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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Aus dem Gebiete des heutigen Geldwesens.
2. Hr. Pereire und der Credit.

"Meine Herren! Das abgelaufene Jahr, über dessen Leistungen wir
Ihnen Rechenschaft abzulegen haben, ist für den öffentlichen Credit, für die
große Industrie und für unsere Gesellschaft ein Jahr der Prüfung gewesen.
Mit den glücklichen Ereignissen, wie mit den Störungen, die sich in der all¬
gemeinen Lage der Finanzgeschäfte zeigen können, solidarisch verknüpft, müssen
wir als wachsamer Vorposten mit beharrlicher Sorgfalt nach Maßgabe unserer
Kräfte die momentanen Erschütterungen zu bekämpfen suchen, welche die Ent¬
wickelung des Credits hemmen können. Während der drei ersten Jahre un¬
seres gesellschaftlichen Bestehens war die uns angewiesene Stelle an der Spitze
der Bewegung; wir hatten -- nicht grade die große Industrie in Frankreich
einzuführen, denn es bestanden vor uns große Unternehmungen -- sondern
die der Laune und dem Zufall allzusehr überlassene Errichtung derartiger Ge¬
schäfte zu Systematisieren. Wie viele Unrernehmungen und darunter von den
besten, hatten wir nicht zuvor aufgeben, liquidiren oder zeitweise einstellen
sehen, weil der Werth ihrer Papiere durch eine Baissebewegung getroffen
worden war! Der Credit, jene Industrie, welche allen andern Nahrung ver¬
leiht und zum Gleichgewicht des Arbeitslohnes so Bedeutendes mitwirkt, be¬
dürfte einer kraftvollen, mächtigen Organisation, welche fähig war, den
Schrecken, wie das leidenschaftliche Vertrauen zu beherrschen, welche ein be¬
stimmtes Ziel verfolgte und auf dieses Ziel mit Entschlossenheit zuschritt, ohne
sich um kleinliche Hindernisse, eigennützige oder eifersüchtige Kritik und heftige
oder berechnungsvolle Angriffe, von welcher Seite sie auch kommen möchten,
Zu kümmern."

Mit diesem Dithyrambus beginnt der diesjährige Bericht des fran¬
zösischen Credit-Mobilier, erstattet durch Hrn. Jsaac Pereire, den Prä¬
sidenten der Gesellschaft. Welche Bescheidenheit und welche Zuverstchtlichkeit
ZU gleicher Zeit! Wir haben die große Industrie nicht in Frankreich eingeführt,
denn die bestand schon vor uns, aber wir haben die Errichtung solcher Ge¬
schäfte, die bisher der Laune und dem Zufall Preis gegeben, systematistrt. Wem
fallen hier nicht die Worte deS kaiserlichen Meisters ein, daß er die Revolution
wie tue Flüsse in ihren Betten gehemmt habe. Was wäre Frankreichs Volk
letzt ohne den dritten Napoleon, was Frankreichs Handel und Industrie ohne
den ersten Pereire!

Es ist das Eigenthümliche an Ackerstücken der vorliegenden Art, nicht
daß die Phrase den Mangel an Gedanken verdeckt, sondern daß man sich über
das, was eigentlich damit gesagt werden soll, durch Nachforschungen über daS,


Grenzboten. II. -I8L7. 68
Aus dem Gebiete des heutigen Geldwesens.
2. Hr. Pereire und der Credit.

„Meine Herren! Das abgelaufene Jahr, über dessen Leistungen wir
Ihnen Rechenschaft abzulegen haben, ist für den öffentlichen Credit, für die
große Industrie und für unsere Gesellschaft ein Jahr der Prüfung gewesen.
Mit den glücklichen Ereignissen, wie mit den Störungen, die sich in der all¬
gemeinen Lage der Finanzgeschäfte zeigen können, solidarisch verknüpft, müssen
wir als wachsamer Vorposten mit beharrlicher Sorgfalt nach Maßgabe unserer
Kräfte die momentanen Erschütterungen zu bekämpfen suchen, welche die Ent¬
wickelung des Credits hemmen können. Während der drei ersten Jahre un¬
seres gesellschaftlichen Bestehens war die uns angewiesene Stelle an der Spitze
der Bewegung; wir hatten — nicht grade die große Industrie in Frankreich
einzuführen, denn es bestanden vor uns große Unternehmungen — sondern
die der Laune und dem Zufall allzusehr überlassene Errichtung derartiger Ge¬
schäfte zu Systematisieren. Wie viele Unrernehmungen und darunter von den
besten, hatten wir nicht zuvor aufgeben, liquidiren oder zeitweise einstellen
sehen, weil der Werth ihrer Papiere durch eine Baissebewegung getroffen
worden war! Der Credit, jene Industrie, welche allen andern Nahrung ver¬
leiht und zum Gleichgewicht des Arbeitslohnes so Bedeutendes mitwirkt, be¬
dürfte einer kraftvollen, mächtigen Organisation, welche fähig war, den
Schrecken, wie das leidenschaftliche Vertrauen zu beherrschen, welche ein be¬
stimmtes Ziel verfolgte und auf dieses Ziel mit Entschlossenheit zuschritt, ohne
sich um kleinliche Hindernisse, eigennützige oder eifersüchtige Kritik und heftige
oder berechnungsvolle Angriffe, von welcher Seite sie auch kommen möchten,
Zu kümmern."

Mit diesem Dithyrambus beginnt der diesjährige Bericht des fran¬
zösischen Credit-Mobilier, erstattet durch Hrn. Jsaac Pereire, den Prä¬
sidenten der Gesellschaft. Welche Bescheidenheit und welche Zuverstchtlichkeit
ZU gleicher Zeit! Wir haben die große Industrie nicht in Frankreich eingeführt,
denn die bestand schon vor uns, aber wir haben die Errichtung solcher Ge¬
schäfte, die bisher der Laune und dem Zufall Preis gegeben, systematistrt. Wem
fallen hier nicht die Worte deS kaiserlichen Meisters ein, daß er die Revolution
wie tue Flüsse in ihren Betten gehemmt habe. Was wäre Frankreichs Volk
letzt ohne den dritten Napoleon, was Frankreichs Handel und Industrie ohne
den ersten Pereire!

Es ist das Eigenthümliche an Ackerstücken der vorliegenden Art, nicht
daß die Phrase den Mangel an Gedanken verdeckt, sondern daß man sich über
das, was eigentlich damit gesagt werden soll, durch Nachforschungen über daS,


Grenzboten. II. -I8L7. 68
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[0465] Aus dem Gebiete des heutigen Geldwesens. 2. Hr. Pereire und der Credit. „Meine Herren! Das abgelaufene Jahr, über dessen Leistungen wir Ihnen Rechenschaft abzulegen haben, ist für den öffentlichen Credit, für die große Industrie und für unsere Gesellschaft ein Jahr der Prüfung gewesen. Mit den glücklichen Ereignissen, wie mit den Störungen, die sich in der all¬ gemeinen Lage der Finanzgeschäfte zeigen können, solidarisch verknüpft, müssen wir als wachsamer Vorposten mit beharrlicher Sorgfalt nach Maßgabe unserer Kräfte die momentanen Erschütterungen zu bekämpfen suchen, welche die Ent¬ wickelung des Credits hemmen können. Während der drei ersten Jahre un¬ seres gesellschaftlichen Bestehens war die uns angewiesene Stelle an der Spitze der Bewegung; wir hatten — nicht grade die große Industrie in Frankreich einzuführen, denn es bestanden vor uns große Unternehmungen — sondern die der Laune und dem Zufall allzusehr überlassene Errichtung derartiger Ge¬ schäfte zu Systematisieren. Wie viele Unrernehmungen und darunter von den besten, hatten wir nicht zuvor aufgeben, liquidiren oder zeitweise einstellen sehen, weil der Werth ihrer Papiere durch eine Baissebewegung getroffen worden war! Der Credit, jene Industrie, welche allen andern Nahrung ver¬ leiht und zum Gleichgewicht des Arbeitslohnes so Bedeutendes mitwirkt, be¬ dürfte einer kraftvollen, mächtigen Organisation, welche fähig war, den Schrecken, wie das leidenschaftliche Vertrauen zu beherrschen, welche ein be¬ stimmtes Ziel verfolgte und auf dieses Ziel mit Entschlossenheit zuschritt, ohne sich um kleinliche Hindernisse, eigennützige oder eifersüchtige Kritik und heftige oder berechnungsvolle Angriffe, von welcher Seite sie auch kommen möchten, Zu kümmern." Mit diesem Dithyrambus beginnt der diesjährige Bericht des fran¬ zösischen Credit-Mobilier, erstattet durch Hrn. Jsaac Pereire, den Prä¬ sidenten der Gesellschaft. Welche Bescheidenheit und welche Zuverstchtlichkeit ZU gleicher Zeit! Wir haben die große Industrie nicht in Frankreich eingeführt, denn die bestand schon vor uns, aber wir haben die Errichtung solcher Ge¬ schäfte, die bisher der Laune und dem Zufall Preis gegeben, systematistrt. Wem fallen hier nicht die Worte deS kaiserlichen Meisters ein, daß er die Revolution wie tue Flüsse in ihren Betten gehemmt habe. Was wäre Frankreichs Volk letzt ohne den dritten Napoleon, was Frankreichs Handel und Industrie ohne den ersten Pereire! Es ist das Eigenthümliche an Ackerstücken der vorliegenden Art, nicht daß die Phrase den Mangel an Gedanken verdeckt, sondern daß man sich über das, was eigentlich damit gesagt werden soll, durch Nachforschungen über daS, Grenzboten. II. -I8L7. 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/465>, abgerufen am 28.07.2024.