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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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beinahe übel geworden ist. Die pietistischen Clubs machen in weiten Kreisen
Propaganda und mögen in ihrem Schooße viel Scheinheiligkeit und After¬
frömmigkeit nähren, wie ich mich denn auch an jene reiche Dame erinnere,
die befahl, daß bei dieser bösen Zeit ihre Dienstboten fleißig fasten sollten.
In früheren Zeiten' war auch das städtische Regiment ein förmlich pietistisches
und gefiel sich in berüchtigten Sittenmandaten, neben denen die größten Aus¬
schweifungen im Schwange gingen; heutzutage ist es etwas anders geworden,
und wenn auch die ehrsamen Räthe noch etwas von ihren alten Traditionen
wieder aufstellen wollen, so läßt sich doch die Bürgerschaft ihren Fasching,
ihr Theater nicht verkümmern. Dagegen ist auch Thatsache, daß das hiesige
Christenthum nicht nur in Worten, sondern auch in frommen Werken besteht
und Basel an wohlthätigen Anstalten, milden Stiftungen, an bereitwilligem
Helfen und Geben wahrhaftig großartig dasteht. Da gibt es Unterstützungs-
vereine in jeder Form, Schul- und Hilfsanstalten für alle Alterund Stände,
Sparkassen, Bereine, Nachhilfe für jedes Bedürfniß. Man schrieb Basel
sonst nicht mit Unrecht eine gewisse zähe und steife Hartnäckigkeit in Festhaltung
alter Sitten und Zustände zu. Du kennst ja jenes Lied von der baseler Uhr:


Wenn wir die Basler necken,
So ist's um ihre Uhr:
Sie sei'" in jedem Stücke
Wol hundert Jahr zurücke
Und vor ein Stündchen nur.

Und Du hast auch von dem berühmten "Lalenkönig" gehört, der jede Minute
von dem Rheinbrückenthurm seine Zunge gegen die "mindere Stadt" ausreckte.
Jahrhunderte lang wurden diese wunderlichen Geschichten festgehalten, ob auch
die ganze Welt darüber spottete. Der Baseler wußte "was er werth sei" und
kümmerte sich nicht darum. Endlich brach aber doch die neue Zeit mit Macht
in die alte Rumpelkammer. Im bürgerlichen Leben freilich mag die Veränderung
noch wenig bemerkbar sein und es ist nicht ohne Grund, wenn der Fremde
sich davon nicht besonders angesprochen fühlt. Obgleich Basel eine rechte
Handelsstadt ist und Verbindungen über die halbe Erde besitzt, findet man
doch hier weder Gastfreiheit noch Umgänglichkeit in zu erwartenden Maße-
Der Baseler lebt alter guter Sitte getreu hauptsächlich in seinem Hause, in
und mit seiner Familie und seiner Verwandtschaft, wobei es denn auch gar
munter hergeht. Zu dieser Geselligkeit aber Zutritt zu erlangen, ist äußerst
schwer. Die Schweizer führen überhaupt den Fremden nicht leicht in den
Zirkel ihrer Familie ein und sind hierin das strenge Gegentheil der Süd- und
Mitteldeutschen. Die Familien selbst stehen wieder in einer gewissen Ab¬
geschlossenheit sich gegenüber und bilden aristokratische Clubs mit bestimmter
Abgrenzung. In Zürich mögen ungefähr die^ gleichen Verhältnisse obwalten-


beinahe übel geworden ist. Die pietistischen Clubs machen in weiten Kreisen
Propaganda und mögen in ihrem Schooße viel Scheinheiligkeit und After¬
frömmigkeit nähren, wie ich mich denn auch an jene reiche Dame erinnere,
die befahl, daß bei dieser bösen Zeit ihre Dienstboten fleißig fasten sollten.
In früheren Zeiten' war auch das städtische Regiment ein förmlich pietistisches
und gefiel sich in berüchtigten Sittenmandaten, neben denen die größten Aus¬
schweifungen im Schwange gingen; heutzutage ist es etwas anders geworden,
und wenn auch die ehrsamen Räthe noch etwas von ihren alten Traditionen
wieder aufstellen wollen, so läßt sich doch die Bürgerschaft ihren Fasching,
ihr Theater nicht verkümmern. Dagegen ist auch Thatsache, daß das hiesige
Christenthum nicht nur in Worten, sondern auch in frommen Werken besteht
und Basel an wohlthätigen Anstalten, milden Stiftungen, an bereitwilligem
Helfen und Geben wahrhaftig großartig dasteht. Da gibt es Unterstützungs-
vereine in jeder Form, Schul- und Hilfsanstalten für alle Alterund Stände,
Sparkassen, Bereine, Nachhilfe für jedes Bedürfniß. Man schrieb Basel
sonst nicht mit Unrecht eine gewisse zähe und steife Hartnäckigkeit in Festhaltung
alter Sitten und Zustände zu. Du kennst ja jenes Lied von der baseler Uhr:


Wenn wir die Basler necken,
So ist's um ihre Uhr:
Sie sei'» in jedem Stücke
Wol hundert Jahr zurücke
Und vor ein Stündchen nur.

Und Du hast auch von dem berühmten „Lalenkönig" gehört, der jede Minute
von dem Rheinbrückenthurm seine Zunge gegen die „mindere Stadt" ausreckte.
Jahrhunderte lang wurden diese wunderlichen Geschichten festgehalten, ob auch
die ganze Welt darüber spottete. Der Baseler wußte „was er werth sei" und
kümmerte sich nicht darum. Endlich brach aber doch die neue Zeit mit Macht
in die alte Rumpelkammer. Im bürgerlichen Leben freilich mag die Veränderung
noch wenig bemerkbar sein und es ist nicht ohne Grund, wenn der Fremde
sich davon nicht besonders angesprochen fühlt. Obgleich Basel eine rechte
Handelsstadt ist und Verbindungen über die halbe Erde besitzt, findet man
doch hier weder Gastfreiheit noch Umgänglichkeit in zu erwartenden Maße-
Der Baseler lebt alter guter Sitte getreu hauptsächlich in seinem Hause, in
und mit seiner Familie und seiner Verwandtschaft, wobei es denn auch gar
munter hergeht. Zu dieser Geselligkeit aber Zutritt zu erlangen, ist äußerst
schwer. Die Schweizer führen überhaupt den Fremden nicht leicht in den
Zirkel ihrer Familie ein und sind hierin das strenge Gegentheil der Süd- und
Mitteldeutschen. Die Familien selbst stehen wieder in einer gewissen Ab¬
geschlossenheit sich gegenüber und bilden aristokratische Clubs mit bestimmter
Abgrenzung. In Zürich mögen ungefähr die^ gleichen Verhältnisse obwalten-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/404>, abgerufen am 01.09.2024.