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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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fassungsgabe und seinen schnell fertigen Witz bald der Liebling derselben; doch
entwickelte sich sein analytisches Talent schon früh, und er wandte eS zuerst
auf chemische Untersuchungen, in denen er beträchtliche Fortschritte gemacht
haben soll, ohne sie,jedoch in der spätern Zeit weiter zu verfolgen. 1826 kam
er auf die Universität Cambridge und theilte seine Zeit zwischen den gym¬
nastischen Uebungen der englischen Jugend, Reiten, Jagen, Fischen, Wett¬
rennen )c. und gelehrten Studien, in denen er aber ausschließlich seiner Nei¬
gung folgte, ohne sich an die hergebrachte Regel der Universität zu kehren.
Was die Sports betrifft, so hat er es darin zu einer außerordentlichen Voll¬
kommenheit gebracht und sie bis in die letzten Jahre fortgesetzt. Mancher
Bewohner des Harzes, der von den gelehrten Forschungen deS Geschicht¬
schreibers der Angelsachen nichts gehört hatte, kannte sehr wohl den unermüd¬
lichen Sonderling, der bei Sturm und Regen am Abhang der steinernen Nenne
saß und Forellen angelte. Die Professoren von Oxford waren mit ihrem Zög¬
ling nicht vollständig zufrieden. In dem herkömmlichen Eramen entwickelte er
zwar einen reichen Schatz von Kenntnissen, aber in manchen Gebieten deS
Wissens, die man für die vollkommene Bildung eines Gentleman für erforder¬
lich hielt, zeigte er Lücken, und was das Schlimmste war, er disputirte un¬
erschrocken gegen Autoritäten, die noch nie ein Bewohner von Cambridge in
Zweifel gezogen hatte. So sah man sich genöthigt, sein AbgangSzeugniß zu
verclausuliren. Seine scharfsinnige, schlagfertige Natur schien ihn für die
Laufbahn eines Rechtsgelehrten zu bestimmen, und die Wünsche seiner Familie
gingen damit Hand in Hand. Allein er erlebte auch hier das Schicksal Old-
bucks. Mit äußerstem Fleiß vertiefte er sich in die Subtilitäten der alt¬
englischen Rechtsgeschichte und erweckte bei seinen Lehrern die größten Hoff¬
nungen. Als es sich aber um die Anwendung dieser Kenntnisse fürs praktische
Leben, für bestimmte Rechtsakte handelte, zeigte er sich gleichgiltig und selbst
unbeholfen. Die Details seines Berufs verdrossen ihn so, daß er einen Augen¬
blick daran dachte, in den geistlichen Stand zu treten.

Eine Reise nach Deutschland 1829 entschied über sein weiteres Leben-
Unter der Leitung Jakob Grimms lernte er den Lebensnerv der neu aufblühen¬
den Wissenschaft begreifen, und was bis jetzt wenigstens blos Liebhaberei be>-
ihm gewesen war, wurde nun ernste, consequente wissenschaftliche Forschung-
Er gehört unter den Schülern Grimms in die erste Reihe, und nicht blos die
Geschichte seines Vaterlandes, sondern das deutsche Alterthum überhaupt ver¬
dankt ihm die überraschendsten Entdeckungen. Nur einmal noch wurde seine
wissenschaftliche Laufbahn unterbrochen, als er im Jahr 1830 nach Spanien
ging, um an dem bewaffneten Widerstand der Patrioten gegen die Willkür des
absolutistischen Regiments Theil zu nehmen. Der Landsmann und Zeitgenosse
Lord Byrons verleugnete sich nicht in dem jungen Gelehrten.


fassungsgabe und seinen schnell fertigen Witz bald der Liebling derselben; doch
entwickelte sich sein analytisches Talent schon früh, und er wandte eS zuerst
auf chemische Untersuchungen, in denen er beträchtliche Fortschritte gemacht
haben soll, ohne sie,jedoch in der spätern Zeit weiter zu verfolgen. 1826 kam
er auf die Universität Cambridge und theilte seine Zeit zwischen den gym¬
nastischen Uebungen der englischen Jugend, Reiten, Jagen, Fischen, Wett¬
rennen )c. und gelehrten Studien, in denen er aber ausschließlich seiner Nei¬
gung folgte, ohne sich an die hergebrachte Regel der Universität zu kehren.
Was die Sports betrifft, so hat er es darin zu einer außerordentlichen Voll¬
kommenheit gebracht und sie bis in die letzten Jahre fortgesetzt. Mancher
Bewohner des Harzes, der von den gelehrten Forschungen deS Geschicht¬
schreibers der Angelsachen nichts gehört hatte, kannte sehr wohl den unermüd¬
lichen Sonderling, der bei Sturm und Regen am Abhang der steinernen Nenne
saß und Forellen angelte. Die Professoren von Oxford waren mit ihrem Zög¬
ling nicht vollständig zufrieden. In dem herkömmlichen Eramen entwickelte er
zwar einen reichen Schatz von Kenntnissen, aber in manchen Gebieten deS
Wissens, die man für die vollkommene Bildung eines Gentleman für erforder¬
lich hielt, zeigte er Lücken, und was das Schlimmste war, er disputirte un¬
erschrocken gegen Autoritäten, die noch nie ein Bewohner von Cambridge in
Zweifel gezogen hatte. So sah man sich genöthigt, sein AbgangSzeugniß zu
verclausuliren. Seine scharfsinnige, schlagfertige Natur schien ihn für die
Laufbahn eines Rechtsgelehrten zu bestimmen, und die Wünsche seiner Familie
gingen damit Hand in Hand. Allein er erlebte auch hier das Schicksal Old-
bucks. Mit äußerstem Fleiß vertiefte er sich in die Subtilitäten der alt¬
englischen Rechtsgeschichte und erweckte bei seinen Lehrern die größten Hoff¬
nungen. Als es sich aber um die Anwendung dieser Kenntnisse fürs praktische
Leben, für bestimmte Rechtsakte handelte, zeigte er sich gleichgiltig und selbst
unbeholfen. Die Details seines Berufs verdrossen ihn so, daß er einen Augen¬
blick daran dachte, in den geistlichen Stand zu treten.

Eine Reise nach Deutschland 1829 entschied über sein weiteres Leben-
Unter der Leitung Jakob Grimms lernte er den Lebensnerv der neu aufblühen¬
den Wissenschaft begreifen, und was bis jetzt wenigstens blos Liebhaberei be>-
ihm gewesen war, wurde nun ernste, consequente wissenschaftliche Forschung-
Er gehört unter den Schülern Grimms in die erste Reihe, und nicht blos die
Geschichte seines Vaterlandes, sondern das deutsche Alterthum überhaupt ver¬
dankt ihm die überraschendsten Entdeckungen. Nur einmal noch wurde seine
wissenschaftliche Laufbahn unterbrochen, als er im Jahr 1830 nach Spanien
ging, um an dem bewaffneten Widerstand der Patrioten gegen die Willkür des
absolutistischen Regiments Theil zu nehmen. Der Landsmann und Zeitgenosse
Lord Byrons verleugnete sich nicht in dem jungen Gelehrten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/444>, abgerufen am 01.09.2024.