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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Auflösung des türkischen Reiches herbeizuführen; 'in Asien häuft sich immer
massenhafter der Zündstoff an zu einem neuen Kriegsfeuer zwischen England
und Rußland; diesen großen Kampf, welcher ganz Europa in zwei Lager zu
theilen droht, werden die größte Staatskunst und alle Freundschaftsversiche¬
rungen, Reifen, Besuche und persönliche Liebenswürdigkeiten der Souveräne
und ihrer Familien doch schwerlich verhindern.




Ein Demischkloster am Nil.
^-,,1.,

Es war am 13. März dieses Jahres, als wir einem der seltsamsten Schau¬
spiele beiwohnten, welche das an seltsamen Dingen überreiche Aegypten dem
Fremden bietet. Wiederholt schon waren wir in den Straßen Kairos durch
das Erscheinen von Derwischen daran erinnert worden, daß wir der Verpflich¬
tung, einen Tanz dieser wunderlichen Heiligen zu sehen, noch nicht nachge¬
kommen waren, und daß ganz in der Nähe Gelegenheit dazu war. Am ge¬
nannten Tage endlich fanden sich passende Begleiter zu einem Ausflug nach
dem Kloster, welches zu diesem Zwecke gewöhnlich besucht wird, und gegen
Mittag wurde aufgebrochen.

Das Kloster befindet sich nicht fern von Masr Atikah (Altkairo), einige
hundert Schritte südlich von dem großen Militärlazareth, gegenüber den Gär¬
ten und Palästen der Nilinsel Roda. Die Umgebung besteht in Pflanzungen
von NiesencactuS, durch welche mehre breite, von Nilakazien und Sycomoren
beschattete Straßen führen. In dem Kloster, einem unregelmäßigen, unschein¬
baren Bau, dem sich eine kleine Moschee anschließt, wohnen gegenwärtig nur
vierzehn türkische Derwische, denen sich aber bei ihren Freitagsgottesdiensten
viele andere Glieder des Ordens, welche als Privatleute außerhalb der
Stiftung leben, anzuschließen pflegen, so daß wir auf eine zahlreiche Gesell¬
schaft rechnen durften. ES mochte ein Uhr sein, als unsre kleine Karavane,
von Hassan, unserm Dragoman, geführt, vor der Pforte des Klosters von den
Eseln stieg und das Innere desselben betrat.

Der Hof, in den wir zunächst gelangten, zeigte nichts Auffälliges. Er
wird von einstöckigen Häusern gebildet, aus deren weißgetünchten Wänden
zwei jener grauen, schrankartigen, statt der Glasscheiben mit schöngemusterlew
Holzgitterwerk ausgesetzten Erker hervortreten, welche den Gebäuden der ägyp¬
tischen Hauptstadt ein so eigenthümliches Gepräge verleihen. An der Seite
des einen Hauses führt eine hölzerne Treppe nach einem freien Gange, ver


Auflösung des türkischen Reiches herbeizuführen; 'in Asien häuft sich immer
massenhafter der Zündstoff an zu einem neuen Kriegsfeuer zwischen England
und Rußland; diesen großen Kampf, welcher ganz Europa in zwei Lager zu
theilen droht, werden die größte Staatskunst und alle Freundschaftsversiche¬
rungen, Reifen, Besuche und persönliche Liebenswürdigkeiten der Souveräne
und ihrer Familien doch schwerlich verhindern.




Ein Demischkloster am Nil.
^-,,1.,

Es war am 13. März dieses Jahres, als wir einem der seltsamsten Schau¬
spiele beiwohnten, welche das an seltsamen Dingen überreiche Aegypten dem
Fremden bietet. Wiederholt schon waren wir in den Straßen Kairos durch
das Erscheinen von Derwischen daran erinnert worden, daß wir der Verpflich¬
tung, einen Tanz dieser wunderlichen Heiligen zu sehen, noch nicht nachge¬
kommen waren, und daß ganz in der Nähe Gelegenheit dazu war. Am ge¬
nannten Tage endlich fanden sich passende Begleiter zu einem Ausflug nach
dem Kloster, welches zu diesem Zwecke gewöhnlich besucht wird, und gegen
Mittag wurde aufgebrochen.

Das Kloster befindet sich nicht fern von Masr Atikah (Altkairo), einige
hundert Schritte südlich von dem großen Militärlazareth, gegenüber den Gär¬
ten und Palästen der Nilinsel Roda. Die Umgebung besteht in Pflanzungen
von NiesencactuS, durch welche mehre breite, von Nilakazien und Sycomoren
beschattete Straßen führen. In dem Kloster, einem unregelmäßigen, unschein¬
baren Bau, dem sich eine kleine Moschee anschließt, wohnen gegenwärtig nur
vierzehn türkische Derwische, denen sich aber bei ihren Freitagsgottesdiensten
viele andere Glieder des Ordens, welche als Privatleute außerhalb der
Stiftung leben, anzuschließen pflegen, so daß wir auf eine zahlreiche Gesell¬
schaft rechnen durften. ES mochte ein Uhr sein, als unsre kleine Karavane,
von Hassan, unserm Dragoman, geführt, vor der Pforte des Klosters von den
Eseln stieg und das Innere desselben betrat.

Der Hof, in den wir zunächst gelangten, zeigte nichts Auffälliges. Er
wird von einstöckigen Häusern gebildet, aus deren weißgetünchten Wänden
zwei jener grauen, schrankartigen, statt der Glasscheiben mit schöngemusterlew
Holzgitterwerk ausgesetzten Erker hervortreten, welche den Gebäuden der ägyp¬
tischen Hauptstadt ein so eigenthümliches Gepräge verleihen. An der Seite
des einen Hauses führt eine hölzerne Treppe nach einem freien Gange, ver


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[0454] Auflösung des türkischen Reiches herbeizuführen; 'in Asien häuft sich immer massenhafter der Zündstoff an zu einem neuen Kriegsfeuer zwischen England und Rußland; diesen großen Kampf, welcher ganz Europa in zwei Lager zu theilen droht, werden die größte Staatskunst und alle Freundschaftsversiche¬ rungen, Reifen, Besuche und persönliche Liebenswürdigkeiten der Souveräne und ihrer Familien doch schwerlich verhindern. Ein Demischkloster am Nil. ^-,,1., Es war am 13. März dieses Jahres, als wir einem der seltsamsten Schau¬ spiele beiwohnten, welche das an seltsamen Dingen überreiche Aegypten dem Fremden bietet. Wiederholt schon waren wir in den Straßen Kairos durch das Erscheinen von Derwischen daran erinnert worden, daß wir der Verpflich¬ tung, einen Tanz dieser wunderlichen Heiligen zu sehen, noch nicht nachge¬ kommen waren, und daß ganz in der Nähe Gelegenheit dazu war. Am ge¬ nannten Tage endlich fanden sich passende Begleiter zu einem Ausflug nach dem Kloster, welches zu diesem Zwecke gewöhnlich besucht wird, und gegen Mittag wurde aufgebrochen. Das Kloster befindet sich nicht fern von Masr Atikah (Altkairo), einige hundert Schritte südlich von dem großen Militärlazareth, gegenüber den Gär¬ ten und Palästen der Nilinsel Roda. Die Umgebung besteht in Pflanzungen von NiesencactuS, durch welche mehre breite, von Nilakazien und Sycomoren beschattete Straßen führen. In dem Kloster, einem unregelmäßigen, unschein¬ baren Bau, dem sich eine kleine Moschee anschließt, wohnen gegenwärtig nur vierzehn türkische Derwische, denen sich aber bei ihren Freitagsgottesdiensten viele andere Glieder des Ordens, welche als Privatleute außerhalb der Stiftung leben, anzuschließen pflegen, so daß wir auf eine zahlreiche Gesell¬ schaft rechnen durften. ES mochte ein Uhr sein, als unsre kleine Karavane, von Hassan, unserm Dragoman, geführt, vor der Pforte des Klosters von den Eseln stieg und das Innere desselben betrat. Der Hof, in den wir zunächst gelangten, zeigte nichts Auffälliges. Er wird von einstöckigen Häusern gebildet, aus deren weißgetünchten Wänden zwei jener grauen, schrankartigen, statt der Glasscheiben mit schöngemusterlew Holzgitterwerk ausgesetzten Erker hervortreten, welche den Gebäuden der ägyp¬ tischen Hauptstadt ein so eigenthümliches Gepräge verleihen. An der Seite des einen Hauses führt eine hölzerne Treppe nach einem freien Gange, ver

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/454>, abgerufen am 28.07.2024.