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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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überzusiedlcn, seit uns endlich eine Reihe tüchtiger Arbeiten über daS Kriegs¬
wesen der Alten gebracht, denn der beklagenswerthe Umstand, daß Wilhelm
NüstowS Commandoruf nicht mehr in einer preußischen Batterie gehört wurde,
hat die gute Folge gehabt, daß er uns die räthselhaften Geschütze des grie¬
chischen Alterthums und die strategischen Operationen des Besiegers von Gal¬
lien verständlich gemacht hat. -- Das Interesse eines gebildeten Engländers
an der Schiffsbaukunst seines Volkes hat eine Abhandlung hervorgerufen,
welche auf wenig Seiten die verzweifelte Streitfrage über die Ruderschiffe der
Alten glänzend beantwortet. -- In ähnlicher Weise verspricht die gegenwärtige
Popularität der Naturwissenschaften auch unserer Philologie manche wünschens-
werthe Forschung, nach E. Meyers Geschichte der Botanik z. B. eine neue
Untersuchung über die Thier-, Pflanzen- und Steinmauer des Alterthums.

Wie sehr sich aber unsere Kenntniß alter Zeit erweitert hat, ein großes
Gebiet ist noch sehr wenig cultivirt, die Geschichte der technischen Gewerbe und
des industriellen Verkehrs der antiken Welt und des Mittelalters. Allerdings
war es lange Zeit nicht von besonderem Interesse zu wissen, wie viel die
Römerin zrn Zeit des Titus für eine Elle seiner Leinwand bezahlt hat, wie
man damals den Goldbrokat webte, und ob die Wassermühlen ober'schlächtig
oder unterschlächtig waren. Jetzt indeß, wo ein großartiger Aufschwung
unseres industriellen Lebens uns belehrt hat, welch starken Einfluß die Be¬
schaffenheit der Gewerbe, der Production und Consumtion aus das Wohlbe¬
finden aller Menschen und das Leben der Staaten ausübt, jetzt liegt uns bei
jedem Stuhl, den wir etwa im Möbelmagazin kaufen, der Gedanke nahe an
die bürgerliche Stellung des Meisters und seines Gesellen, an die Fournier-
mühle, von welcher wir vielleicht eine Actie in der Tasche tragen, an die neue
Eisenbahn, welche das Rohr und das fremde Holz in unsere Nähe geschafft
hat, und an die neuen Packetschiffe der Hamburger Gesellschaft, aus denen
dasselbe Material auf unsere Eisenbahn geladen wurde. Jetzt sind auch der¬
gleichen Notizen aus alter Zeit nicht mehr bedeutungslose Einzelheiten, sondern
wir gewinnen durch sie vielleicht ein Verständniß des alten Lebens, welches
dem Menschengeschlecht länger als ein Jahrtausend versagt war. Daß aber
noch verhältnißmäßig wenig für die Privatalterthümer der Griechen, Römer
und unserer deutschen Vorfahren geschehen ist, liegt in mehren Uebelständen.
Die Arbeit ist hierbei fast unendlich, die Gruppirung deS Stoffes sehr schwer,
die uns fast nur durch Zufall erhaltenen Notizen durchaus fragmentarisch. Und
doch sind, so scheint uns, grade auf dieser lange vernachlässigten Seite deS
Alterthums, dem deutschen Fleiß in der nächsten Zukunft noch große Triumphe
vorbehalten.

Zunächst durch Detailuntersuchungcn. Solche sind den Hausalterthümern
Mittelalters ebenso nothwendig, als der antiken Welt. Grade in den


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überzusiedlcn, seit uns endlich eine Reihe tüchtiger Arbeiten über daS Kriegs¬
wesen der Alten gebracht, denn der beklagenswerthe Umstand, daß Wilhelm
NüstowS Commandoruf nicht mehr in einer preußischen Batterie gehört wurde,
hat die gute Folge gehabt, daß er uns die räthselhaften Geschütze des grie¬
chischen Alterthums und die strategischen Operationen des Besiegers von Gal¬
lien verständlich gemacht hat. — Das Interesse eines gebildeten Engländers
an der Schiffsbaukunst seines Volkes hat eine Abhandlung hervorgerufen,
welche auf wenig Seiten die verzweifelte Streitfrage über die Ruderschiffe der
Alten glänzend beantwortet. — In ähnlicher Weise verspricht die gegenwärtige
Popularität der Naturwissenschaften auch unserer Philologie manche wünschens-
werthe Forschung, nach E. Meyers Geschichte der Botanik z. B. eine neue
Untersuchung über die Thier-, Pflanzen- und Steinmauer des Alterthums.

Wie sehr sich aber unsere Kenntniß alter Zeit erweitert hat, ein großes
Gebiet ist noch sehr wenig cultivirt, die Geschichte der technischen Gewerbe und
des industriellen Verkehrs der antiken Welt und des Mittelalters. Allerdings
war es lange Zeit nicht von besonderem Interesse zu wissen, wie viel die
Römerin zrn Zeit des Titus für eine Elle seiner Leinwand bezahlt hat, wie
man damals den Goldbrokat webte, und ob die Wassermühlen ober'schlächtig
oder unterschlächtig waren. Jetzt indeß, wo ein großartiger Aufschwung
unseres industriellen Lebens uns belehrt hat, welch starken Einfluß die Be¬
schaffenheit der Gewerbe, der Production und Consumtion aus das Wohlbe¬
finden aller Menschen und das Leben der Staaten ausübt, jetzt liegt uns bei
jedem Stuhl, den wir etwa im Möbelmagazin kaufen, der Gedanke nahe an
die bürgerliche Stellung des Meisters und seines Gesellen, an die Fournier-
mühle, von welcher wir vielleicht eine Actie in der Tasche tragen, an die neue
Eisenbahn, welche das Rohr und das fremde Holz in unsere Nähe geschafft
hat, und an die neuen Packetschiffe der Hamburger Gesellschaft, aus denen
dasselbe Material auf unsere Eisenbahn geladen wurde. Jetzt sind auch der¬
gleichen Notizen aus alter Zeit nicht mehr bedeutungslose Einzelheiten, sondern
wir gewinnen durch sie vielleicht ein Verständniß des alten Lebens, welches
dem Menschengeschlecht länger als ein Jahrtausend versagt war. Daß aber
noch verhältnißmäßig wenig für die Privatalterthümer der Griechen, Römer
und unserer deutschen Vorfahren geschehen ist, liegt in mehren Uebelständen.
Die Arbeit ist hierbei fast unendlich, die Gruppirung deS Stoffes sehr schwer,
die uns fast nur durch Zufall erhaltenen Notizen durchaus fragmentarisch. Und
doch sind, so scheint uns, grade auf dieser lange vernachlässigten Seite deS
Alterthums, dem deutschen Fleiß in der nächsten Zukunft noch große Triumphe
vorbehalten.

Zunächst durch Detailuntersuchungcn. Solche sind den Hausalterthümern
Mittelalters ebenso nothwendig, als der antiken Welt. Grade in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/395>, abgerufen am 01.09.2024.