Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

classischen Periode an. Durch den poetischen Duft, mit dem er die Umrisse
seines Gedankens umhaucht, durch die träumerische Schwermuth in seinen
Empfindungen ergreift er seine Zeitgenossen. Er zeigt sogar, wenn er einmal
ernsthaft analvsirt, einen großen Scharfsinn und geht entschieden auf den
Kern der Sache; er weiß sehr gut den letzten Grund aller der Uebelstände,
die er beklagt, aber er denkt nicht daran, sie zuerst in seinem Innern auszu¬
rotten. Wo er sich einen bestimmten Gegenstand setzt, sind seine Gedanken
klar, seine Sprache edel; so z. B. in seinem Gedicht auf die Geburt des Gra¬
fen von Paris, welches man mit den schwülstigen und servilen Oden Victor
Hugos und Lamartines auf die Geburt des Herzogs von Bordeaux vergleichen
muß, um zu empfinden, wie viel gesünder eigentlich sein sittlicher Fonds ist.
Wir finden bei ihm eine Eleganz der Sprache, eine, wenn auch nur indivi¬
duelle Wahrheit in den Anschauungen, eine Empfänglichkeit für alle Probleme
deS Geistes und des Herzens und eine Freiheit von den gewöhnlichen franzö¬
sischen Voraussetzungen, eine zarte und doch energische Bildlichkeit, die unsere
Achtung verdient. Niemals verfällt er in leeres Pathos, niemals gehen die
Phrasen mit ihm durch. An Energie und Anmuth läßt er sich unter den
neuern Dichtern nur mit Merimee und Bernard vergleichen, die ihm auch in
der Scheu vor allgemeinen Redensarten verwandt sind; er unterscheidet sich
aber von ihnen durch die Weite und Mannigfaltigkeit seiner Perspectiven. Für
größere dramatische und epische Kompositionen reicht seine Kraft nicht aus; trotz
glänzender Einzelheiten machen sie durch ihre trübe, skeptische Atmosphäre den
Eindruck deS Verwaschenen. Aber in der Lyrik entwickelt er eine große Gewalt
des Gefühls, er hat die Kraft zu lieben und zu hassen. Zwar lahmt er sie oft
durch Hohn und Zweifel, aber wo er ihr einmal freien Lauf läßt, findet sie einen
edeln und mächtigen Ausdruck, und einzelne seiner Lieder stehen durch ihre
individuelle Wahrheit in der ersten Reihe der neuesten französischen Poesien.
Dahin gehören die vier Nächte (1836), die Hoffnung auf Gott (1838), vor
allem aber die "Erinnerung" (18L0), von der wir einige Strophen mittheilen.


. . . ^I>! Jm"8L/-Jo8 voulor, elles MV 80NI, Iller olivres,
I^ö" liirmss c^no "oulüvo un voeur encore I)Je8so!
l^e le" K88u^e? s>"8> liU88Su 8ur me8 niiunivre8
voilo ein p"88k!
.Is ne vioii8 poiiN jeter un rvgrst irnNile
ohn8 l'e'mo <Ig <:v8 hol8 törnoin8 alö mon bonheur.
L'iöre "8l-petto koröl cksns-hö dehnt>6 .trsnqui"",
lit lisr suffi mon ooeur . . . .
Vo^v/! l" lune monte ü U'ÄVt!!^ CV8 vull)rgge8.
Ion l-c-iZiircl tre-mdlo eneoro, belle reine alö8 nun.8 ;
Isis s>u zpwhre ,Iwri"on clöjÄ w, I>e llHKSZes,
tu t'um"noui8.

classischen Periode an. Durch den poetischen Duft, mit dem er die Umrisse
seines Gedankens umhaucht, durch die träumerische Schwermuth in seinen
Empfindungen ergreift er seine Zeitgenossen. Er zeigt sogar, wenn er einmal
ernsthaft analvsirt, einen großen Scharfsinn und geht entschieden auf den
Kern der Sache; er weiß sehr gut den letzten Grund aller der Uebelstände,
die er beklagt, aber er denkt nicht daran, sie zuerst in seinem Innern auszu¬
rotten. Wo er sich einen bestimmten Gegenstand setzt, sind seine Gedanken
klar, seine Sprache edel; so z. B. in seinem Gedicht auf die Geburt des Gra¬
fen von Paris, welches man mit den schwülstigen und servilen Oden Victor
Hugos und Lamartines auf die Geburt des Herzogs von Bordeaux vergleichen
muß, um zu empfinden, wie viel gesünder eigentlich sein sittlicher Fonds ist.
Wir finden bei ihm eine Eleganz der Sprache, eine, wenn auch nur indivi¬
duelle Wahrheit in den Anschauungen, eine Empfänglichkeit für alle Probleme
deS Geistes und des Herzens und eine Freiheit von den gewöhnlichen franzö¬
sischen Voraussetzungen, eine zarte und doch energische Bildlichkeit, die unsere
Achtung verdient. Niemals verfällt er in leeres Pathos, niemals gehen die
Phrasen mit ihm durch. An Energie und Anmuth läßt er sich unter den
neuern Dichtern nur mit Merimee und Bernard vergleichen, die ihm auch in
der Scheu vor allgemeinen Redensarten verwandt sind; er unterscheidet sich
aber von ihnen durch die Weite und Mannigfaltigkeit seiner Perspectiven. Für
größere dramatische und epische Kompositionen reicht seine Kraft nicht aus; trotz
glänzender Einzelheiten machen sie durch ihre trübe, skeptische Atmosphäre den
Eindruck deS Verwaschenen. Aber in der Lyrik entwickelt er eine große Gewalt
des Gefühls, er hat die Kraft zu lieben und zu hassen. Zwar lahmt er sie oft
durch Hohn und Zweifel, aber wo er ihr einmal freien Lauf läßt, findet sie einen
edeln und mächtigen Ausdruck, und einzelne seiner Lieder stehen durch ihre
individuelle Wahrheit in der ersten Reihe der neuesten französischen Poesien.
Dahin gehören die vier Nächte (1836), die Hoffnung auf Gott (1838), vor
allem aber die „Erinnerung" (18L0), von der wir einige Strophen mittheilen.


. . . ^I>! Jm»8L/-Jo8 voulor, elles MV 80NI, Iller olivres,
I^ö« liirmss c^no »oulüvo un voeur encore I)Je8so!
l^e le« K88u^e? s>»8> liU88Su 8ur me8 niiunivre8
voilo ein p»88k!
.Is ne vioii8 poiiN jeter un rvgrst irnNile
ohn8 l'e'mo <Ig <:v8 hol8 törnoin8 alö mon bonheur.
L'iöre «8l-petto koröl cksns-hö dehnt>6 .trsnqui»«,
lit lisr suffi mon ooeur . . . .
Vo^v/! l» lune monte ü U'ÄVt!!^ CV8 vull)rgge8.
Ion l-c-iZiircl tre-mdlo eneoro, belle reine alö8 nun.8 ;
Isis s>u zpwhre ,Iwri«on clöjÄ w, I>e llHKSZes,
tu t'um»noui8.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104105"/>
          <p xml:id="ID_1229" prev="#ID_1228"> classischen Periode an. Durch den poetischen Duft, mit dem er die Umrisse<lb/>
seines Gedankens umhaucht, durch die träumerische Schwermuth in seinen<lb/>
Empfindungen ergreift er seine Zeitgenossen. Er zeigt sogar, wenn er einmal<lb/>
ernsthaft analvsirt, einen großen Scharfsinn und geht entschieden auf den<lb/>
Kern der Sache; er weiß sehr gut den letzten Grund aller der Uebelstände,<lb/>
die er beklagt, aber er denkt nicht daran, sie zuerst in seinem Innern auszu¬<lb/>
rotten. Wo er sich einen bestimmten Gegenstand setzt, sind seine Gedanken<lb/>
klar, seine Sprache edel; so z. B. in seinem Gedicht auf die Geburt des Gra¬<lb/>
fen von Paris, welches man mit den schwülstigen und servilen Oden Victor<lb/>
Hugos und Lamartines auf die Geburt des Herzogs von Bordeaux vergleichen<lb/>
muß, um zu empfinden, wie viel gesünder eigentlich sein sittlicher Fonds ist.<lb/>
Wir finden bei ihm eine Eleganz der Sprache, eine, wenn auch nur indivi¬<lb/>
duelle Wahrheit in den Anschauungen, eine Empfänglichkeit für alle Probleme<lb/>
deS Geistes und des Herzens und eine Freiheit von den gewöhnlichen franzö¬<lb/>
sischen Voraussetzungen, eine zarte und doch energische Bildlichkeit, die unsere<lb/>
Achtung verdient. Niemals verfällt er in leeres Pathos, niemals gehen die<lb/>
Phrasen mit ihm durch. An Energie und Anmuth läßt er sich unter den<lb/>
neuern Dichtern nur mit Merimee und Bernard vergleichen, die ihm auch in<lb/>
der Scheu vor allgemeinen Redensarten verwandt sind; er unterscheidet sich<lb/>
aber von ihnen durch die Weite und Mannigfaltigkeit seiner Perspectiven. Für<lb/>
größere dramatische und epische Kompositionen reicht seine Kraft nicht aus; trotz<lb/>
glänzender Einzelheiten machen sie durch ihre trübe, skeptische Atmosphäre den<lb/>
Eindruck deS Verwaschenen. Aber in der Lyrik entwickelt er eine große Gewalt<lb/>
des Gefühls, er hat die Kraft zu lieben und zu hassen. Zwar lahmt er sie oft<lb/>
durch Hohn und Zweifel, aber wo er ihr einmal freien Lauf läßt, findet sie einen<lb/>
edeln und mächtigen Ausdruck, und einzelne seiner Lieder stehen durch ihre<lb/>
individuelle Wahrheit in der ersten Reihe der neuesten französischen Poesien.<lb/>
Dahin gehören die vier Nächte (1836), die Hoffnung auf Gott (1838), vor<lb/>
allem aber die &#x201E;Erinnerung" (18L0), von der wir einige Strophen mittheilen.</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_36" type="poem">
              <l> . . . ^I&gt;! Jm»8L/-Jo8 voulor, elles MV 80NI, Iller olivres,<lb/>
I^ö« liirmss c^no »oulüvo un voeur encore I)Je8so!<lb/>
l^e le« K88u^e? s&gt;»8&gt; liU88Su 8ur me8 niiunivre8<lb/>
voilo ein p»88k!</l>
              <l> .Is ne vioii8 poiiN jeter un rvgrst irnNile<lb/>
ohn8 l'e'mo &lt;Ig &lt;:v8 hol8 törnoin8 alö mon bonheur.<lb/>
L'iöre «8l-petto koröl cksns-hö dehnt&gt;6 .trsnqui»«,<lb/>
lit lisr suffi mon ooeur . . . .</l>
              <l> Vo^v/! l» lune monte ü U'ÄVt!!^ CV8 vull)rgge8.<lb/>
Ion l-c-iZiircl tre-mdlo eneoro, belle reine alö8 nun.8 ;<lb/>
Isis s&gt;u zpwhre ,Iwri«on clöjÄ w, I&gt;e llHKSZes,<lb/>
tu t'um»noui8.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] classischen Periode an. Durch den poetischen Duft, mit dem er die Umrisse seines Gedankens umhaucht, durch die träumerische Schwermuth in seinen Empfindungen ergreift er seine Zeitgenossen. Er zeigt sogar, wenn er einmal ernsthaft analvsirt, einen großen Scharfsinn und geht entschieden auf den Kern der Sache; er weiß sehr gut den letzten Grund aller der Uebelstände, die er beklagt, aber er denkt nicht daran, sie zuerst in seinem Innern auszu¬ rotten. Wo er sich einen bestimmten Gegenstand setzt, sind seine Gedanken klar, seine Sprache edel; so z. B. in seinem Gedicht auf die Geburt des Gra¬ fen von Paris, welches man mit den schwülstigen und servilen Oden Victor Hugos und Lamartines auf die Geburt des Herzogs von Bordeaux vergleichen muß, um zu empfinden, wie viel gesünder eigentlich sein sittlicher Fonds ist. Wir finden bei ihm eine Eleganz der Sprache, eine, wenn auch nur indivi¬ duelle Wahrheit in den Anschauungen, eine Empfänglichkeit für alle Probleme deS Geistes und des Herzens und eine Freiheit von den gewöhnlichen franzö¬ sischen Voraussetzungen, eine zarte und doch energische Bildlichkeit, die unsere Achtung verdient. Niemals verfällt er in leeres Pathos, niemals gehen die Phrasen mit ihm durch. An Energie und Anmuth läßt er sich unter den neuern Dichtern nur mit Merimee und Bernard vergleichen, die ihm auch in der Scheu vor allgemeinen Redensarten verwandt sind; er unterscheidet sich aber von ihnen durch die Weite und Mannigfaltigkeit seiner Perspectiven. Für größere dramatische und epische Kompositionen reicht seine Kraft nicht aus; trotz glänzender Einzelheiten machen sie durch ihre trübe, skeptische Atmosphäre den Eindruck deS Verwaschenen. Aber in der Lyrik entwickelt er eine große Gewalt des Gefühls, er hat die Kraft zu lieben und zu hassen. Zwar lahmt er sie oft durch Hohn und Zweifel, aber wo er ihr einmal freien Lauf läßt, findet sie einen edeln und mächtigen Ausdruck, und einzelne seiner Lieder stehen durch ihre individuelle Wahrheit in der ersten Reihe der neuesten französischen Poesien. Dahin gehören die vier Nächte (1836), die Hoffnung auf Gott (1838), vor allem aber die „Erinnerung" (18L0), von der wir einige Strophen mittheilen. . . . ^I>! Jm»8L/-Jo8 voulor, elles MV 80NI, Iller olivres, I^ö« liirmss c^no »oulüvo un voeur encore I)Je8so! l^e le« K88u^e? s>»8> liU88Su 8ur me8 niiunivre8 voilo ein p»88k! .Is ne vioii8 poiiN jeter un rvgrst irnNile ohn8 l'e'mo <Ig <:v8 hol8 törnoin8 alö mon bonheur. L'iöre «8l-petto koröl cksns-hö dehnt>6 .trsnqui»«, lit lisr suffi mon ooeur . . . . Vo^v/! l» lune monte ü U'ÄVt!!^ CV8 vull)rgge8. Ion l-c-iZiircl tre-mdlo eneoro, belle reine alö8 nun.8 ; Isis s>u zpwhre ,Iwri«on clöjÄ w, I>e llHKSZes, tu t'um»noui8.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/438>, abgerufen am 01.09.2024.