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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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That einen entscheidenden Einfluß auf die Poesie unsers Dichters ausgeübt
hat, so ist dieser schnell genug vorübergegangen, denn wir finden weder das
Talent noch die Richtung seiner neuesten Versuche im Vergleich zu den frühern
irgendwie geändert.

Was bei den modernen Nachahmern des PetroniuS am widerwärtigsten
auffällt, ist, daß man selbst in den Orgien der Leidenschaft eiskalt und nüchtern
bleibt, daß man selbst im Sinnentaumel reflectirt, welchen Eindruck man wol
auf seines Gleichen machen möchte; denn Eitelkeit ist das Hauptmotiv der
modernen Don Juans. Sie sind trotz aller Opposition gegen Gesetz und
Sitte Sklaven der Meinung, Sklaven der verkehrten Convenienz ihres Kreises,
dessen Gelächter sie mehr fürchten, als die Sünde. Die reiche Belesenheit der
Zeit, die auch dem Liederlichen nicht mehr verstattet, die geistigen Motive zu
ignoriren, läßt es als den glänzendsten Erfolg erscheinen, wenn man ein reines
Gemüth oder eine stolze Tugend für daS Laster gewinnt. Es ist, wie gesagt,
nicht Lust, sondern Eitelkeit, und nebenbei das Streben nach dem Reiz deS
Contrastes, nach dem Wechsel zwischen den raffinirtesten geistigen und sinn¬
lichen Genüssen. Die Figur der -Lelia ist nicht ganz Phantasie, eben weil
in diesem Zeitalter die Phantasie eine Macht ist. Indem man von frühster
Jugend auf in dem Dunstkreis jener Liederlichkeit aufwächst und von ihren
Traditionen sich nährt, anticipirt man die Empfindungen, die man "och nicht
haben kann, und stellt sie sodann der spätern Erfahrung als das reine Ideal
gegenüber, man belügt nicht blos die Welt, sondern sich selber. Ihr Gehirn
wird müde, noch ehe es gedacht hat; ihr Gefühl ist ausgegeben, noch ehe es
einen Gegenstand gefunden; sobald das wirkliche Leben eintritt, entschwinde"
ihre träumerischen Illusionen, sie stürzen sich mit Leidenschaft in das EhaoS
der unsittlichen Welt, die sie hassen, weil sie noch immer im Geheimen ihr
Ideal im Herzen tragen; an die sie aber doch allein glauben, da sie nicht
die Kraft fühlen, ihr zu widerstehen; so ist ihr Haß gegen die Idealität zu¬
gleich Haß gegen die Wirklichkeit, und ihre geniale Kühnheit nur der Versuch,
sich der Bekümmerniß über ihre verfehlte Existenz zu entziehen. Man möge
sich durch den lustigen und frivolen äußern Anstrich dieser Poesie nicht täusche"
lassen, der Grundzug derselben ist herbe und bittere Melancholie. Zwar darf
man in den einzelnen Ausbrüchen nicht mehr suchen, His eine vorübergehende
Stimmung, auch wol etwas Koketterie. So z. B. ein Sonett: "Ich habe
meine Kraft und mein Leben verloren, meine Freude und meinen Frohsinn;
ich habe sogar den Stolz verloren, der mich an meinen Genius glauben ließ-
AIS ich die Wahrheit kennen lernte, glaubte ich, daß eS eine Freundin wäre;
als ich sie begriff und empfand, war ich ihrer schon überdrüssig.....
einzige Gute, daS mir in der Welt bleibt, ist, zuweilen geweint zu haben-


That einen entscheidenden Einfluß auf die Poesie unsers Dichters ausgeübt
hat, so ist dieser schnell genug vorübergegangen, denn wir finden weder das
Talent noch die Richtung seiner neuesten Versuche im Vergleich zu den frühern
irgendwie geändert.

Was bei den modernen Nachahmern des PetroniuS am widerwärtigsten
auffällt, ist, daß man selbst in den Orgien der Leidenschaft eiskalt und nüchtern
bleibt, daß man selbst im Sinnentaumel reflectirt, welchen Eindruck man wol
auf seines Gleichen machen möchte; denn Eitelkeit ist das Hauptmotiv der
modernen Don Juans. Sie sind trotz aller Opposition gegen Gesetz und
Sitte Sklaven der Meinung, Sklaven der verkehrten Convenienz ihres Kreises,
dessen Gelächter sie mehr fürchten, als die Sünde. Die reiche Belesenheit der
Zeit, die auch dem Liederlichen nicht mehr verstattet, die geistigen Motive zu
ignoriren, läßt es als den glänzendsten Erfolg erscheinen, wenn man ein reines
Gemüth oder eine stolze Tugend für daS Laster gewinnt. Es ist, wie gesagt,
nicht Lust, sondern Eitelkeit, und nebenbei das Streben nach dem Reiz deS
Contrastes, nach dem Wechsel zwischen den raffinirtesten geistigen und sinn¬
lichen Genüssen. Die Figur der -Lelia ist nicht ganz Phantasie, eben weil
in diesem Zeitalter die Phantasie eine Macht ist. Indem man von frühster
Jugend auf in dem Dunstkreis jener Liederlichkeit aufwächst und von ihren
Traditionen sich nährt, anticipirt man die Empfindungen, die man »och nicht
haben kann, und stellt sie sodann der spätern Erfahrung als das reine Ideal
gegenüber, man belügt nicht blos die Welt, sondern sich selber. Ihr Gehirn
wird müde, noch ehe es gedacht hat; ihr Gefühl ist ausgegeben, noch ehe es
einen Gegenstand gefunden; sobald das wirkliche Leben eintritt, entschwinde»
ihre träumerischen Illusionen, sie stürzen sich mit Leidenschaft in das EhaoS
der unsittlichen Welt, die sie hassen, weil sie noch immer im Geheimen ihr
Ideal im Herzen tragen; an die sie aber doch allein glauben, da sie nicht
die Kraft fühlen, ihr zu widerstehen; so ist ihr Haß gegen die Idealität zu¬
gleich Haß gegen die Wirklichkeit, und ihre geniale Kühnheit nur der Versuch,
sich der Bekümmerniß über ihre verfehlte Existenz zu entziehen. Man möge
sich durch den lustigen und frivolen äußern Anstrich dieser Poesie nicht täusche«
lassen, der Grundzug derselben ist herbe und bittere Melancholie. Zwar darf
man in den einzelnen Ausbrüchen nicht mehr suchen, His eine vorübergehende
Stimmung, auch wol etwas Koketterie. So z. B. ein Sonett: „Ich habe
meine Kraft und mein Leben verloren, meine Freude und meinen Frohsinn;
ich habe sogar den Stolz verloren, der mich an meinen Genius glauben ließ-
AIS ich die Wahrheit kennen lernte, glaubte ich, daß eS eine Freundin wäre;
als ich sie begriff und empfand, war ich ihrer schon überdrüssig.....
einzige Gute, daS mir in der Welt bleibt, ist, zuweilen geweint zu haben-


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[0430] That einen entscheidenden Einfluß auf die Poesie unsers Dichters ausgeübt hat, so ist dieser schnell genug vorübergegangen, denn wir finden weder das Talent noch die Richtung seiner neuesten Versuche im Vergleich zu den frühern irgendwie geändert. Was bei den modernen Nachahmern des PetroniuS am widerwärtigsten auffällt, ist, daß man selbst in den Orgien der Leidenschaft eiskalt und nüchtern bleibt, daß man selbst im Sinnentaumel reflectirt, welchen Eindruck man wol auf seines Gleichen machen möchte; denn Eitelkeit ist das Hauptmotiv der modernen Don Juans. Sie sind trotz aller Opposition gegen Gesetz und Sitte Sklaven der Meinung, Sklaven der verkehrten Convenienz ihres Kreises, dessen Gelächter sie mehr fürchten, als die Sünde. Die reiche Belesenheit der Zeit, die auch dem Liederlichen nicht mehr verstattet, die geistigen Motive zu ignoriren, läßt es als den glänzendsten Erfolg erscheinen, wenn man ein reines Gemüth oder eine stolze Tugend für daS Laster gewinnt. Es ist, wie gesagt, nicht Lust, sondern Eitelkeit, und nebenbei das Streben nach dem Reiz deS Contrastes, nach dem Wechsel zwischen den raffinirtesten geistigen und sinn¬ lichen Genüssen. Die Figur der -Lelia ist nicht ganz Phantasie, eben weil in diesem Zeitalter die Phantasie eine Macht ist. Indem man von frühster Jugend auf in dem Dunstkreis jener Liederlichkeit aufwächst und von ihren Traditionen sich nährt, anticipirt man die Empfindungen, die man »och nicht haben kann, und stellt sie sodann der spätern Erfahrung als das reine Ideal gegenüber, man belügt nicht blos die Welt, sondern sich selber. Ihr Gehirn wird müde, noch ehe es gedacht hat; ihr Gefühl ist ausgegeben, noch ehe es einen Gegenstand gefunden; sobald das wirkliche Leben eintritt, entschwinde» ihre träumerischen Illusionen, sie stürzen sich mit Leidenschaft in das EhaoS der unsittlichen Welt, die sie hassen, weil sie noch immer im Geheimen ihr Ideal im Herzen tragen; an die sie aber doch allein glauben, da sie nicht die Kraft fühlen, ihr zu widerstehen; so ist ihr Haß gegen die Idealität zu¬ gleich Haß gegen die Wirklichkeit, und ihre geniale Kühnheit nur der Versuch, sich der Bekümmerniß über ihre verfehlte Existenz zu entziehen. Man möge sich durch den lustigen und frivolen äußern Anstrich dieser Poesie nicht täusche« lassen, der Grundzug derselben ist herbe und bittere Melancholie. Zwar darf man in den einzelnen Ausbrüchen nicht mehr suchen, His eine vorübergehende Stimmung, auch wol etwas Koketterie. So z. B. ein Sonett: „Ich habe meine Kraft und mein Leben verloren, meine Freude und meinen Frohsinn; ich habe sogar den Stolz verloren, der mich an meinen Genius glauben ließ- AIS ich die Wahrheit kennen lernte, glaubte ich, daß eS eine Freundin wäre; als ich sie begriff und empfand, war ich ihrer schon überdrüssig..... einzige Gute, daS mir in der Welt bleibt, ist, zuweilen geweint zu haben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/430>, abgerufen am 28.07.2024.