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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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tag, Hengst, Livree -- alles ist vorgeschrieben. Zur Hochzeit ergeht eine
currendenartige Einladung, welche der Umbitter in einem Futteral von buntem
Papier trägt, wahrend bei Begräbnissen dieses Futteral von schwarzer Farbe
ist. Wer zweifelt noch an dem conservativen Geiste dieser Niederunger! Be¬
rüchtigt ist auch ihr Lurus. Die schwersten und kostbarsten Seidenstoffe sind
hier bei Festen ganz gewöhnlich. Zu einer Hochzeit wurden die bestellten
Kuchen aus Danzig mit einem vierspännigen Wagen abgeholt und an Wein
sechshundert Flaschen getrunken. Ein Hofbesitzer (in neuerer Zeit nennen sie sich
gern Gutsbesitzer) hatte drei Töchter. Die älteste derselben wurde aus ein halbes
Jahr nach Danzig geschickt, um die höhere Aus- und Einbildung zu erlangen,
und brachte auch -- als Sündenbock für ihre Studien -- einen neuen Flügel
in das elterliche Haus zurück, Nun verlangten die beiden jüngern Schwestern
aber nach einem gleichen "Spielzeug", und da es die Mutter wollte, so mußte
der Vater richtig noch zwei Instrumente, zu vierhundert Thaler das Stück,
lausen. Leider hatte man aber die Localitäten nicht genug berücksichtigt; die
beiden Flügel mußten auf den Speicher wandern und stehen so lange da bis
die Töchter sich verheirathen werden. In frühern Zeiten mochte eS fast noch
ärger sein. Ein Bauer in Nickelswalde auf der danziger Nehrung bewirthete
einst den deutschen Hochmeister mit dessen Gefolge und bot ihnen statt der
Stühle Bänke an, deren Stützen aus Tonnen bestanden. Die Gäste waren
nach beendigtem Mahle nicht wenig erstaunt, elf davon vollständig und eine
zur Hälfte mit Geld gefüllt zu sehen. Der Hochmeister schenkte dem Bauer
die fehlende Hälfte, um sagen zu können, er habe Bauern, welche eine Last
Geldes besäße". Berüchtigt wegen ihres Uebermuthes waren die Bewohner
von Groß- und Kleinlichtenau, von denen erzählt wird, daß sie uns Jahr
1i00 einen trunkenen Mönch in einen Sack gesteckt und in den Rauchfang
gehängt hätten, bis er Eier legen würde. Einen pilgernden Jakobsbruder,
der sie wegen ihrer Hartherzigkeit schalt, sollen sie theils aus Muthwillen,
theils aus Fahrlässigkeit an einem Bratspieße verbrannt, und einen Kesselflicker
drei Tage lang in ein gefallenes Pferd genäht haben. Ihren Geistlichen for¬
derten sie auf, einer Sau die letzte Oelung zu geben, und den Hauskomthur
von Neuteich nagelten sie einmal mit dem Barte an die Thüre. Noch andere
pikante Züge von dem Uebermuthe der "Werderschen" aus dem siebzehnten
Jahrhundert erzählt Hartwich. Ein "Schandmaul" antwortet seinem Seel¬
sorger, welcher ihn zur Buße ermahnt: "Mein lieber Herr, ich frag den Teufel
nach der Buße." -- Wer nicht ganze Halben und Sesse auf einmal aussaufe"
kann, der ist ein Schurkenbauer, der muß hinier der Thür sitzen bleiben.
Wir haben, -- schreibt Herr Walther Magirus, Prediger in Wernershof,
auch solche ungeschliffene Nültzen in diesem großen marjenburgischen Werber,
die der Teufel also eingenommen, daß sie ungescheut sagen dürfen: Wer ein-


tag, Hengst, Livree — alles ist vorgeschrieben. Zur Hochzeit ergeht eine
currendenartige Einladung, welche der Umbitter in einem Futteral von buntem
Papier trägt, wahrend bei Begräbnissen dieses Futteral von schwarzer Farbe
ist. Wer zweifelt noch an dem conservativen Geiste dieser Niederunger! Be¬
rüchtigt ist auch ihr Lurus. Die schwersten und kostbarsten Seidenstoffe sind
hier bei Festen ganz gewöhnlich. Zu einer Hochzeit wurden die bestellten
Kuchen aus Danzig mit einem vierspännigen Wagen abgeholt und an Wein
sechshundert Flaschen getrunken. Ein Hofbesitzer (in neuerer Zeit nennen sie sich
gern Gutsbesitzer) hatte drei Töchter. Die älteste derselben wurde aus ein halbes
Jahr nach Danzig geschickt, um die höhere Aus- und Einbildung zu erlangen,
und brachte auch — als Sündenbock für ihre Studien — einen neuen Flügel
in das elterliche Haus zurück, Nun verlangten die beiden jüngern Schwestern
aber nach einem gleichen „Spielzeug", und da es die Mutter wollte, so mußte
der Vater richtig noch zwei Instrumente, zu vierhundert Thaler das Stück,
lausen. Leider hatte man aber die Localitäten nicht genug berücksichtigt; die
beiden Flügel mußten auf den Speicher wandern und stehen so lange da bis
die Töchter sich verheirathen werden. In frühern Zeiten mochte eS fast noch
ärger sein. Ein Bauer in Nickelswalde auf der danziger Nehrung bewirthete
einst den deutschen Hochmeister mit dessen Gefolge und bot ihnen statt der
Stühle Bänke an, deren Stützen aus Tonnen bestanden. Die Gäste waren
nach beendigtem Mahle nicht wenig erstaunt, elf davon vollständig und eine
zur Hälfte mit Geld gefüllt zu sehen. Der Hochmeister schenkte dem Bauer
die fehlende Hälfte, um sagen zu können, er habe Bauern, welche eine Last
Geldes besäße«. Berüchtigt wegen ihres Uebermuthes waren die Bewohner
von Groß- und Kleinlichtenau, von denen erzählt wird, daß sie uns Jahr
1i00 einen trunkenen Mönch in einen Sack gesteckt und in den Rauchfang
gehängt hätten, bis er Eier legen würde. Einen pilgernden Jakobsbruder,
der sie wegen ihrer Hartherzigkeit schalt, sollen sie theils aus Muthwillen,
theils aus Fahrlässigkeit an einem Bratspieße verbrannt, und einen Kesselflicker
drei Tage lang in ein gefallenes Pferd genäht haben. Ihren Geistlichen for¬
derten sie auf, einer Sau die letzte Oelung zu geben, und den Hauskomthur
von Neuteich nagelten sie einmal mit dem Barte an die Thüre. Noch andere
pikante Züge von dem Uebermuthe der „Werderschen" aus dem siebzehnten
Jahrhundert erzählt Hartwich. Ein „Schandmaul" antwortet seinem Seel¬
sorger, welcher ihn zur Buße ermahnt: „Mein lieber Herr, ich frag den Teufel
nach der Buße." — Wer nicht ganze Halben und Sesse auf einmal aussaufe»
kann, der ist ein Schurkenbauer, der muß hinier der Thür sitzen bleiben.
Wir haben, — schreibt Herr Walther Magirus, Prediger in Wernershof,
auch solche ungeschliffene Nültzen in diesem großen marjenburgischen Werber,
die der Teufel also eingenommen, daß sie ungescheut sagen dürfen: Wer ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/442>, abgerufen am 01.09.2024.