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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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zösisch gesprochen und wie mich dünkte, von fast allen auch verstanden wird.
Vortreffliche Redner, wie sie selbst einem englischen Unterhause gut ließen,
sandten die Cantone Zürich, Thurgau und Se. Gallen. Die Vertreter der
französischen Schweiz lassen sich sehr oft und zwar mit ol^'l Geist undß.Feuer
hören; doch dünkte mich, daß die der deutschen ihnen an Einsicht in die all¬
gemeinen Zustände und klarer Besonnenheit weit voranstehen. Der CantonaliS-
mus und die decentralisirenden Tendenzen der Genfer und Waadtländer machten
im Allgemeinen einen um so peinlichern Eindruck, als gerade von der fran¬
zösischen Schweiz aus früher stets die hochpatrivtischen Ideen so sehr portirt
worden waren."

Basel charakterisirt der Verfasser folgendermaßen:

"Basel ist nicht eine Stadt mit einzelnen Millionären und daneben einem
bedeutenden Proletariat; die Reichen (und es gibt Firmen, die mehre Dutzende
von Millionen zählen) sind hier zahlreich und -- was mehr zu bedeuten hat,
der Mittelstand, der Kern der Bevölkerung, ist sehr wohlhabend, der Pau¬
perismus äußerst gering. Freilich würde man beim bloßen Anblick der Stadt
die großen Schätze, die sie birgt, kaum vermuthen. Paläste gibt es kaum
und die großen Häuser der Privatleute in der Stadt und die Villen rings¬
umher sind weder luxuriös, noch besonders geschmackvoll. Sie tragen eine
ziemlich ernsthafte, ökonomische Physiognomie und bekunden die strenge Spar¬
samkeit ihrer Besitzer. Der Baseler ist alles eher als ein Verschwender und
besondere Vorliebe für Prunk oder auch für Kunst, für den schönen Lebens¬
genuß, wird man ihm nicht beilegen dürfen. Auch der reiche Nichtkaufmann
ist doch insofern ein Rechner, als er den Zinsenübe^chuß seines Vermögens
lieber zurücklegt und capitalistrt, als daß er ihn für bessere Ausstattung seines
täglichen Lebens verwenden würde. Dagegen läßt der Baseler in Küche und
Keller viel aufgehen. Er ist Feinschmecker und Kenner, und ich wüßte in
der Schweiz kaum gewähltere und reicher besetzte Tafeln zu finden, als hier
bei festlichen Anlässen. Die Universität hat sich bis heute erhalten, nachdem
sie mehrmals wieder restaurirt und erst neuerlich, von einer schweizerischen
Eentralhochschule bedroht, mit großen patriotischen Opfern in die Höhe ge¬
hoben wurde. Wirklich lehren auch manche gelehrte Notabilitäten, wie der
Germanist Wackernagel, der Kirchenhistoriker Hagenbach, der Geognost Merian,
der Chemiker Schönbein u. a. an ihr; aber die Studentenzahl ist immer nur
gering und man klagt, es sei im Ganzen keine wissenschaftliche Luft hier. Die
Theologen bilden die Hauptzahl und die Anstalt habe mehr daS Gepräge
^nes theologischen Seminars. Ueber die Frömmigkeit meiner guten Baseler
getraue ich mir auch nicht viel zu sagen. Neben vielem wahrhaft kirchlichen
Sinn läuft auch sehr viel methodistischer Pietismus her, und ich habe ein
^ar Mal so widerlich süßlich-weinerliche Predigten hier angehört, daß mir


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zösisch gesprochen und wie mich dünkte, von fast allen auch verstanden wird.
Vortreffliche Redner, wie sie selbst einem englischen Unterhause gut ließen,
sandten die Cantone Zürich, Thurgau und Se. Gallen. Die Vertreter der
französischen Schweiz lassen sich sehr oft und zwar mit ol^'l Geist undß.Feuer
hören; doch dünkte mich, daß die der deutschen ihnen an Einsicht in die all¬
gemeinen Zustände und klarer Besonnenheit weit voranstehen. Der CantonaliS-
mus und die decentralisirenden Tendenzen der Genfer und Waadtländer machten
im Allgemeinen einen um so peinlichern Eindruck, als gerade von der fran¬
zösischen Schweiz aus früher stets die hochpatrivtischen Ideen so sehr portirt
worden waren."

Basel charakterisirt der Verfasser folgendermaßen:

„Basel ist nicht eine Stadt mit einzelnen Millionären und daneben einem
bedeutenden Proletariat; die Reichen (und es gibt Firmen, die mehre Dutzende
von Millionen zählen) sind hier zahlreich und — was mehr zu bedeuten hat,
der Mittelstand, der Kern der Bevölkerung, ist sehr wohlhabend, der Pau¬
perismus äußerst gering. Freilich würde man beim bloßen Anblick der Stadt
die großen Schätze, die sie birgt, kaum vermuthen. Paläste gibt es kaum
und die großen Häuser der Privatleute in der Stadt und die Villen rings¬
umher sind weder luxuriös, noch besonders geschmackvoll. Sie tragen eine
ziemlich ernsthafte, ökonomische Physiognomie und bekunden die strenge Spar¬
samkeit ihrer Besitzer. Der Baseler ist alles eher als ein Verschwender und
besondere Vorliebe für Prunk oder auch für Kunst, für den schönen Lebens¬
genuß, wird man ihm nicht beilegen dürfen. Auch der reiche Nichtkaufmann
ist doch insofern ein Rechner, als er den Zinsenübe^chuß seines Vermögens
lieber zurücklegt und capitalistrt, als daß er ihn für bessere Ausstattung seines
täglichen Lebens verwenden würde. Dagegen läßt der Baseler in Küche und
Keller viel aufgehen. Er ist Feinschmecker und Kenner, und ich wüßte in
der Schweiz kaum gewähltere und reicher besetzte Tafeln zu finden, als hier
bei festlichen Anlässen. Die Universität hat sich bis heute erhalten, nachdem
sie mehrmals wieder restaurirt und erst neuerlich, von einer schweizerischen
Eentralhochschule bedroht, mit großen patriotischen Opfern in die Höhe ge¬
hoben wurde. Wirklich lehren auch manche gelehrte Notabilitäten, wie der
Germanist Wackernagel, der Kirchenhistoriker Hagenbach, der Geognost Merian,
der Chemiker Schönbein u. a. an ihr; aber die Studentenzahl ist immer nur
gering und man klagt, es sei im Ganzen keine wissenschaftliche Luft hier. Die
Theologen bilden die Hauptzahl und die Anstalt habe mehr daS Gepräge
^nes theologischen Seminars. Ueber die Frömmigkeit meiner guten Baseler
getraue ich mir auch nicht viel zu sagen. Neben vielem wahrhaft kirchlichen
Sinn läuft auch sehr viel methodistischer Pietismus her, und ich habe ein
^ar Mal so widerlich süßlich-weinerliche Predigten hier angehört, daß mir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/403>, abgerufen am 27.07.2024.