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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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mit dem Uebermenschlichem, mit der Gottheit gewonnen haben. Ebenso wahr¬
scheinlich allerdings ist für den, der die pantheistische Poesie der Sufis kennt,
wie sie sich namentlich in Dschelaleddin Rumis Sprüchen und Oden ausdrückt,
die Annahme, daß dem Gedichte gleich anfangs ein mystischer Sinn untergelegen
habe, und dasselbe könnte auch mit den Liedern der Fall gewesen sein, welche das
sogenannte Hohelied in sich begreift. Man begegnet in Kairo gar manchem,
was das alte^Jerusalem erklärt, und eine hebräische Prophetenschule dürfte
einem Derwischkloster der bessern Art ähnlicher gewesen sein, als manche Theo¬
logen glauben. Der Sänger sang:

"Ueber die Liebe grämt sich mein Herz, und meine Augenlider drückt Trüb¬
sinn nieder. Mein Leben zerfließt und ich vergieße Thränenströme. Meine
Vereinigung scheint ferne zu sein. Wird mein Auge je meinen Geliebten sehen?
Ach wäre nicht Geschiedensein die Ursache meiner Thränen, ich würde nicht
wehklagen!

Traurige Nächte nagen an mir, die Trennung läßt meine Hoffnung ver¬
gehen. Meine Thränen träufeln wie Perlen herab und mein Herz ist von
Feuer umgeben. Wer duldet wie ich? Kaum weiß ich noch Hilfe. Ach wäre
nicht Geschiedensein u. s. w.

O Turteltaube, sage mir, weshalb du so jammerst. Bist du so bekümmert
über die Trennung? Bist du deiner Flügel beraubt und eingesperrt? -- Sie
sprach: Unser Gram ist derselbe, vor Liebe verschmachte ich. Ach, wäre nicht
Geschiedensein u. s. w.

O Erster und allein Ewiger, erweise mir deine Gunst. Dein Knecht hat
keinen Herrn außer Dir. Bei Ta Cha, den, großen Propheten, verweigere
mir nicht mein Flehen! Ach wäre nicht Geschiedensein u. s. w."

Der Sänger, der eine recht gute und besonders sehr umfangreiche Stimme
hatte, und dessen Gesang keine eigentliche Melodie, sondern ein bald schwung¬
reiches, bald klagend hinzittcrndes Phantasiren, ähnlich dem des Vorsängers
in Synagogen von altem Ritus war, endigte mit dem Ausruf "Allah ", der
nun von den übrigen eine Weile als eintöniger Spondäus dumpf und takt¬
mäßig wiederholt wurde, wobei alle die erste Silbe mit einer Verbeugung
begleiteten, bei der zweiten, stärker betonten sich wieder aufrichtete". Erinnerte
dieses abgemeßne Bücken, bei dem die Beter noch immer auf'den Fersen saßen,
ein wenig an die Porzellanchinesen der meißner Fabrik, so machte doch das
Ganze noch keinen gradezu abstoßenden Eindruck. Schlimmer schon wurde
dem Beobachter zu Muthe, als einer der Derwische nach einigen Minute" ein
kurzes "O!" ausstieß, und nun dieses von der ganzen Gesellschaft der Beter,
erst leise und in langsamem Takte, dann lauter und hastiger eine Zeit lang
nachgestöhnt wurde, während die taktmäßigen Verbeugungen fortdauerten. Aber
es sollte noch unheimlicher und wüster werden.


mit dem Uebermenschlichem, mit der Gottheit gewonnen haben. Ebenso wahr¬
scheinlich allerdings ist für den, der die pantheistische Poesie der Sufis kennt,
wie sie sich namentlich in Dschelaleddin Rumis Sprüchen und Oden ausdrückt,
die Annahme, daß dem Gedichte gleich anfangs ein mystischer Sinn untergelegen
habe, und dasselbe könnte auch mit den Liedern der Fall gewesen sein, welche das
sogenannte Hohelied in sich begreift. Man begegnet in Kairo gar manchem,
was das alte^Jerusalem erklärt, und eine hebräische Prophetenschule dürfte
einem Derwischkloster der bessern Art ähnlicher gewesen sein, als manche Theo¬
logen glauben. Der Sänger sang:

„Ueber die Liebe grämt sich mein Herz, und meine Augenlider drückt Trüb¬
sinn nieder. Mein Leben zerfließt und ich vergieße Thränenströme. Meine
Vereinigung scheint ferne zu sein. Wird mein Auge je meinen Geliebten sehen?
Ach wäre nicht Geschiedensein die Ursache meiner Thränen, ich würde nicht
wehklagen!

Traurige Nächte nagen an mir, die Trennung läßt meine Hoffnung ver¬
gehen. Meine Thränen träufeln wie Perlen herab und mein Herz ist von
Feuer umgeben. Wer duldet wie ich? Kaum weiß ich noch Hilfe. Ach wäre
nicht Geschiedensein u. s. w.

O Turteltaube, sage mir, weshalb du so jammerst. Bist du so bekümmert
über die Trennung? Bist du deiner Flügel beraubt und eingesperrt? — Sie
sprach: Unser Gram ist derselbe, vor Liebe verschmachte ich. Ach, wäre nicht
Geschiedensein u. s. w.

O Erster und allein Ewiger, erweise mir deine Gunst. Dein Knecht hat
keinen Herrn außer Dir. Bei Ta Cha, den, großen Propheten, verweigere
mir nicht mein Flehen! Ach wäre nicht Geschiedensein u. s. w."

Der Sänger, der eine recht gute und besonders sehr umfangreiche Stimme
hatte, und dessen Gesang keine eigentliche Melodie, sondern ein bald schwung¬
reiches, bald klagend hinzittcrndes Phantasiren, ähnlich dem des Vorsängers
in Synagogen von altem Ritus war, endigte mit dem Ausruf „Allah ", der
nun von den übrigen eine Weile als eintöniger Spondäus dumpf und takt¬
mäßig wiederholt wurde, wobei alle die erste Silbe mit einer Verbeugung
begleiteten, bei der zweiten, stärker betonten sich wieder aufrichtete». Erinnerte
dieses abgemeßne Bücken, bei dem die Beter noch immer auf'den Fersen saßen,
ein wenig an die Porzellanchinesen der meißner Fabrik, so machte doch das
Ganze noch keinen gradezu abstoßenden Eindruck. Schlimmer schon wurde
dem Beobachter zu Muthe, als einer der Derwische nach einigen Minute» ein
kurzes „O!" ausstieß, und nun dieses von der ganzen Gesellschaft der Beter,
erst leise und in langsamem Takte, dann lauter und hastiger eine Zeit lang
nachgestöhnt wurde, während die taktmäßigen Verbeugungen fortdauerten. Aber
es sollte noch unheimlicher und wüster werden.


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[0458] mit dem Uebermenschlichem, mit der Gottheit gewonnen haben. Ebenso wahr¬ scheinlich allerdings ist für den, der die pantheistische Poesie der Sufis kennt, wie sie sich namentlich in Dschelaleddin Rumis Sprüchen und Oden ausdrückt, die Annahme, daß dem Gedichte gleich anfangs ein mystischer Sinn untergelegen habe, und dasselbe könnte auch mit den Liedern der Fall gewesen sein, welche das sogenannte Hohelied in sich begreift. Man begegnet in Kairo gar manchem, was das alte^Jerusalem erklärt, und eine hebräische Prophetenschule dürfte einem Derwischkloster der bessern Art ähnlicher gewesen sein, als manche Theo¬ logen glauben. Der Sänger sang: „Ueber die Liebe grämt sich mein Herz, und meine Augenlider drückt Trüb¬ sinn nieder. Mein Leben zerfließt und ich vergieße Thränenströme. Meine Vereinigung scheint ferne zu sein. Wird mein Auge je meinen Geliebten sehen? Ach wäre nicht Geschiedensein die Ursache meiner Thränen, ich würde nicht wehklagen! Traurige Nächte nagen an mir, die Trennung läßt meine Hoffnung ver¬ gehen. Meine Thränen träufeln wie Perlen herab und mein Herz ist von Feuer umgeben. Wer duldet wie ich? Kaum weiß ich noch Hilfe. Ach wäre nicht Geschiedensein u. s. w. O Turteltaube, sage mir, weshalb du so jammerst. Bist du so bekümmert über die Trennung? Bist du deiner Flügel beraubt und eingesperrt? — Sie sprach: Unser Gram ist derselbe, vor Liebe verschmachte ich. Ach, wäre nicht Geschiedensein u. s. w. O Erster und allein Ewiger, erweise mir deine Gunst. Dein Knecht hat keinen Herrn außer Dir. Bei Ta Cha, den, großen Propheten, verweigere mir nicht mein Flehen! Ach wäre nicht Geschiedensein u. s. w." Der Sänger, der eine recht gute und besonders sehr umfangreiche Stimme hatte, und dessen Gesang keine eigentliche Melodie, sondern ein bald schwung¬ reiches, bald klagend hinzittcrndes Phantasiren, ähnlich dem des Vorsängers in Synagogen von altem Ritus war, endigte mit dem Ausruf „Allah ", der nun von den übrigen eine Weile als eintöniger Spondäus dumpf und takt¬ mäßig wiederholt wurde, wobei alle die erste Silbe mit einer Verbeugung begleiteten, bei der zweiten, stärker betonten sich wieder aufrichtete». Erinnerte dieses abgemeßne Bücken, bei dem die Beter noch immer auf'den Fersen saßen, ein wenig an die Porzellanchinesen der meißner Fabrik, so machte doch das Ganze noch keinen gradezu abstoßenden Eindruck. Schlimmer schon wurde dem Beobachter zu Muthe, als einer der Derwische nach einigen Minute» ein kurzes „O!" ausstieß, und nun dieses von der ganzen Gesellschaft der Beter, erst leise und in langsamem Takte, dann lauter und hastiger eine Zeit lang nachgestöhnt wurde, während die taktmäßigen Verbeugungen fortdauerten. Aber es sollte noch unheimlicher und wüster werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/458>, abgerufen am 28.07.2024.