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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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russischen Waffen dort über die Türken gesiegt. Wol aber gaben die Perser
und Turkomanen, dann die Staaten des Ann Darja, Tartaren, Kirgisen, und
chinesische Grenzvölker Ursache zur Besorgniß. Der Einfluß und die Herrschaft
Rußlands ruht bei diesen Stämmen aus schwacher Grundlage; es ist grade
dort viel Glaube und Schein. So sehr reguläres Militär und geordnetes
Beamtenthum an diesen Grenzstationen imponirt, so unsicher ist die reelle Wir¬
kung solches Apparats bei einem Angriffkriege in den Steppenlandschaften.
Deshalb fing Rußland schon während des orientalischem Krieges an, activ ge¬
gen die innern astatischen Völker vorzugehen, und nach beendigtem Kriege lag
ihm nichts näher, als durch möglichste Machtentfaltung in Asten die dunkeln
Gerüchte über seine Niederlage zu neutralisiren, welche durch die Sandwüsten an
seinen Grenzen von Zelt zu Zelt flogen.

ES ist bekannt, daß die Operationen von russischem Gebiet nach dem
Innern Asiens durch die stärksten natürlichen Hindernisse erschwert sind. Vom
kaspischen Meer ab bis zum Meer von Ochotsk wechseln furchtbare Sandsteppen
mit nicht weniger unwirthlichen Gebirgen, um die russische Herrschaft zunächst
von den Staaten der freien Tartarei, dann in Unendlicher Ausdehnung von
den chinesischen Landschaften fern zu halten. Dort trennen hintereinander von
Westen nach Osten: die turkomanische Steppe, die unfruchtbare Bergland¬
schaft von Thianschan Pein, die furchtbare Wüste Gobi, und im äußersten
Öhle'n die rauhen Berge der Mantschurei. Wenn diese natürlichen Festungs¬
werke bis jetzt den persischen, indischen und chinesischen Süden gegen Ru߬
land vertheidigt haben, so scheint doch die Stunde nicht fern, wo selbst die
größten Bollwerke der Natur dem herrschlustigen Geiste keine unübersteig-
liche Schranke sein werden.

ES ist interessant, die Anstrengungen zu verfolgen, welche Nußland in der
letzten Zeit dafür gemacht hat. Freilich nur einzeln und unsicher dringen die
Nachrichten darüber aus russischen Blättern, durch das Journal de Konstan-
tinople, zuweilen durch eine englische Korrespondenz in die Oeffentlichkeit,
bis zuletzt eine russische officielle Karte ein neues Stück um den Ural- oder
den Balkaschsee mit russischen Farben übermalt zeigt. Auch Nußland hat seine
Eroberungszüge theuer bezahlt. Es sind jetzt zwanzig Jahr seit dem sürchtcr- >
lichen Zuge nach Chiwci, wo das russische Corps des Generals Perowski wäh¬
rend der Passage des Truchmenenisthmus zwischen dem kaspischen Meer und
dem Aralsee den Schneestürmen bei -- 30" R. erlag. Seitdem blieb daS
kaspische Meer mit seiner großen Dampferflottille die OperationSbastS sowol
gegen Persien als gegen die Staaten am Ann Darja, welche sich wie Perlen
auf einer Schnur dem Laufe des Flusses entlang ziehen: Chiwa, Bokhara,
Balksch, Kundus. Aber man verfuhr systematischer. Zunächst etablirte sich
Rußland am Nordgestade deS Aralsees und errichtete dort eine kleine Flottille


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russischen Waffen dort über die Türken gesiegt. Wol aber gaben die Perser
und Turkomanen, dann die Staaten des Ann Darja, Tartaren, Kirgisen, und
chinesische Grenzvölker Ursache zur Besorgniß. Der Einfluß und die Herrschaft
Rußlands ruht bei diesen Stämmen aus schwacher Grundlage; es ist grade
dort viel Glaube und Schein. So sehr reguläres Militär und geordnetes
Beamtenthum an diesen Grenzstationen imponirt, so unsicher ist die reelle Wir¬
kung solches Apparats bei einem Angriffkriege in den Steppenlandschaften.
Deshalb fing Rußland schon während des orientalischem Krieges an, activ ge¬
gen die innern astatischen Völker vorzugehen, und nach beendigtem Kriege lag
ihm nichts näher, als durch möglichste Machtentfaltung in Asten die dunkeln
Gerüchte über seine Niederlage zu neutralisiren, welche durch die Sandwüsten an
seinen Grenzen von Zelt zu Zelt flogen.

ES ist bekannt, daß die Operationen von russischem Gebiet nach dem
Innern Asiens durch die stärksten natürlichen Hindernisse erschwert sind. Vom
kaspischen Meer ab bis zum Meer von Ochotsk wechseln furchtbare Sandsteppen
mit nicht weniger unwirthlichen Gebirgen, um die russische Herrschaft zunächst
von den Staaten der freien Tartarei, dann in Unendlicher Ausdehnung von
den chinesischen Landschaften fern zu halten. Dort trennen hintereinander von
Westen nach Osten: die turkomanische Steppe, die unfruchtbare Bergland¬
schaft von Thianschan Pein, die furchtbare Wüste Gobi, und im äußersten
Öhle'n die rauhen Berge der Mantschurei. Wenn diese natürlichen Festungs¬
werke bis jetzt den persischen, indischen und chinesischen Süden gegen Ru߬
land vertheidigt haben, so scheint doch die Stunde nicht fern, wo selbst die
größten Bollwerke der Natur dem herrschlustigen Geiste keine unübersteig-
liche Schranke sein werden.

ES ist interessant, die Anstrengungen zu verfolgen, welche Nußland in der
letzten Zeit dafür gemacht hat. Freilich nur einzeln und unsicher dringen die
Nachrichten darüber aus russischen Blättern, durch das Journal de Konstan-
tinople, zuweilen durch eine englische Korrespondenz in die Oeffentlichkeit,
bis zuletzt eine russische officielle Karte ein neues Stück um den Ural- oder
den Balkaschsee mit russischen Farben übermalt zeigt. Auch Nußland hat seine
Eroberungszüge theuer bezahlt. Es sind jetzt zwanzig Jahr seit dem sürchtcr- >
lichen Zuge nach Chiwci, wo das russische Corps des Generals Perowski wäh¬
rend der Passage des Truchmenenisthmus zwischen dem kaspischen Meer und
dem Aralsee den Schneestürmen bei — 30" R. erlag. Seitdem blieb daS
kaspische Meer mit seiner großen Dampferflottille die OperationSbastS sowol
gegen Persien als gegen die Staaten am Ann Darja, welche sich wie Perlen
auf einer Schnur dem Laufe des Flusses entlang ziehen: Chiwa, Bokhara,
Balksch, Kundus. Aber man verfuhr systematischer. Zunächst etablirte sich
Rußland am Nordgestade deS Aralsees und errichtete dort eine kleine Flottille


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[0451] russischen Waffen dort über die Türken gesiegt. Wol aber gaben die Perser und Turkomanen, dann die Staaten des Ann Darja, Tartaren, Kirgisen, und chinesische Grenzvölker Ursache zur Besorgniß. Der Einfluß und die Herrschaft Rußlands ruht bei diesen Stämmen aus schwacher Grundlage; es ist grade dort viel Glaube und Schein. So sehr reguläres Militär und geordnetes Beamtenthum an diesen Grenzstationen imponirt, so unsicher ist die reelle Wir¬ kung solches Apparats bei einem Angriffkriege in den Steppenlandschaften. Deshalb fing Rußland schon während des orientalischem Krieges an, activ ge¬ gen die innern astatischen Völker vorzugehen, und nach beendigtem Kriege lag ihm nichts näher, als durch möglichste Machtentfaltung in Asten die dunkeln Gerüchte über seine Niederlage zu neutralisiren, welche durch die Sandwüsten an seinen Grenzen von Zelt zu Zelt flogen. ES ist bekannt, daß die Operationen von russischem Gebiet nach dem Innern Asiens durch die stärksten natürlichen Hindernisse erschwert sind. Vom kaspischen Meer ab bis zum Meer von Ochotsk wechseln furchtbare Sandsteppen mit nicht weniger unwirthlichen Gebirgen, um die russische Herrschaft zunächst von den Staaten der freien Tartarei, dann in Unendlicher Ausdehnung von den chinesischen Landschaften fern zu halten. Dort trennen hintereinander von Westen nach Osten: die turkomanische Steppe, die unfruchtbare Bergland¬ schaft von Thianschan Pein, die furchtbare Wüste Gobi, und im äußersten Öhle'n die rauhen Berge der Mantschurei. Wenn diese natürlichen Festungs¬ werke bis jetzt den persischen, indischen und chinesischen Süden gegen Ru߬ land vertheidigt haben, so scheint doch die Stunde nicht fern, wo selbst die größten Bollwerke der Natur dem herrschlustigen Geiste keine unübersteig- liche Schranke sein werden. ES ist interessant, die Anstrengungen zu verfolgen, welche Nußland in der letzten Zeit dafür gemacht hat. Freilich nur einzeln und unsicher dringen die Nachrichten darüber aus russischen Blättern, durch das Journal de Konstan- tinople, zuweilen durch eine englische Korrespondenz in die Oeffentlichkeit, bis zuletzt eine russische officielle Karte ein neues Stück um den Ural- oder den Balkaschsee mit russischen Farben übermalt zeigt. Auch Nußland hat seine Eroberungszüge theuer bezahlt. Es sind jetzt zwanzig Jahr seit dem sürchtcr- > lichen Zuge nach Chiwci, wo das russische Corps des Generals Perowski wäh¬ rend der Passage des Truchmenenisthmus zwischen dem kaspischen Meer und dem Aralsee den Schneestürmen bei — 30" R. erlag. Seitdem blieb daS kaspische Meer mit seiner großen Dampferflottille die OperationSbastS sowol gegen Persien als gegen die Staaten am Ann Darja, welche sich wie Perlen auf einer Schnur dem Laufe des Flusses entlang ziehen: Chiwa, Bokhara, Balksch, Kundus. Aber man verfuhr systematischer. Zunächst etablirte sich Rußland am Nordgestade deS Aralsees und errichtete dort eine kleine Flottille SS*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/451>, abgerufen am 28.07.2024.