Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.Diese moralische Folge wird ergänzt durch die Einwirkung der Gesellschaft, die Dagegen hat der Pantheismus einen sehr nachtheiligen Einfluß auf die Allein diese Studien können nur die Farbe und die Stimmung geben, sie Wenn ich den Menschen lediglich in dem Naturproceß seiner Leidenschaf' Diese moralische Folge wird ergänzt durch die Einwirkung der Gesellschaft, die Dagegen hat der Pantheismus einen sehr nachtheiligen Einfluß auf die Allein diese Studien können nur die Farbe und die Stimmung geben, sie Wenn ich den Menschen lediglich in dem Naturproceß seiner Leidenschaf' <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104059"/> <p xml:id="ID_1118" prev="#ID_1117"> Diese moralische Folge wird ergänzt durch die Einwirkung der Gesellschaft, die<lb/> durch die Vermittlung von Sitte und Gesetz die Aussprüche des Gewissens<lb/> realisirt. Endlich erregt selbst bei verhärteten Verbrechern in der Form eines<lb/> Bildes, einer Erzählung das Gute Wohlgefallen und Theilnahme, daS Böse<lb/> Abscheu. Wo man nicht durch unmittelbare, egoistische Interessen verleitet<lb/> wird, liebt man das Gute und haßt das Böse. Aus diesen unbestreitbaren<lb/> Thatsachen läßt sich ein Lehrgebäude der Moralphilosophie in ziemlicher Voll¬<lb/> ständigkeit herleiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1119"> Dagegen hat der Pantheismus einen sehr nachtheiligen Einfluß auf die<lb/> poetische Gestaltungskraft. Er ist allerdings ein wesentliches Moment für die<lb/> Poesie, aber nur so lange er in der untergeordneten Stellung bleibt, die ihm<lb/> zukommt. Der Zauber der modernen Poesie liegt- hauptsächlich in der Virtuo¬<lb/> sität, mit der sie das Leben der Natur empfindet und wieder gibt. Schon in<lb/> der unbeseelten Natur haben wir ein reich pulstrendes Leben und dadurch eine<lb/> Poesie entdeckt, von der die Alten keine Ahnung hatten. Aber auch der Mensch<lb/> hat sein Naturleben, und die Ausmalung der Leidenschaften, Stimmungen,<lb/> Wünsche und Conflicte, deren Kausalzusammenhang jeder nachfühlt, die sich<lb/> also als einen innern Naturproceß darstellen, wird demjenigen Dichter am<lb/> meisten gelingen, der sich durch Beobachtung und Analyse am gründlichsten in<lb/> das Gesetz des Naturlebens vertieft hat. In dieser Beziehung unterstützt grade<lb/> wie beim spinozistischen System die Beobachtung des Thierlebens die Dar¬<lb/> stellung der menschlichen Natur, denn in dieser Beziehung gehören beide ins<lb/> animalische Gebiet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1120"> Allein diese Studien können nur die Farbe und die Stimmung geben, sie<lb/> können niemals die Zeichnung ersetzen. Wenn der Dichter sich ausschließlich<lb/> nach dieser Richtung bewegt, verfällt er in zwei scheinbar entgegengesetzte<lb/> Fehler: er löst durch zu weit getriebene Analyse die Individualität auf, und<lb/> er macht durch Trennung des Einzelnen von dem organischen Ganzen, zu dem<lb/> er gehört, die Individualität zu einer Anomalie. Beides läßt sich in sämmt¬<lb/> lichen Novellen und Gedichten Schefers nachweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1121" next="#ID_1122"> Wenn ich den Menschen lediglich in dem Naturproceß seiner Leidenschaf'<lb/> ten, Stimmungen, Gefühle betrachte, die nothwendig bei allen Naturwesen<lb/> übereinstimmen, so vernichte ich damit den Kern seiner Persönlichkeit, den sy^<lb/> nickten Lebensnerv, der ihn von andern Wesen unterscheidet. Der Lebensnerv<lb/> des individuellen Menschen ist der Charakter, der auf der Freiheit des Willens<lb/> bastrt und die Zurechnungsfähigkeit in sich schließt.. Löhe ich diesen in seine<lb/> Naturelemente auf, so todte ich die Person. Wenn man es der Wissenschaft<lb/> zum Vorwurf macht, daß sie, um das Leben zu begreifen, den lebendigen Or¬<lb/> ganismus zerschneidet, so ist das ein thörichter Vorwurf, denn die Wissenschaft<lb/> sucht nicht nach dem individuellen Leben, sondern nach dem allgemeinen, v- h-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0392]
Diese moralische Folge wird ergänzt durch die Einwirkung der Gesellschaft, die
durch die Vermittlung von Sitte und Gesetz die Aussprüche des Gewissens
realisirt. Endlich erregt selbst bei verhärteten Verbrechern in der Form eines
Bildes, einer Erzählung das Gute Wohlgefallen und Theilnahme, daS Böse
Abscheu. Wo man nicht durch unmittelbare, egoistische Interessen verleitet
wird, liebt man das Gute und haßt das Böse. Aus diesen unbestreitbaren
Thatsachen läßt sich ein Lehrgebäude der Moralphilosophie in ziemlicher Voll¬
ständigkeit herleiten.
Dagegen hat der Pantheismus einen sehr nachtheiligen Einfluß auf die
poetische Gestaltungskraft. Er ist allerdings ein wesentliches Moment für die
Poesie, aber nur so lange er in der untergeordneten Stellung bleibt, die ihm
zukommt. Der Zauber der modernen Poesie liegt- hauptsächlich in der Virtuo¬
sität, mit der sie das Leben der Natur empfindet und wieder gibt. Schon in
der unbeseelten Natur haben wir ein reich pulstrendes Leben und dadurch eine
Poesie entdeckt, von der die Alten keine Ahnung hatten. Aber auch der Mensch
hat sein Naturleben, und die Ausmalung der Leidenschaften, Stimmungen,
Wünsche und Conflicte, deren Kausalzusammenhang jeder nachfühlt, die sich
also als einen innern Naturproceß darstellen, wird demjenigen Dichter am
meisten gelingen, der sich durch Beobachtung und Analyse am gründlichsten in
das Gesetz des Naturlebens vertieft hat. In dieser Beziehung unterstützt grade
wie beim spinozistischen System die Beobachtung des Thierlebens die Dar¬
stellung der menschlichen Natur, denn in dieser Beziehung gehören beide ins
animalische Gebiet.
Allein diese Studien können nur die Farbe und die Stimmung geben, sie
können niemals die Zeichnung ersetzen. Wenn der Dichter sich ausschließlich
nach dieser Richtung bewegt, verfällt er in zwei scheinbar entgegengesetzte
Fehler: er löst durch zu weit getriebene Analyse die Individualität auf, und
er macht durch Trennung des Einzelnen von dem organischen Ganzen, zu dem
er gehört, die Individualität zu einer Anomalie. Beides läßt sich in sämmt¬
lichen Novellen und Gedichten Schefers nachweisen.
Wenn ich den Menschen lediglich in dem Naturproceß seiner Leidenschaf'
ten, Stimmungen, Gefühle betrachte, die nothwendig bei allen Naturwesen
übereinstimmen, so vernichte ich damit den Kern seiner Persönlichkeit, den sy^
nickten Lebensnerv, der ihn von andern Wesen unterscheidet. Der Lebensnerv
des individuellen Menschen ist der Charakter, der auf der Freiheit des Willens
bastrt und die Zurechnungsfähigkeit in sich schließt.. Löhe ich diesen in seine
Naturelemente auf, so todte ich die Person. Wenn man es der Wissenschaft
zum Vorwurf macht, daß sie, um das Leben zu begreifen, den lebendigen Or¬
ganismus zerschneidet, so ist das ein thörichter Vorwurf, denn die Wissenschaft
sucht nicht nach dem individuellen Leben, sondern nach dem allgemeinen, v- h-
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