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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die Resultate seiner Studien suchte er zuerst in öffentlichen Vorlesungen
geltend zu machen. Im Anfang hatte er einen außerordentlichen Zulauf, seine
Darstellungsgabe soll sehr bedeutend gewesen sein, und die allgemeine Einlei¬
tung erregte lebhaftes Interesse; wenn man ihm aber wegen dieses Zuströmens
der Menge gratulirte, antwortete er lachend, er werde ihm bald einen Damm
setzen, und so geschah es in der That. Er vertiefte sich so in die Mysterien
der vergleichenden Sprach- und Rechtswissenschaft, als ob er einen Vortrag
über die Integralrechnung halten wollte; die Menge blieb bald aus, und nur
die wirklichen Gelehrten hielten Stand, darunter die vorzüglichsten Mitglieder
der Universität.

Man darf übrigens nicht annehmen, er habe seine Studien auf einen
bestimmten Zweig der Gelehrsamkeit eingeschränkt. Ein großer Freund und
Kenner der Poesie aller Völker, wußte er zuweilen, wenn eS eine lebhafte Beschrei¬
bung galt, einen hinreißenden poetischen Ausdruck zu finden. Zudem verbietet
die Natur seiner Wissenschaft mehr als die jeder andern die Beschränkung auf ein
bestimmtes Feld. Um sich seinen eigentlichen Gegenstand, das deutsche und
celtische Alterthum, klar zu machen, hat er z. B. die Byzantiner in einem
Umfang studirt, daß nur wenig europäische Gelehrte ihm darin zu Seite
stehen.

In der praktischen Beschäftigung, die mit der Alterthumswissenschaft ver¬
bunden ist, in der Entzifferung unlesbarer Manuscripte und Inschriften und
in der Ausgrabung von Denkmälern der Vergangenheit gehört er zu den Vir¬
tuosen erster Classe. Es ist dazu nicht blos eine strenge Methode, sondern
auch ein angeborner Jnstinct erforderlich, eine Freude an der Thätigkeit um
der Thätigkeit willen, und wir werden wol seine wissenschaftliche Bedeutung
nicht beeinträchtigen, wenn wir in der Lebhaftigkeit, mit welcher er, von einem
Gefolge von Handwerkern begleitet, die lüneburger Haide nach Alterthümern
durchwühlte, den Angler von der steinernen Nenne wiedererkennen. Wenn er
dort einen alten Grabplatz, germanische Urnen oder Waffen entdeckte, so wird
eS ihm wol ebensoviel Vergnügen gemacht haben, als wenn er in Wernigerode
eine Forelle fing, wo die Forellen so selten sind.

Die vergleichende Alterthumswissenschaft gibt wenig Gelegenheit, durch
abgeschlossene Arbeiten Ruhm bei der Menge zu gewinnen. W. Scott schildert
vortrefflich, wenn auch mit einer komischen Färbung, den innern Zusammen¬
hang dieser stillen Forscher, die, dem übrigen Publicum unbekannt, wie eine
geschlossene Freimaurerloge miteinander verkehren. Mit einer Selbstverleug¬
nung, die nicht jedem Gelehrten eigen ist, muß hier der eine den Forschungen
des andern unter die Arme greifen und gewärtig sein, daß sein Name und
das Andenken an seine eigne Thätigkeit in einem umfassendern Werk untergeht.
Kemble besaß diese Unbefangenheit der Forschung in einem seltenen Grade.


Die Resultate seiner Studien suchte er zuerst in öffentlichen Vorlesungen
geltend zu machen. Im Anfang hatte er einen außerordentlichen Zulauf, seine
Darstellungsgabe soll sehr bedeutend gewesen sein, und die allgemeine Einlei¬
tung erregte lebhaftes Interesse; wenn man ihm aber wegen dieses Zuströmens
der Menge gratulirte, antwortete er lachend, er werde ihm bald einen Damm
setzen, und so geschah es in der That. Er vertiefte sich so in die Mysterien
der vergleichenden Sprach- und Rechtswissenschaft, als ob er einen Vortrag
über die Integralrechnung halten wollte; die Menge blieb bald aus, und nur
die wirklichen Gelehrten hielten Stand, darunter die vorzüglichsten Mitglieder
der Universität.

Man darf übrigens nicht annehmen, er habe seine Studien auf einen
bestimmten Zweig der Gelehrsamkeit eingeschränkt. Ein großer Freund und
Kenner der Poesie aller Völker, wußte er zuweilen, wenn eS eine lebhafte Beschrei¬
bung galt, einen hinreißenden poetischen Ausdruck zu finden. Zudem verbietet
die Natur seiner Wissenschaft mehr als die jeder andern die Beschränkung auf ein
bestimmtes Feld. Um sich seinen eigentlichen Gegenstand, das deutsche und
celtische Alterthum, klar zu machen, hat er z. B. die Byzantiner in einem
Umfang studirt, daß nur wenig europäische Gelehrte ihm darin zu Seite
stehen.

In der praktischen Beschäftigung, die mit der Alterthumswissenschaft ver¬
bunden ist, in der Entzifferung unlesbarer Manuscripte und Inschriften und
in der Ausgrabung von Denkmälern der Vergangenheit gehört er zu den Vir¬
tuosen erster Classe. Es ist dazu nicht blos eine strenge Methode, sondern
auch ein angeborner Jnstinct erforderlich, eine Freude an der Thätigkeit um
der Thätigkeit willen, und wir werden wol seine wissenschaftliche Bedeutung
nicht beeinträchtigen, wenn wir in der Lebhaftigkeit, mit welcher er, von einem
Gefolge von Handwerkern begleitet, die lüneburger Haide nach Alterthümern
durchwühlte, den Angler von der steinernen Nenne wiedererkennen. Wenn er
dort einen alten Grabplatz, germanische Urnen oder Waffen entdeckte, so wird
eS ihm wol ebensoviel Vergnügen gemacht haben, als wenn er in Wernigerode
eine Forelle fing, wo die Forellen so selten sind.

Die vergleichende Alterthumswissenschaft gibt wenig Gelegenheit, durch
abgeschlossene Arbeiten Ruhm bei der Menge zu gewinnen. W. Scott schildert
vortrefflich, wenn auch mit einer komischen Färbung, den innern Zusammen¬
hang dieser stillen Forscher, die, dem übrigen Publicum unbekannt, wie eine
geschlossene Freimaurerloge miteinander verkehren. Mit einer Selbstverleug¬
nung, die nicht jedem Gelehrten eigen ist, muß hier der eine den Forschungen
des andern unter die Arme greifen und gewärtig sein, daß sein Name und
das Andenken an seine eigne Thätigkeit in einem umfassendern Werk untergeht.
Kemble besaß diese Unbefangenheit der Forschung in einem seltenen Grade.


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[0445] Die Resultate seiner Studien suchte er zuerst in öffentlichen Vorlesungen geltend zu machen. Im Anfang hatte er einen außerordentlichen Zulauf, seine Darstellungsgabe soll sehr bedeutend gewesen sein, und die allgemeine Einlei¬ tung erregte lebhaftes Interesse; wenn man ihm aber wegen dieses Zuströmens der Menge gratulirte, antwortete er lachend, er werde ihm bald einen Damm setzen, und so geschah es in der That. Er vertiefte sich so in die Mysterien der vergleichenden Sprach- und Rechtswissenschaft, als ob er einen Vortrag über die Integralrechnung halten wollte; die Menge blieb bald aus, und nur die wirklichen Gelehrten hielten Stand, darunter die vorzüglichsten Mitglieder der Universität. Man darf übrigens nicht annehmen, er habe seine Studien auf einen bestimmten Zweig der Gelehrsamkeit eingeschränkt. Ein großer Freund und Kenner der Poesie aller Völker, wußte er zuweilen, wenn eS eine lebhafte Beschrei¬ bung galt, einen hinreißenden poetischen Ausdruck zu finden. Zudem verbietet die Natur seiner Wissenschaft mehr als die jeder andern die Beschränkung auf ein bestimmtes Feld. Um sich seinen eigentlichen Gegenstand, das deutsche und celtische Alterthum, klar zu machen, hat er z. B. die Byzantiner in einem Umfang studirt, daß nur wenig europäische Gelehrte ihm darin zu Seite stehen. In der praktischen Beschäftigung, die mit der Alterthumswissenschaft ver¬ bunden ist, in der Entzifferung unlesbarer Manuscripte und Inschriften und in der Ausgrabung von Denkmälern der Vergangenheit gehört er zu den Vir¬ tuosen erster Classe. Es ist dazu nicht blos eine strenge Methode, sondern auch ein angeborner Jnstinct erforderlich, eine Freude an der Thätigkeit um der Thätigkeit willen, und wir werden wol seine wissenschaftliche Bedeutung nicht beeinträchtigen, wenn wir in der Lebhaftigkeit, mit welcher er, von einem Gefolge von Handwerkern begleitet, die lüneburger Haide nach Alterthümern durchwühlte, den Angler von der steinernen Nenne wiedererkennen. Wenn er dort einen alten Grabplatz, germanische Urnen oder Waffen entdeckte, so wird eS ihm wol ebensoviel Vergnügen gemacht haben, als wenn er in Wernigerode eine Forelle fing, wo die Forellen so selten sind. Die vergleichende Alterthumswissenschaft gibt wenig Gelegenheit, durch abgeschlossene Arbeiten Ruhm bei der Menge zu gewinnen. W. Scott schildert vortrefflich, wenn auch mit einer komischen Färbung, den innern Zusammen¬ hang dieser stillen Forscher, die, dem übrigen Publicum unbekannt, wie eine geschlossene Freimaurerloge miteinander verkehren. Mit einer Selbstverleug¬ nung, die nicht jedem Gelehrten eigen ist, muß hier der eine den Forschungen des andern unter die Arme greifen und gewärtig sein, daß sein Name und das Andenken an seine eigne Thätigkeit in einem umfassendern Werk untergeht. Kemble besaß diese Unbefangenheit der Forschung in einem seltenen Grade.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/445>, abgerufen am 01.09.2024.