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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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kleinen Kreisen menschlicher Thätigkeit ist der Zusammenhang zwischen der an¬
tiken Welt und dem Mittelalter am sichtbarsten, und sehr oft werden solche
Untersuchungen als letztes Resultat ergeben, daß unter den gewaltsamsten
politischen Umwälzungen ein starker Strom des antiken Lebens sich von Ita¬
lien aus über das ganze christliche Europa ausgebreitet hat, ein Strom, dessen
Rauschen noch wir unter unseren Füßen vernehmen, und daß die Griechen
und Römer auch an unserer praktischen Thätigkeit auf dem Ackerfeld, im Hand¬
werk und der Fabrik einen sehr wesentlichen Antheil haben, wie umgekehrt
Germanen und andere Barbarenstämme seit dem zweiten Jahrhundert nach
Christus auf dieselben Kreise des römischen Lebens ebenfalls nicht unbedeutend
eingewirkt haben. Ein Beispiel statt vieler. Es ist bekannt, daß wir den
Weizen, die Gerste, und die meisten andern Ackerfrüchte durch die Römer
kennen gelernt haben; umgekehrt aber haben schon die Römer den Roggen von
den Deutschen erhalten. Ungefähr 80 Jahre nach Christus gilt er dem Pli-
nius noch für ein abscheuliches unholdes Ackcrgewächs der Barbaren im Alpen¬
lande, dessen Brot sauer schmecke und Bauchgrimmen verursache, und 300
Jahre n. Eh. steht er in einem kaiserlichen Tarif schon als die dritte Acker¬
frucht hinter Weizen und Gerste mit richtiger Schätzung seines NahrungS-
Werths, genau in demselben Preisverhältniß zu den übrigen Mehlfrüchtett,
welchen er noch jetzt auf unsern Getreidemärkten hat. Ganz ähnlich ging es
mit dem Hafer, an welchen die kleinen Pferde der germanischen Colonisten
gewöhnt waren, auch er wurde auf dem römischen Getreidemarkt heimisch,
seit Käufer und Verkäufer sogar in Griechenland und Kleinasien zum Theil
Deutsche waren.

Freilich gewinnen Detailforschungen über dergleichen Einzelheiten erst dann
Interesse, wenn dem Leser der Zusammenhang des Einzelnen mit Anderem,
was für ihn Wichtigkeit hat, verständlich wird. Daß solcher Zusammenhang
auch bei scheinbar sehr Unbedeutenden interessante Resultate geben könne, so^
hier noch an einem kleinen Beispiele gezeigt werden.

Zu Sitten im Rhonethal liegt in einer Sammlung von Antiquitäten ein
alter Lappen.. Der Stoff ist ungebleichte Hausleinwand, auf diese sind ""t
schwarzer und rother Farbe, die aus Kienruß oder Röthel mit Oel bereitet ist,
guren und Ornamente aufgetragen. Dieser Austrag ist durch hölzerne Druck¬
formen bewirkt, grade wie bei der Kattundruckerei noch geschieht. Zum Druck
sind verschiedene Holzstempel benutzt, das erkennt man aus den Zwischenräu¬
men und Verschiebungen an den Ansatzstellen,' einmal hat der nachlässig
Drucker eine Druckform verkehrt auf die Leinwand gesetzt. Die Bilder der
einzelnen Druckformen wiederholen sich in bestimmter Reihenfolge, die Figure"
derselben und die Arbeit der Holzformen ist nicht fein, zeigt aber eine ausgebil¬
dete Technik, eine Reihe von Formen enthält eine Gruppe Tanzender, ewe


kleinen Kreisen menschlicher Thätigkeit ist der Zusammenhang zwischen der an¬
tiken Welt und dem Mittelalter am sichtbarsten, und sehr oft werden solche
Untersuchungen als letztes Resultat ergeben, daß unter den gewaltsamsten
politischen Umwälzungen ein starker Strom des antiken Lebens sich von Ita¬
lien aus über das ganze christliche Europa ausgebreitet hat, ein Strom, dessen
Rauschen noch wir unter unseren Füßen vernehmen, und daß die Griechen
und Römer auch an unserer praktischen Thätigkeit auf dem Ackerfeld, im Hand¬
werk und der Fabrik einen sehr wesentlichen Antheil haben, wie umgekehrt
Germanen und andere Barbarenstämme seit dem zweiten Jahrhundert nach
Christus auf dieselben Kreise des römischen Lebens ebenfalls nicht unbedeutend
eingewirkt haben. Ein Beispiel statt vieler. Es ist bekannt, daß wir den
Weizen, die Gerste, und die meisten andern Ackerfrüchte durch die Römer
kennen gelernt haben; umgekehrt aber haben schon die Römer den Roggen von
den Deutschen erhalten. Ungefähr 80 Jahre nach Christus gilt er dem Pli-
nius noch für ein abscheuliches unholdes Ackcrgewächs der Barbaren im Alpen¬
lande, dessen Brot sauer schmecke und Bauchgrimmen verursache, und 300
Jahre n. Eh. steht er in einem kaiserlichen Tarif schon als die dritte Acker¬
frucht hinter Weizen und Gerste mit richtiger Schätzung seines NahrungS-
Werths, genau in demselben Preisverhältniß zu den übrigen Mehlfrüchtett,
welchen er noch jetzt auf unsern Getreidemärkten hat. Ganz ähnlich ging es
mit dem Hafer, an welchen die kleinen Pferde der germanischen Colonisten
gewöhnt waren, auch er wurde auf dem römischen Getreidemarkt heimisch,
seit Käufer und Verkäufer sogar in Griechenland und Kleinasien zum Theil
Deutsche waren.

Freilich gewinnen Detailforschungen über dergleichen Einzelheiten erst dann
Interesse, wenn dem Leser der Zusammenhang des Einzelnen mit Anderem,
was für ihn Wichtigkeit hat, verständlich wird. Daß solcher Zusammenhang
auch bei scheinbar sehr Unbedeutenden interessante Resultate geben könne, so^
hier noch an einem kleinen Beispiele gezeigt werden.

Zu Sitten im Rhonethal liegt in einer Sammlung von Antiquitäten ein
alter Lappen.. Der Stoff ist ungebleichte Hausleinwand, auf diese sind »»t
schwarzer und rother Farbe, die aus Kienruß oder Röthel mit Oel bereitet ist,
guren und Ornamente aufgetragen. Dieser Austrag ist durch hölzerne Druck¬
formen bewirkt, grade wie bei der Kattundruckerei noch geschieht. Zum Druck
sind verschiedene Holzstempel benutzt, das erkennt man aus den Zwischenräu¬
men und Verschiebungen an den Ansatzstellen,' einmal hat der nachlässig
Drucker eine Druckform verkehrt auf die Leinwand gesetzt. Die Bilder der
einzelnen Druckformen wiederholen sich in bestimmter Reihenfolge, die Figure"
derselben und die Arbeit der Holzformen ist nicht fein, zeigt aber eine ausgebil¬
dete Technik, eine Reihe von Formen enthält eine Gruppe Tanzender, ewe


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[0396] kleinen Kreisen menschlicher Thätigkeit ist der Zusammenhang zwischen der an¬ tiken Welt und dem Mittelalter am sichtbarsten, und sehr oft werden solche Untersuchungen als letztes Resultat ergeben, daß unter den gewaltsamsten politischen Umwälzungen ein starker Strom des antiken Lebens sich von Ita¬ lien aus über das ganze christliche Europa ausgebreitet hat, ein Strom, dessen Rauschen noch wir unter unseren Füßen vernehmen, und daß die Griechen und Römer auch an unserer praktischen Thätigkeit auf dem Ackerfeld, im Hand¬ werk und der Fabrik einen sehr wesentlichen Antheil haben, wie umgekehrt Germanen und andere Barbarenstämme seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus auf dieselben Kreise des römischen Lebens ebenfalls nicht unbedeutend eingewirkt haben. Ein Beispiel statt vieler. Es ist bekannt, daß wir den Weizen, die Gerste, und die meisten andern Ackerfrüchte durch die Römer kennen gelernt haben; umgekehrt aber haben schon die Römer den Roggen von den Deutschen erhalten. Ungefähr 80 Jahre nach Christus gilt er dem Pli- nius noch für ein abscheuliches unholdes Ackcrgewächs der Barbaren im Alpen¬ lande, dessen Brot sauer schmecke und Bauchgrimmen verursache, und 300 Jahre n. Eh. steht er in einem kaiserlichen Tarif schon als die dritte Acker¬ frucht hinter Weizen und Gerste mit richtiger Schätzung seines NahrungS- Werths, genau in demselben Preisverhältniß zu den übrigen Mehlfrüchtett, welchen er noch jetzt auf unsern Getreidemärkten hat. Ganz ähnlich ging es mit dem Hafer, an welchen die kleinen Pferde der germanischen Colonisten gewöhnt waren, auch er wurde auf dem römischen Getreidemarkt heimisch, seit Käufer und Verkäufer sogar in Griechenland und Kleinasien zum Theil Deutsche waren. Freilich gewinnen Detailforschungen über dergleichen Einzelheiten erst dann Interesse, wenn dem Leser der Zusammenhang des Einzelnen mit Anderem, was für ihn Wichtigkeit hat, verständlich wird. Daß solcher Zusammenhang auch bei scheinbar sehr Unbedeutenden interessante Resultate geben könne, so^ hier noch an einem kleinen Beispiele gezeigt werden. Zu Sitten im Rhonethal liegt in einer Sammlung von Antiquitäten ein alter Lappen.. Der Stoff ist ungebleichte Hausleinwand, auf diese sind »»t schwarzer und rother Farbe, die aus Kienruß oder Röthel mit Oel bereitet ist, guren und Ornamente aufgetragen. Dieser Austrag ist durch hölzerne Druck¬ formen bewirkt, grade wie bei der Kattundruckerei noch geschieht. Zum Druck sind verschiedene Holzstempel benutzt, das erkennt man aus den Zwischenräu¬ men und Verschiebungen an den Ansatzstellen,' einmal hat der nachlässig Drucker eine Druckform verkehrt auf die Leinwand gesetzt. Die Bilder der einzelnen Druckformen wiederholen sich in bestimmter Reihenfolge, die Figure" derselben und die Arbeit der Holzformen ist nicht fein, zeigt aber eine ausgebil¬ dete Technik, eine Reihe von Formen enthält eine Gruppe Tanzender, ewe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/396>, abgerufen am 01.09.2024.