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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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zerschlugen sich bald. Nur der Graf Reventlow erklärte sich bereit, das holstein-
lauenburgische Portefeuille zu übernehmen, unter der Voraussetzung, daß ihm
ein zuverlässiger, geschäftskundiger Mann als Ministerialdirector zur Seite
gestellt werde. Das Programm indessen, welches er vorlegte: Neue Ver¬
fassung für Holstein, Vorlage an die Stände, um über die Gesammtverfassung
sich zu erklären und über die Wahlordnung vom A. Oct. 4 855 ihr Gutachten
abzugeben, ferner: Zusicherung an die deutschen Großmächte, dem ständischen
Gutachten die möglichste Berücksichtigung zu schenken, Verweisung der Do¬
mänen in die Kategorie der Separatangelegenheiten, Feststellung eines der
wirklichen Volkszahl entsprechenden Quotenverhältnisses -rücksichtlich der Zu¬
schüsse zu der Gesammtstaatskasse und einer aus die Selbstständigkeit und Gleich¬
berechtigung der einzelnen Theile der Monarchie basirten Repräsentation, Ver¬
wendung der Ersatzgelder für den Sundzoll zur Tilgung gemeinsamer Staats¬
schulden, Beschränkung der Annahme der Reichsmünze in den öffentlichen
Kassen, Vorlage der scheelschen Justizanordnungen an die Stände, Sistirung der
Amortisation der holsteinischen Kassenanweisungen, Absetzung von Scheel und
dem militärischen Universttätscurator Kauffmann, allgemeine Amnestie, ward
für nicht acceptabel erklärt, besonders die beiden Bedingungen wegen deS
Sundzolls und des Repräsentationsverhältnisses wurden aufs lebhafteste ver¬
worfen. -- Die dänische Presse nennt dies Programm: "höchst unverschämt;"
wir bedauern, daß kein Mitglied der Schleswig-holsteinischen Ritterschaft ein
Wort für Schleswig hatte!

In welchen Händen befindet sich nun die Regierung Dänemarks und
der drei Herzogthümer? Hall, der Conseilpräsident, war vor wenigen Jahren
Regimentsauditeur und entwickelte sich, seltsam genug, von diesem militärischen
Keim zum doktrinären Demokraten, der tapfersten Sorte dieser Race; seine
Reden sind feurig, sein Muth ungebrochen, sein Wissen ist gering, seine
staatsmännische Erfahrung in den Kinderschuhen, seine Devise: Gibt eS
nichts mehr abzuschaffen? Als Cultusminister hat er Taufzwang, Stiftungs-
privilegien, Staatskirche, Glaubensartikel schon den Weg alles Irdischen
wandern lassen. Sein Vorgänger, der Finanzminister Andrä begann als
tüchtiger Lehrer an der Landcadettenakademie in Kopenhagen, Mathematik ist
sein Fach und dem scharfen logischen Kops waren die scheelschen StaatSsprünge
außerhalb des Portefeuille ebenso widerwärtig, als dem Mathematiker das
Dreieck unerträglich, das aus den Beziehungen Scheels zu der Gräfin Dämmer
und einer hier nicht näher zu bezeichnenden Persönlichkeit bestand. Andrä besitzt
W reizbare Nerven, um ruhigen Blickes im Sturm die Klippen zu meiden;
er ist in Gemeinschaft mit Hall und Krieger geneigt, Holstein-Lauenburg aus
dem Gesammtstaate zu entlassen, um Schleswig für Skandinavien zu retten,
ohne zu bedenken, daß die Incorporation Schleswigs der Todesstoß für


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zerschlugen sich bald. Nur der Graf Reventlow erklärte sich bereit, das holstein-
lauenburgische Portefeuille zu übernehmen, unter der Voraussetzung, daß ihm
ein zuverlässiger, geschäftskundiger Mann als Ministerialdirector zur Seite
gestellt werde. Das Programm indessen, welches er vorlegte: Neue Ver¬
fassung für Holstein, Vorlage an die Stände, um über die Gesammtverfassung
sich zu erklären und über die Wahlordnung vom A. Oct. 4 855 ihr Gutachten
abzugeben, ferner: Zusicherung an die deutschen Großmächte, dem ständischen
Gutachten die möglichste Berücksichtigung zu schenken, Verweisung der Do¬
mänen in die Kategorie der Separatangelegenheiten, Feststellung eines der
wirklichen Volkszahl entsprechenden Quotenverhältnisses -rücksichtlich der Zu¬
schüsse zu der Gesammtstaatskasse und einer aus die Selbstständigkeit und Gleich¬
berechtigung der einzelnen Theile der Monarchie basirten Repräsentation, Ver¬
wendung der Ersatzgelder für den Sundzoll zur Tilgung gemeinsamer Staats¬
schulden, Beschränkung der Annahme der Reichsmünze in den öffentlichen
Kassen, Vorlage der scheelschen Justizanordnungen an die Stände, Sistirung der
Amortisation der holsteinischen Kassenanweisungen, Absetzung von Scheel und
dem militärischen Universttätscurator Kauffmann, allgemeine Amnestie, ward
für nicht acceptabel erklärt, besonders die beiden Bedingungen wegen deS
Sundzolls und des Repräsentationsverhältnisses wurden aufs lebhafteste ver¬
worfen. — Die dänische Presse nennt dies Programm: „höchst unverschämt;"
wir bedauern, daß kein Mitglied der Schleswig-holsteinischen Ritterschaft ein
Wort für Schleswig hatte!

In welchen Händen befindet sich nun die Regierung Dänemarks und
der drei Herzogthümer? Hall, der Conseilpräsident, war vor wenigen Jahren
Regimentsauditeur und entwickelte sich, seltsam genug, von diesem militärischen
Keim zum doktrinären Demokraten, der tapfersten Sorte dieser Race; seine
Reden sind feurig, sein Muth ungebrochen, sein Wissen ist gering, seine
staatsmännische Erfahrung in den Kinderschuhen, seine Devise: Gibt eS
nichts mehr abzuschaffen? Als Cultusminister hat er Taufzwang, Stiftungs-
privilegien, Staatskirche, Glaubensartikel schon den Weg alles Irdischen
wandern lassen. Sein Vorgänger, der Finanzminister Andrä begann als
tüchtiger Lehrer an der Landcadettenakademie in Kopenhagen, Mathematik ist
sein Fach und dem scharfen logischen Kops waren die scheelschen StaatSsprünge
außerhalb des Portefeuille ebenso widerwärtig, als dem Mathematiker das
Dreieck unerträglich, das aus den Beziehungen Scheels zu der Gräfin Dämmer
und einer hier nicht näher zu bezeichnenden Persönlichkeit bestand. Andrä besitzt
W reizbare Nerven, um ruhigen Blickes im Sturm die Klippen zu meiden;
er ist in Gemeinschaft mit Hall und Krieger geneigt, Holstein-Lauenburg aus
dem Gesammtstaate zu entlassen, um Schleswig für Skandinavien zu retten,
ohne zu bedenken, daß die Incorporation Schleswigs der Todesstoß für


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[0411] zerschlugen sich bald. Nur der Graf Reventlow erklärte sich bereit, das holstein- lauenburgische Portefeuille zu übernehmen, unter der Voraussetzung, daß ihm ein zuverlässiger, geschäftskundiger Mann als Ministerialdirector zur Seite gestellt werde. Das Programm indessen, welches er vorlegte: Neue Ver¬ fassung für Holstein, Vorlage an die Stände, um über die Gesammtverfassung sich zu erklären und über die Wahlordnung vom A. Oct. 4 855 ihr Gutachten abzugeben, ferner: Zusicherung an die deutschen Großmächte, dem ständischen Gutachten die möglichste Berücksichtigung zu schenken, Verweisung der Do¬ mänen in die Kategorie der Separatangelegenheiten, Feststellung eines der wirklichen Volkszahl entsprechenden Quotenverhältnisses -rücksichtlich der Zu¬ schüsse zu der Gesammtstaatskasse und einer aus die Selbstständigkeit und Gleich¬ berechtigung der einzelnen Theile der Monarchie basirten Repräsentation, Ver¬ wendung der Ersatzgelder für den Sundzoll zur Tilgung gemeinsamer Staats¬ schulden, Beschränkung der Annahme der Reichsmünze in den öffentlichen Kassen, Vorlage der scheelschen Justizanordnungen an die Stände, Sistirung der Amortisation der holsteinischen Kassenanweisungen, Absetzung von Scheel und dem militärischen Universttätscurator Kauffmann, allgemeine Amnestie, ward für nicht acceptabel erklärt, besonders die beiden Bedingungen wegen deS Sundzolls und des Repräsentationsverhältnisses wurden aufs lebhafteste ver¬ worfen. — Die dänische Presse nennt dies Programm: „höchst unverschämt;" wir bedauern, daß kein Mitglied der Schleswig-holsteinischen Ritterschaft ein Wort für Schleswig hatte! In welchen Händen befindet sich nun die Regierung Dänemarks und der drei Herzogthümer? Hall, der Conseilpräsident, war vor wenigen Jahren Regimentsauditeur und entwickelte sich, seltsam genug, von diesem militärischen Keim zum doktrinären Demokraten, der tapfersten Sorte dieser Race; seine Reden sind feurig, sein Muth ungebrochen, sein Wissen ist gering, seine staatsmännische Erfahrung in den Kinderschuhen, seine Devise: Gibt eS nichts mehr abzuschaffen? Als Cultusminister hat er Taufzwang, Stiftungs- privilegien, Staatskirche, Glaubensartikel schon den Weg alles Irdischen wandern lassen. Sein Vorgänger, der Finanzminister Andrä begann als tüchtiger Lehrer an der Landcadettenakademie in Kopenhagen, Mathematik ist sein Fach und dem scharfen logischen Kops waren die scheelschen StaatSsprünge außerhalb des Portefeuille ebenso widerwärtig, als dem Mathematiker das Dreieck unerträglich, das aus den Beziehungen Scheels zu der Gräfin Dämmer und einer hier nicht näher zu bezeichnenden Persönlichkeit bestand. Andrä besitzt W reizbare Nerven, um ruhigen Blickes im Sturm die Klippen zu meiden; er ist in Gemeinschaft mit Hall und Krieger geneigt, Holstein-Lauenburg aus dem Gesammtstaate zu entlassen, um Schleswig für Skandinavien zu retten, ohne zu bedenken, daß die Incorporation Schleswigs der Todesstoß für 51*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/411>, abgerufen am 28.07.2024.