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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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drei gehörten dem Kindesalter an. Unter den letztern befanden sich zwei hübsche
weiß und rothe Gesichtchen in feinen braunen Tuchgewändern, goldnen Gür¬
teln und lichtgrauen Filzmützen in der Form von Zuckerhüten, denen die Spitze
abgeschlagen ist. Von den übrigen trugen nur etwa ein Dutzend diese Kopf¬
bedeckung und das oben beschriebene rothgefärbte Haar. Dem Stande nach
waren mehre Soldaten, andere Kawasfen (Polizeidiener), die meisten wahrschein¬
lich Tagelöhner, Matrosen und niedre Handwerker. Der Kreis schloß an der
Seite, wo die Pauken hingen, mit zwei Flötenspielern und zwei Mundschids
oder Sängern.

Nachdem die Theilnehmer am Gottesdienste sich aus ungefähr vierzig ver¬
mehrt hatten (die Zuschauer waren etwa ebenso stark) sagte der Schech, zu den
Sängern gewendet: "El Fatha!" worauf diese, von einigen andern leise be¬
gleitet daS erste Capitel des Korans abhangen und sodann ohne weitere Auf¬
forderung ein Lied anstimmten, in welchem Gott gebeten wurde, "unsern Herrn
Mohammed" so wie alle Propheten und Verkünder des Islam und namentlich
die vier ersten Chalifen, Abubekr, Omar, Osman und Ali zu segnen. Das
Gebet, welches alle gottesdienstlichen Tänze der Derwische eröffnet, schließt mit
den Worten: "An Allah haben wir Genüge, und herrlich ist er, der Wächter.
Und es gibt keine Macht noch Gewalt außer bei Gott, dem Hohen, dem Gro¬
ßen! O Gott! O unser Herr! O gern Verzeihender! O Allgütiger! O Allah!"
Schöne Worte, denen ein überraschend anmuthiger Vortrag entsprach.

AIS die Mundschids schwiegen, trat eine Pause von einigen Minuten ein.
Dann begann der Schech mit sanfter Tenorstimme langsam und eintönig in
dem Takte ^,^^,^-5^^ das Glaubensbekenntnis? des Islam: La nada
illa las (Es ist kein Gott außer Allah) zu intoniren, und ebenso langsam,
eintönig und taktmäßig sang der ganze Kreis der Derwische, auf den Fersen
sitzen bleibend, aber bei den betonten Silben sich etwas nach der rechten Seite
neigend, die Worte nach. Dies dauerte etwas länger als zehn Minuten. Die
Töne wurden allmälig ein wenig stärker, das Neigen ein wenig hastiger, beides
aber blieb noch durchaus in den Grenzen der Anmuth!, und der mächtige Wieder¬
hall in der Kuppel verlieh dem Gesänge selbst eine gewisse Erhabenheit.

Es erhob sich jetzt einer der Sänger auf die Füße, hielt die rechte Hand
an das Ohr und trug, während die andern verstummten, ein mystisches Liebes-
lied vor, welches, wie wir später erfuhren, in der Regel bei den Tänzen der
arabischen Derwische gesungen wirb und in seinem Tone, ja selbst in einzel¬
nen Wendungen eine so merkwürdige Aehnlichkeit mit gewissen Stellen im
Hohenliede Salomos hat, daß man glauben möchte, es sei wo nicht eine Nach¬
ahmung, wenigstens ein Nachhall dieser Dichtung. Wie dieses mag es ur¬
sprünglich ein ganz profaner Erguß der Sehnsucht nach einem Mädchen gewesen
sein und erst später die Bedeutung inbrünstigen Schmachten? nach Vereinigung


Grenzboten. II. 1837. ' 37

drei gehörten dem Kindesalter an. Unter den letztern befanden sich zwei hübsche
weiß und rothe Gesichtchen in feinen braunen Tuchgewändern, goldnen Gür¬
teln und lichtgrauen Filzmützen in der Form von Zuckerhüten, denen die Spitze
abgeschlagen ist. Von den übrigen trugen nur etwa ein Dutzend diese Kopf¬
bedeckung und das oben beschriebene rothgefärbte Haar. Dem Stande nach
waren mehre Soldaten, andere Kawasfen (Polizeidiener), die meisten wahrschein¬
lich Tagelöhner, Matrosen und niedre Handwerker. Der Kreis schloß an der
Seite, wo die Pauken hingen, mit zwei Flötenspielern und zwei Mundschids
oder Sängern.

Nachdem die Theilnehmer am Gottesdienste sich aus ungefähr vierzig ver¬
mehrt hatten (die Zuschauer waren etwa ebenso stark) sagte der Schech, zu den
Sängern gewendet: „El Fatha!" worauf diese, von einigen andern leise be¬
gleitet daS erste Capitel des Korans abhangen und sodann ohne weitere Auf¬
forderung ein Lied anstimmten, in welchem Gott gebeten wurde, „unsern Herrn
Mohammed" so wie alle Propheten und Verkünder des Islam und namentlich
die vier ersten Chalifen, Abubekr, Omar, Osman und Ali zu segnen. Das
Gebet, welches alle gottesdienstlichen Tänze der Derwische eröffnet, schließt mit
den Worten: „An Allah haben wir Genüge, und herrlich ist er, der Wächter.
Und es gibt keine Macht noch Gewalt außer bei Gott, dem Hohen, dem Gro¬
ßen! O Gott! O unser Herr! O gern Verzeihender! O Allgütiger! O Allah!"
Schöne Worte, denen ein überraschend anmuthiger Vortrag entsprach.

AIS die Mundschids schwiegen, trat eine Pause von einigen Minuten ein.
Dann begann der Schech mit sanfter Tenorstimme langsam und eintönig in
dem Takte ^,^^,^-5^^ das Glaubensbekenntnis? des Islam: La nada
illa las (Es ist kein Gott außer Allah) zu intoniren, und ebenso langsam,
eintönig und taktmäßig sang der ganze Kreis der Derwische, auf den Fersen
sitzen bleibend, aber bei den betonten Silben sich etwas nach der rechten Seite
neigend, die Worte nach. Dies dauerte etwas länger als zehn Minuten. Die
Töne wurden allmälig ein wenig stärker, das Neigen ein wenig hastiger, beides
aber blieb noch durchaus in den Grenzen der Anmuth!, und der mächtige Wieder¬
hall in der Kuppel verlieh dem Gesänge selbst eine gewisse Erhabenheit.

Es erhob sich jetzt einer der Sänger auf die Füße, hielt die rechte Hand
an das Ohr und trug, während die andern verstummten, ein mystisches Liebes-
lied vor, welches, wie wir später erfuhren, in der Regel bei den Tänzen der
arabischen Derwische gesungen wirb und in seinem Tone, ja selbst in einzel¬
nen Wendungen eine so merkwürdige Aehnlichkeit mit gewissen Stellen im
Hohenliede Salomos hat, daß man glauben möchte, es sei wo nicht eine Nach¬
ahmung, wenigstens ein Nachhall dieser Dichtung. Wie dieses mag es ur¬
sprünglich ein ganz profaner Erguß der Sehnsucht nach einem Mädchen gewesen
sein und erst später die Bedeutung inbrünstigen Schmachten? nach Vereinigung


Grenzboten. II. 1837. ' 37
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/457>, abgerufen am 28.07.2024.