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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Here und läßt sich einen Liebestrank reichen, der seine sinnliche Fähigkeit bis
zum höchsten Grade steigert, aber zugleich den Körper ruinirt, so daß er in
der folgenden Nacht unter den schrecklichsten Qualen den Geist aufgeben muß.
-- In einem andern Gedicht: I^<?8 marrons an kön- (1830) wird der Held
zuerst aus dem Wasser gezogen, in dem er beinahe ertrunken wäre, läßt sich
dann von einer verlassenen Maitresse verführen, ihr noch einmal seine Liebe
zu widmen, schenkt sie dann einem galanten Abbe, der ihn grade heraus¬
gefordert hat, mit dem er sich aber vorher noch einmal betrinkt, und bei dieser
Gelegenheit den Gastwirth mit einer Flasche erschlägt, wird dann von dem
nämlichen Ubbo ermordet, dem als Preis dieser Unthat die Umarmung der
schönen Camargo zugesichert ist u. s. w. -- In Portia ist ein junger Edel¬
mann grade bei einer verheiratheten Dame in einem Schäferstündchen, daS
Licht geht aus, sie zünven es wieder an, da finden sie, daß ein dritter neben
ihnen steht, der Ehemann, dem in einer Nacht die Haare grau geworden sind.
Der letztere wird erstochen, und daS junge Weib, ohne die geringsten Ge¬
wissensbisse zu empfinden, entflieht mit ihrem Verführer, von dem sich ergibt,
daß er eigentlich ein armer Schiffer ist, der nur im Spiel so viel Geld ge¬
wonnen hat, um den angemessenen Lurus zu treiben. -- In Rolla hat der
Held, ein Mittelding zwischen Don Juan und Faust, all sein Geld durch¬
gebracht und will sich den folgenden Tag todten, vorher aber noch die Nacht
mit einem recht schönen Freudenmädchen zubringen. Diese, gutmüthig, wie
die meisten Geschöpfe der Art, erbietet sich, eine goldene Kette sür ihn zu ver¬
setzen; gerührt über so viel Liebe, schlägt er es aus und tödtet sich. -- Aehn-
lich ist der Berlauf aller seiner Geschichten, nur daß diese Scheußlichkeiten
keineswegs mit dem breiten Materialismus ausgeführt sind, wie bei Eugen
Sue, sonus u. f. w.; es kommt dem Dichter nicht auf die Masse des Fe¬
tischen an, sondern auf die Emotionen, die es in der Seele erregt.

Dies sind die Gegenstände seiner jugendlichen Dichtung, die Rohheit hat
sich in seinen spätern Schriften gemildert, aber da der wesentliche Inhalt der¬
selbe bleibt, so wird man um so weniger dadurch entschädigt, als seine Kraft
offenbar im Sinken ist. Aus den letzten Jahren ist fast nichts Bedeutendes
von ihm vorhanden. Eine solche Dichtung könnte nur in dem Fall nicht ge¬
rechtfertigt, sondern entschuldigt werden, wenn sie ein Ausdruck des wirklichen
Lebens wäre. Ist das 19. Jahrhundert, namentlich in Frankreich, >n der
That so, wie es Alfred de Musset schildert? Man sollte es glauben, wenn
man die Romanschreiber und Moralisten deS 18. und 19. Jahrhunderts liest,
die nicht müde werden, Paris als ein zweites Babylon zu beschreiben, welches
der göttlichen Zuchtruthe entgegeneile. Am Ende des vorigen Jahrhunderts
haben wir den Faublas, die Liaisons clam^reuses, die Justine, die Romane
Retifs, Cröbillons :c. An Nachahmern hat es seit den 30er Jahren "ich


Here und läßt sich einen Liebestrank reichen, der seine sinnliche Fähigkeit bis
zum höchsten Grade steigert, aber zugleich den Körper ruinirt, so daß er in
der folgenden Nacht unter den schrecklichsten Qualen den Geist aufgeben muß.
— In einem andern Gedicht: I^<?8 marrons an kön- (1830) wird der Held
zuerst aus dem Wasser gezogen, in dem er beinahe ertrunken wäre, läßt sich
dann von einer verlassenen Maitresse verführen, ihr noch einmal seine Liebe
zu widmen, schenkt sie dann einem galanten Abbe, der ihn grade heraus¬
gefordert hat, mit dem er sich aber vorher noch einmal betrinkt, und bei dieser
Gelegenheit den Gastwirth mit einer Flasche erschlägt, wird dann von dem
nämlichen Ubbo ermordet, dem als Preis dieser Unthat die Umarmung der
schönen Camargo zugesichert ist u. s. w. — In Portia ist ein junger Edel¬
mann grade bei einer verheiratheten Dame in einem Schäferstündchen, daS
Licht geht aus, sie zünven es wieder an, da finden sie, daß ein dritter neben
ihnen steht, der Ehemann, dem in einer Nacht die Haare grau geworden sind.
Der letztere wird erstochen, und daS junge Weib, ohne die geringsten Ge¬
wissensbisse zu empfinden, entflieht mit ihrem Verführer, von dem sich ergibt,
daß er eigentlich ein armer Schiffer ist, der nur im Spiel so viel Geld ge¬
wonnen hat, um den angemessenen Lurus zu treiben. — In Rolla hat der
Held, ein Mittelding zwischen Don Juan und Faust, all sein Geld durch¬
gebracht und will sich den folgenden Tag todten, vorher aber noch die Nacht
mit einem recht schönen Freudenmädchen zubringen. Diese, gutmüthig, wie
die meisten Geschöpfe der Art, erbietet sich, eine goldene Kette sür ihn zu ver¬
setzen; gerührt über so viel Liebe, schlägt er es aus und tödtet sich. — Aehn-
lich ist der Berlauf aller seiner Geschichten, nur daß diese Scheußlichkeiten
keineswegs mit dem breiten Materialismus ausgeführt sind, wie bei Eugen
Sue, sonus u. f. w.; es kommt dem Dichter nicht auf die Masse des Fe¬
tischen an, sondern auf die Emotionen, die es in der Seele erregt.

Dies sind die Gegenstände seiner jugendlichen Dichtung, die Rohheit hat
sich in seinen spätern Schriften gemildert, aber da der wesentliche Inhalt der¬
selbe bleibt, so wird man um so weniger dadurch entschädigt, als seine Kraft
offenbar im Sinken ist. Aus den letzten Jahren ist fast nichts Bedeutendes
von ihm vorhanden. Eine solche Dichtung könnte nur in dem Fall nicht ge¬
rechtfertigt, sondern entschuldigt werden, wenn sie ein Ausdruck des wirklichen
Lebens wäre. Ist das 19. Jahrhundert, namentlich in Frankreich, >n der
That so, wie es Alfred de Musset schildert? Man sollte es glauben, wenn
man die Romanschreiber und Moralisten deS 18. und 19. Jahrhunderts liest,
die nicht müde werden, Paris als ein zweites Babylon zu beschreiben, welches
der göttlichen Zuchtruthe entgegeneile. Am Ende des vorigen Jahrhunderts
haben wir den Faublas, die Liaisons clam^reuses, die Justine, die Romane
Retifs, Cröbillons :c. An Nachahmern hat es seit den 30er Jahren "ich


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[0422] Here und läßt sich einen Liebestrank reichen, der seine sinnliche Fähigkeit bis zum höchsten Grade steigert, aber zugleich den Körper ruinirt, so daß er in der folgenden Nacht unter den schrecklichsten Qualen den Geist aufgeben muß. — In einem andern Gedicht: I^<?8 marrons an kön- (1830) wird der Held zuerst aus dem Wasser gezogen, in dem er beinahe ertrunken wäre, läßt sich dann von einer verlassenen Maitresse verführen, ihr noch einmal seine Liebe zu widmen, schenkt sie dann einem galanten Abbe, der ihn grade heraus¬ gefordert hat, mit dem er sich aber vorher noch einmal betrinkt, und bei dieser Gelegenheit den Gastwirth mit einer Flasche erschlägt, wird dann von dem nämlichen Ubbo ermordet, dem als Preis dieser Unthat die Umarmung der schönen Camargo zugesichert ist u. s. w. — In Portia ist ein junger Edel¬ mann grade bei einer verheiratheten Dame in einem Schäferstündchen, daS Licht geht aus, sie zünven es wieder an, da finden sie, daß ein dritter neben ihnen steht, der Ehemann, dem in einer Nacht die Haare grau geworden sind. Der letztere wird erstochen, und daS junge Weib, ohne die geringsten Ge¬ wissensbisse zu empfinden, entflieht mit ihrem Verführer, von dem sich ergibt, daß er eigentlich ein armer Schiffer ist, der nur im Spiel so viel Geld ge¬ wonnen hat, um den angemessenen Lurus zu treiben. — In Rolla hat der Held, ein Mittelding zwischen Don Juan und Faust, all sein Geld durch¬ gebracht und will sich den folgenden Tag todten, vorher aber noch die Nacht mit einem recht schönen Freudenmädchen zubringen. Diese, gutmüthig, wie die meisten Geschöpfe der Art, erbietet sich, eine goldene Kette sür ihn zu ver¬ setzen; gerührt über so viel Liebe, schlägt er es aus und tödtet sich. — Aehn- lich ist der Berlauf aller seiner Geschichten, nur daß diese Scheußlichkeiten keineswegs mit dem breiten Materialismus ausgeführt sind, wie bei Eugen Sue, sonus u. f. w.; es kommt dem Dichter nicht auf die Masse des Fe¬ tischen an, sondern auf die Emotionen, die es in der Seele erregt. Dies sind die Gegenstände seiner jugendlichen Dichtung, die Rohheit hat sich in seinen spätern Schriften gemildert, aber da der wesentliche Inhalt der¬ selbe bleibt, so wird man um so weniger dadurch entschädigt, als seine Kraft offenbar im Sinken ist. Aus den letzten Jahren ist fast nichts Bedeutendes von ihm vorhanden. Eine solche Dichtung könnte nur in dem Fall nicht ge¬ rechtfertigt, sondern entschuldigt werden, wenn sie ein Ausdruck des wirklichen Lebens wäre. Ist das 19. Jahrhundert, namentlich in Frankreich, >n der That so, wie es Alfred de Musset schildert? Man sollte es glauben, wenn man die Romanschreiber und Moralisten deS 18. und 19. Jahrhunderts liest, die nicht müde werden, Paris als ein zweites Babylon zu beschreiben, welches der göttlichen Zuchtruthe entgegeneile. Am Ende des vorigen Jahrhunderts haben wir den Faublas, die Liaisons clam^reuses, die Justine, die Romane Retifs, Cröbillons :c. An Nachahmern hat es seit den 30er Jahren "ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/422>, abgerufen am 28.07.2024.