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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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das Vertrauen in der Geschäftswelt zu einer Leidenschaft geworden, seit wann
der Schrecken in Permanenz erklärt ist? Wie aber kann man denjenigen Credit,
wie ihn die Geschäftswelt versteht, beherrschen und obendrein durch eine Or¬
ganisation? Wir haben oben gesehen, daß ein Creditinstitut die Geschästs-
verhältnisse wol benachtheiligen, seltener beglücken kann, aber nicht indem-eS
"den Credit" organisirte, sondern Maßregeln ergriff, die auf den bereits or-
ganisirten Credit zurückwirkten, den Credit beherrschen heißt nichts anders, als
dem Verkehr im Einzelnen wie im Ganzen die Richtungen anweisen, wo er
gewährt und wo er versagt werden darf, also etwa dem einzelnen Kaufmann,
Fabrikanten, Rheder jedem in seiner Branche, oder etwa die Geschäftszweige
angeben und leiten, die das beste Creditgeben vertragen. Das sind aber alles
unmögliche Ausgaben, da hier jeder sür sich nach Maßgabe seiner Kräfte und
Ansichten allein handeln muß. Oder ist es etwa auch nur der Credit, den
ein großes Bankhaus, eine Diskontobank gewährt oder erhält? Das ist aber
schon längst dagewesen, höchstens daß Hr. Pereire noch mehr Geldmittel zu
demselben Zweck zusammenbringt, ist auch keine Organisation des Credites,
sondern nur geschäftlich organisirtes Creditgeben und Creditnehmen je sür ein¬
zelne Fälle. Der Credit bedürfte aber doch einer Organisation gegen Schrecken
und leidenschaftliches Vertrauen, es muß also einen Fleck geben, wo die Worte
einigen Anstrich von Sinn haben. Nun wol, es ist dies die Fondsbörse oder
die Stockjobberei, je nachdem man den einen oder den andern Ausdruck schöner
findet. Hier ist ein Geschäft, das von allen andern Geschäftszweigen so weit
entfernt ist, daß es sein eignes Maß erfordert. Die Fondsbörse und nament¬
lich die pariser, ist allerdings der Ort des leidenschaftlichen Vertrauens oder
Schreckens, weil ihre Operationen nicht auf Bedürfnissen der Produktion und
Consumtion beruhen, sondern auf "Meinungen" über dieses oder jenes Papier
und über den Einfluß dieser oder jener Begebenheit oder Maßregel, Meinun¬
gen, deren Wirkungen durch die mitspielenden Interessen aller Art in der
wunderbarsten Weise durchkreuzt, Meinungen, deren Richtigkeit an den viel¬
fältigsten Operationen geprüft werden. Hier ist alles Ungewißheit, hier ist
alles Spiel, und hier hat denn auch Hr. Pereire den Thron seiner Credit-
Organisation errichtet, indem er durch An- und Verkauf von Papieren nicht
blos selbst Gewinn für seine Bank erzielt, sondern auch das Heer der kleinern
Speculanten mit sich reißt. Das ist des Pudels Kern, das ist das mächtige
Institut, welches "ein bestimmtes Ziel verfolgte und auf dieses Ziel mit Ent¬
schlossenheitzuschritt, ohne sich um kleinliche Hindernisse u. s. w. zu kümmern."
Das Ziel war die Agiotage, die "Hindernisse" weniger mächtige Concurrenten,
d>e "eifersüchtige Kritik und die berechnungsvollen Angriffe" die sehr erlaubte
Fwge, was die Gesammtheit denn eigentlich davon habe und was das Ende
!um soll. r. Pereire freilich indem er nur die Fondsbörse und die hier er-


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das Vertrauen in der Geschäftswelt zu einer Leidenschaft geworden, seit wann
der Schrecken in Permanenz erklärt ist? Wie aber kann man denjenigen Credit,
wie ihn die Geschäftswelt versteht, beherrschen und obendrein durch eine Or¬
ganisation? Wir haben oben gesehen, daß ein Creditinstitut die Geschästs-
verhältnisse wol benachtheiligen, seltener beglücken kann, aber nicht indem-eS
„den Credit" organisirte, sondern Maßregeln ergriff, die auf den bereits or-
ganisirten Credit zurückwirkten, den Credit beherrschen heißt nichts anders, als
dem Verkehr im Einzelnen wie im Ganzen die Richtungen anweisen, wo er
gewährt und wo er versagt werden darf, also etwa dem einzelnen Kaufmann,
Fabrikanten, Rheder jedem in seiner Branche, oder etwa die Geschäftszweige
angeben und leiten, die das beste Creditgeben vertragen. Das sind aber alles
unmögliche Ausgaben, da hier jeder sür sich nach Maßgabe seiner Kräfte und
Ansichten allein handeln muß. Oder ist es etwa auch nur der Credit, den
ein großes Bankhaus, eine Diskontobank gewährt oder erhält? Das ist aber
schon längst dagewesen, höchstens daß Hr. Pereire noch mehr Geldmittel zu
demselben Zweck zusammenbringt, ist auch keine Organisation des Credites,
sondern nur geschäftlich organisirtes Creditgeben und Creditnehmen je sür ein¬
zelne Fälle. Der Credit bedürfte aber doch einer Organisation gegen Schrecken
und leidenschaftliches Vertrauen, es muß also einen Fleck geben, wo die Worte
einigen Anstrich von Sinn haben. Nun wol, es ist dies die Fondsbörse oder
die Stockjobberei, je nachdem man den einen oder den andern Ausdruck schöner
findet. Hier ist ein Geschäft, das von allen andern Geschäftszweigen so weit
entfernt ist, daß es sein eignes Maß erfordert. Die Fondsbörse und nament¬
lich die pariser, ist allerdings der Ort des leidenschaftlichen Vertrauens oder
Schreckens, weil ihre Operationen nicht auf Bedürfnissen der Produktion und
Consumtion beruhen, sondern auf „Meinungen" über dieses oder jenes Papier
und über den Einfluß dieser oder jener Begebenheit oder Maßregel, Meinun¬
gen, deren Wirkungen durch die mitspielenden Interessen aller Art in der
wunderbarsten Weise durchkreuzt, Meinungen, deren Richtigkeit an den viel¬
fältigsten Operationen geprüft werden. Hier ist alles Ungewißheit, hier ist
alles Spiel, und hier hat denn auch Hr. Pereire den Thron seiner Credit-
Organisation errichtet, indem er durch An- und Verkauf von Papieren nicht
blos selbst Gewinn für seine Bank erzielt, sondern auch das Heer der kleinern
Speculanten mit sich reißt. Das ist des Pudels Kern, das ist das mächtige
Institut, welches „ein bestimmtes Ziel verfolgte und auf dieses Ziel mit Ent¬
schlossenheitzuschritt, ohne sich um kleinliche Hindernisse u. s. w. zu kümmern."
Das Ziel war die Agiotage, die „Hindernisse" weniger mächtige Concurrenten,
d>e „eifersüchtige Kritik und die berechnungsvollen Angriffe" die sehr erlaubte
Fwge, was die Gesammtheit denn eigentlich davon habe und was das Ende
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[0473] das Vertrauen in der Geschäftswelt zu einer Leidenschaft geworden, seit wann der Schrecken in Permanenz erklärt ist? Wie aber kann man denjenigen Credit, wie ihn die Geschäftswelt versteht, beherrschen und obendrein durch eine Or¬ ganisation? Wir haben oben gesehen, daß ein Creditinstitut die Geschästs- verhältnisse wol benachtheiligen, seltener beglücken kann, aber nicht indem-eS „den Credit" organisirte, sondern Maßregeln ergriff, die auf den bereits or- ganisirten Credit zurückwirkten, den Credit beherrschen heißt nichts anders, als dem Verkehr im Einzelnen wie im Ganzen die Richtungen anweisen, wo er gewährt und wo er versagt werden darf, also etwa dem einzelnen Kaufmann, Fabrikanten, Rheder jedem in seiner Branche, oder etwa die Geschäftszweige angeben und leiten, die das beste Creditgeben vertragen. Das sind aber alles unmögliche Ausgaben, da hier jeder sür sich nach Maßgabe seiner Kräfte und Ansichten allein handeln muß. Oder ist es etwa auch nur der Credit, den ein großes Bankhaus, eine Diskontobank gewährt oder erhält? Das ist aber schon längst dagewesen, höchstens daß Hr. Pereire noch mehr Geldmittel zu demselben Zweck zusammenbringt, ist auch keine Organisation des Credites, sondern nur geschäftlich organisirtes Creditgeben und Creditnehmen je sür ein¬ zelne Fälle. Der Credit bedürfte aber doch einer Organisation gegen Schrecken und leidenschaftliches Vertrauen, es muß also einen Fleck geben, wo die Worte einigen Anstrich von Sinn haben. Nun wol, es ist dies die Fondsbörse oder die Stockjobberei, je nachdem man den einen oder den andern Ausdruck schöner findet. Hier ist ein Geschäft, das von allen andern Geschäftszweigen so weit entfernt ist, daß es sein eignes Maß erfordert. Die Fondsbörse und nament¬ lich die pariser, ist allerdings der Ort des leidenschaftlichen Vertrauens oder Schreckens, weil ihre Operationen nicht auf Bedürfnissen der Produktion und Consumtion beruhen, sondern auf „Meinungen" über dieses oder jenes Papier und über den Einfluß dieser oder jener Begebenheit oder Maßregel, Meinun¬ gen, deren Wirkungen durch die mitspielenden Interessen aller Art in der wunderbarsten Weise durchkreuzt, Meinungen, deren Richtigkeit an den viel¬ fältigsten Operationen geprüft werden. Hier ist alles Ungewißheit, hier ist alles Spiel, und hier hat denn auch Hr. Pereire den Thron seiner Credit- Organisation errichtet, indem er durch An- und Verkauf von Papieren nicht blos selbst Gewinn für seine Bank erzielt, sondern auch das Heer der kleinern Speculanten mit sich reißt. Das ist des Pudels Kern, das ist das mächtige Institut, welches „ein bestimmtes Ziel verfolgte und auf dieses Ziel mit Ent¬ schlossenheitzuschritt, ohne sich um kleinliche Hindernisse u. s. w. zu kümmern." Das Ziel war die Agiotage, die „Hindernisse" weniger mächtige Concurrenten, d>e „eifersüchtige Kritik und die berechnungsvollen Angriffe" die sehr erlaubte Fwge, was die Gesammtheit denn eigentlich davon habe und was das Ende !um soll. r. Pereire freilich indem er nur die Fondsbörse und die hier er- , Grenzboten II. -1-867. S9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/473>, abgerufen am 28.07.2024.