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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Auf ein Zeichen deS Schechs erhob sich der Kreis der Derwische, die
Felle wurden weggeschoben, der Ring der Sitzenden verwandelte sich in eine
Kette von Stehenden, die Ellenbogen an Ellenbogen aneincmdertraten und
entweder beide Hände über der Magengegend kreuzten oder gleich den Frei¬
maurern die rechte aus das Herz legten. Eine Pause -- dann intonirte der
Schech von neuem das "La nada illa las!" und die Kette wiederholte es,
wie beschrieben erst in langsamem, dann in schnellerem Tempo, indem sie sich,
ebenfalls wie die Freimaurer, nach rechts und links schaukelnd bewegten.

Der zweite Act hatte begonnen, die Krisis näherte sich. Eine Flöte hob
an zu kreischen. Mehrmals sang einer der Mundschids das Wort "Meded",
zu Hilfe! Die türkischen Derwische trugen ihre Mützen vor den Schech hin
und standen nun in ihren langen dunkelrothen Mähnen im Kreise, der un¬
aufhörlich und immer rascher sich verneigte und dazu unaufhörlich und immer
rascher sein "La nada illa las!" hören ließ, während die Mundschids bald
um die äußersten Höhen der Tonleiter schwebend, bald in die tiefsten Tiefen
herabsinkend, eine neue liebeglühende Hymne in das taktmäßige Absingen des
Glaubensbekenntnisses hineinklingen ließen. Deutlich bemerkte man, wie diese
Reizmittel wirkten. Eine zweite kreischende Flöte kam der ersten zu Hilfe.
Die Derwische äußerten ihre Erregtheit durch ein dumpfes Grunzen und fuhren
fort mit ihren abgemessenen Verbeugungen. Das Grunzen verwandelte sich
in ein kurzes stoßweises Gebrüll, das Neigen zu tiefem Bücken.

Da auf einmal tritt einer der braungekleideten Knaben in die Mitte des
Kreises, legt seinen Mantel vor den Schech hin, breitet die Arme so aus,
daß die innere Fläche der rechten Hand nach oben, die der linken nach unten
gekehrt ist, senkt den Kopf auf die rechte Schulter und beginnt sich um seine
Achse zu drehen,'daß sein Gewand ein weites Rad bildet. Die Andern brüllen
im Takte fort und bücken sich fort, wobei sie erst in die Knie knicken und
dann den Kopf bis auf den Boden neigen. Die Aufregung ist bei einzelnen
schon sehr stark. Die Augen glühen, Schweiß glänzt auf Stirn und Wangen,
einer nach dem andern legt Tarbusch und Kaftan ab. Wo das Feuer noch
schläft und die Bücklinge noch nicht tief genug sind, muntert der Vorsteher,
in der Mitte des Ringes umhergehend und in die Hände klatschend, durch
sein Beispiel zu größerer Andacht auf. Wilder' und immer wilder werden die
Mienen und Bewegungen, daS Bücken ist hier und da schon ein förmliches
schlenkern deS Leibes, in das Grunzen mischt sich bisweilen das grausige
Allahgestöhn eines Verzückten. Aber noch ist der Gipfel nicht erreicht.
Becken werden klingelnd zur Flöte geschlagen. Die türkischen Derwische, die
jetzt mit ihren stieren hervorquellenden Augen und dem langen Haar, das ihnen
wie eine Mähne um die gelben Gesichter hängt, vollständig Wahnsinnigen
gleichen, schreien ein wüstes "Huhu". Ein Soldat scheint dem Umfallen nahe


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Auf ein Zeichen deS Schechs erhob sich der Kreis der Derwische, die
Felle wurden weggeschoben, der Ring der Sitzenden verwandelte sich in eine
Kette von Stehenden, die Ellenbogen an Ellenbogen aneincmdertraten und
entweder beide Hände über der Magengegend kreuzten oder gleich den Frei¬
maurern die rechte aus das Herz legten. Eine Pause — dann intonirte der
Schech von neuem das „La nada illa las!" und die Kette wiederholte es,
wie beschrieben erst in langsamem, dann in schnellerem Tempo, indem sie sich,
ebenfalls wie die Freimaurer, nach rechts und links schaukelnd bewegten.

Der zweite Act hatte begonnen, die Krisis näherte sich. Eine Flöte hob
an zu kreischen. Mehrmals sang einer der Mundschids das Wort „Meded",
zu Hilfe! Die türkischen Derwische trugen ihre Mützen vor den Schech hin
und standen nun in ihren langen dunkelrothen Mähnen im Kreise, der un¬
aufhörlich und immer rascher sich verneigte und dazu unaufhörlich und immer
rascher sein „La nada illa las!" hören ließ, während die Mundschids bald
um die äußersten Höhen der Tonleiter schwebend, bald in die tiefsten Tiefen
herabsinkend, eine neue liebeglühende Hymne in das taktmäßige Absingen des
Glaubensbekenntnisses hineinklingen ließen. Deutlich bemerkte man, wie diese
Reizmittel wirkten. Eine zweite kreischende Flöte kam der ersten zu Hilfe.
Die Derwische äußerten ihre Erregtheit durch ein dumpfes Grunzen und fuhren
fort mit ihren abgemessenen Verbeugungen. Das Grunzen verwandelte sich
in ein kurzes stoßweises Gebrüll, das Neigen zu tiefem Bücken.

Da auf einmal tritt einer der braungekleideten Knaben in die Mitte des
Kreises, legt seinen Mantel vor den Schech hin, breitet die Arme so aus,
daß die innere Fläche der rechten Hand nach oben, die der linken nach unten
gekehrt ist, senkt den Kopf auf die rechte Schulter und beginnt sich um seine
Achse zu drehen,'daß sein Gewand ein weites Rad bildet. Die Andern brüllen
im Takte fort und bücken sich fort, wobei sie erst in die Knie knicken und
dann den Kopf bis auf den Boden neigen. Die Aufregung ist bei einzelnen
schon sehr stark. Die Augen glühen, Schweiß glänzt auf Stirn und Wangen,
einer nach dem andern legt Tarbusch und Kaftan ab. Wo das Feuer noch
schläft und die Bücklinge noch nicht tief genug sind, muntert der Vorsteher,
in der Mitte des Ringes umhergehend und in die Hände klatschend, durch
sein Beispiel zu größerer Andacht auf. Wilder' und immer wilder werden die
Mienen und Bewegungen, daS Bücken ist hier und da schon ein förmliches
schlenkern deS Leibes, in das Grunzen mischt sich bisweilen das grausige
Allahgestöhn eines Verzückten. Aber noch ist der Gipfel nicht erreicht.
Becken werden klingelnd zur Flöte geschlagen. Die türkischen Derwische, die
jetzt mit ihren stieren hervorquellenden Augen und dem langen Haar, das ihnen
wie eine Mähne um die gelben Gesichter hängt, vollständig Wahnsinnigen
gleichen, schreien ein wüstes „Huhu". Ein Soldat scheint dem Umfallen nahe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/459>, abgerufen am 28.07.2024.