicht zu verwundern. Die Negierung thut Verschiedentliches, um Dorfschulen ins Leben zu rufen, aber dieselben finden durchaus noch keinen Anklang. Die Stellung des Bauers ist der Art, daß er nicht einsehn kann, wozu er lernen soll. Was er zu seiner Erbauung braucht, liest ihm der Geistliche vor. Was er zu schreiben hat, und in den jetzigen Verhältnissen bringt mancher sein Leben zu ohne diese Nothwendigkeit, setzt ihm der Dorfschreiber auf; in der Wirthschaft vertritt ihm das Kerbholz die Stelle der rechnenden Feder, und Correspondenzen führt er nicht. Sein Sohn trägt ihm als Pflugknecht oder bei sonstiger Feldarbeit mehr ein, als wenn er in die Schule ginge. Bis ihm in, dieser Hinsicht mit Hilfe jetzt zu erwartender Veränderungen in seiner materiellen Existenz ein Licht aufgehen wird, wird freilich der Kreis seiner Vorstellungen ein sehr beschränkter sein müssen, und infolge dessen wuchert der Aberglaube in ihm wie das Unkraut auf einem schlecht bearbeiteten Felde. Es wäre interessant, in einem Bilde zusammengestellt zu sehn, waS ihm von den alten Weibern von Kindesbeinen an als umstößliche Wahrheit eingeimpft wird. „Das böse Auge" richtet Vieh und Menschen zu Grunde. Das Weg- *) Der Bauer sagt von einem schlankgewachsener wohlausseheudeu Mann: er ist hoch wie die Tanne und schön wie der Mai; von einem guten Menschen: er ist gut. wie der Busen der Mutter; von einem schonen Weibe: sie ist el» Stück von der Sonne; von einem Hä߬ lichen: er hat einen häßlichen Vater gehabt; von einem jungergrauten Menschen: der Schnee ist ihm früh aufs Haupt gefallen, u. s. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/484>, abgerufen am 28.07.2024.