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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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lich war er nicht, aber es ist uns noch nicht vergönnt, den Schleier zu lüften, der
dieses Seelenleben verhüllte. Es ist so leicht Lebende anzugreifen und wer mag
Richter sein, wo actherische Elemente vorwalten, die dem prüfenden Blicke unzu¬
gänglich bleiben. Alfred de Musset hätte selbst seine Bekenntnisse schreiben müssen
denn was in dem Oznl'essicms d'un eiilimi. <in "iöolc! an ihn erinnern soll, ist im Grunde
nur Dichtung, vielleicht sogar nur Andichtung. So viel ist gewiß, er hat die
schaffende Kraft in sich selbst absichtlich getödtet und der Dichter, den wir bewun¬
dern, den wir trotz seiner Schwächen lieben, ist schon längst gestorben. Nichts ver¬
mochte ihn mehr aufzurütteln, weder seine Erfolge als Poet, noch sein ungewöhn¬
liches Glück als Theaterdichter, noch anch die Auszeichnung, unter den Unsterb¬
lichen zu sitzen, von welchen ihn seine Lebensweise doch so fern zu halten drohte.

Die Akademie wird nun wieder einen Stuhl zu vergeben haben, wahrscheinlich
zwei, da auch Buffaut, der Verfasser von vergessenen Werken, am Tode liegt. Die
großen Herren, die reactionären Politiker, die Katholiken werden Victor Laprave,
einen Poeten von kaum mehr als mittelmäßiger Befähigung, in ihre Mitte zu
ziehen suchen. Die Männer, denen wirkliches Talent und bedeutendes Verdienst
vor Augen schweben, haben ihren Blick ans Henri Martin, den Verfasser der
verdienstlichen Geschichte von Frankreich oder auf Jules Sandeau, den feingebildeten,
geistvollen Romanschriststeller geworfen. Der Poet, welcher am meisten Anrecht
auf diese Auszeichnung hätte, Brigcur, der Versasser der reizenden Idylle Marie,
bleibt unbeachtet, weil er es nicht versteht oder weil er es verschmäht, jene Demü¬
thigungen zu ertragen, die dem Kandidaten für die offizielle Unsterblichkeit ebenso¬
wenig geschenkt werden, als dem Fuchse die Prüfungen in der Universitätengilde.

Diese Zeichen selbstständiger Thätigkeit, wie sie zeitweilig bei den Wahlen der
gelehrten Bürgerschaft sich kund geben, sind leider die einzigen, die unter dem gegen¬
wärtigen Regime sich äußern dürfen.




Literatur.
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,.
Volksgeschichten aus der Schweiz. Von Adolf Weisser. lit. Bändchen.
Bruder Klaus von Unterwalden. Lebensbild eines patriotischen Einsiedlers. Zürich,
Meyer und Zeller. 18S6, -- Wir haben die früheren Hefte bereits besprochen; die
gegenwärtige Lieferung schließt sich an Tendenz und Ausführung den früheren an.

Genealogische Tafeln zur Staatengeschichte des neunzehnte"
Jahrhunderts nebst einer genealogisch-statistischen Einleitung von l)r. Friedrich
Maximilian Oertel, zweitem Professor und Lehrer der Geschichte und Geographie
an der königlichen Landschule Se. Afra zu Meißen. Zweite, berichtigte und ver¬
mehrte Auflage. Leipzig. Brockhaus. 1857. -- Das kleine Handbuch empfiehlt M
durch Vollständigkeit und übersichtliche Anordnung.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Verantwortlicher Redacteur: v. Moritz Busch -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

lich war er nicht, aber es ist uns noch nicht vergönnt, den Schleier zu lüften, der
dieses Seelenleben verhüllte. Es ist so leicht Lebende anzugreifen und wer mag
Richter sein, wo actherische Elemente vorwalten, die dem prüfenden Blicke unzu¬
gänglich bleiben. Alfred de Musset hätte selbst seine Bekenntnisse schreiben müssen
denn was in dem Oznl'essicms d'un eiilimi. <in «iöolc! an ihn erinnern soll, ist im Grunde
nur Dichtung, vielleicht sogar nur Andichtung. So viel ist gewiß, er hat die
schaffende Kraft in sich selbst absichtlich getödtet und der Dichter, den wir bewun¬
dern, den wir trotz seiner Schwächen lieben, ist schon längst gestorben. Nichts ver¬
mochte ihn mehr aufzurütteln, weder seine Erfolge als Poet, noch sein ungewöhn¬
liches Glück als Theaterdichter, noch anch die Auszeichnung, unter den Unsterb¬
lichen zu sitzen, von welchen ihn seine Lebensweise doch so fern zu halten drohte.

Die Akademie wird nun wieder einen Stuhl zu vergeben haben, wahrscheinlich
zwei, da auch Buffaut, der Verfasser von vergessenen Werken, am Tode liegt. Die
großen Herren, die reactionären Politiker, die Katholiken werden Victor Laprave,
einen Poeten von kaum mehr als mittelmäßiger Befähigung, in ihre Mitte zu
ziehen suchen. Die Männer, denen wirkliches Talent und bedeutendes Verdienst
vor Augen schweben, haben ihren Blick ans Henri Martin, den Verfasser der
verdienstlichen Geschichte von Frankreich oder auf Jules Sandeau, den feingebildeten,
geistvollen Romanschriststeller geworfen. Der Poet, welcher am meisten Anrecht
auf diese Auszeichnung hätte, Brigcur, der Versasser der reizenden Idylle Marie,
bleibt unbeachtet, weil er es nicht versteht oder weil er es verschmäht, jene Demü¬
thigungen zu ertragen, die dem Kandidaten für die offizielle Unsterblichkeit ebenso¬
wenig geschenkt werden, als dem Fuchse die Prüfungen in der Universitätengilde.

Diese Zeichen selbstständiger Thätigkeit, wie sie zeitweilig bei den Wahlen der
gelehrten Bürgerschaft sich kund geben, sind leider die einzigen, die unter dem gegen¬
wärtigen Regime sich äußern dürfen.




Literatur.
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Volksgeschichten aus der Schweiz. Von Adolf Weisser. lit. Bändchen.
Bruder Klaus von Unterwalden. Lebensbild eines patriotischen Einsiedlers. Zürich,
Meyer und Zeller. 18S6, — Wir haben die früheren Hefte bereits besprochen; die
gegenwärtige Lieferung schließt sich an Tendenz und Ausführung den früheren an.

Genealogische Tafeln zur Staatengeschichte des neunzehnte»
Jahrhunderts nebst einer genealogisch-statistischen Einleitung von l)r. Friedrich
Maximilian Oertel, zweitem Professor und Lehrer der Geschichte und Geographie
an der königlichen Landschule Se. Afra zu Meißen. Zweite, berichtigte und ver¬
mehrte Auflage. Leipzig. Brockhaus. 1857. -- Das kleine Handbuch empfiehlt M
durch Vollständigkeit und übersichtliche Anordnung.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Verantwortlicher Redacteur: v. Moritz Busch — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/408>, abgerufen am 27.07.2024.