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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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sein ganzes einziges Leben zu verlieren! Von einem ungemessenen Lerntrieb
befeuert, ins Erwerben von immer weiterem Wissen sein Glück setzend, grauste
ihm doch vor einem Brotstudium, das ihm einer Entsagung seiner selbst, einer
Verzichtleistung auf daS heiße Verlangen: ein immer klarerer Mensch zu wer¬
den, gleichzukommen schien.

Im -15. Jahr verlor ,er seinen Vater. Seine Studien in der Mythologie
und in der Kunstgeschichte des Alterthums erregten in ihm die Sehnsucht,
Aegypten aus eigner Anschauung kennen zu lernen, und es war bereits ganz
ernstlich von der Ausführung dieser Absicht die Rede, bis seine Mutter durch
ihre Bitten das Unternehmen hintertrieb. Schon damals versuchte sich Schefer,
der beiläufig nie die Universität besucht hat, in den Dichtungen, zu denen ihn
zum Theil die Lectüre des Novalis begeistert; doch war er zu scheu, sie irgend¬
wer" mitzutheilen. Die Mutter starb 1808, und er beabsichtigte zuerst, seiner
Neigung zur Musik zu leben. Der Entwurf zur Oper Sakontala fällt in
jenes Jahr. Da wurde seinem Leben eine neue Richtung gegeben durch die
Ankunft des Fürsten Hermann Pückler (1809), der die Standesherrschaft über¬
nahm und sogleich seine großartigen Parkanlagen begann. Zugleich wurde
Muskau zum Sammelplatz einer vornehmen und geistvollen Gesellschaft, in die
auch der junge Schefer eingeführt wurde. Man entlockte ihm 1811 ein Heft
Gedichte, welches dann auch gedruckt wurde. Seine Stimmung kann man
sich ungefähr vorstellen, wenn man sich an Jean Pauls Gottwald erinnert,
wie er zuerst einer jungen Gräfin seine schüchternen Huldigungen darbringt.
Es fanden Correspondenzen statt, nach kurzem Wiedersehen starb die jüngere
Geliebte auf ihren Gütern in der Provence, ihre Mutter aber, "des Knaben
erster Stern", brachte dem Dichter, als ein theures Vermächtniß eine Sammlung
von Gedichten, leise auf das letzte derselben hindeutend, welches also lautete:


Das, was wir vor der Welt verschweigen,
Verborgnes Glück, es bleibt uns eigen,
Das löscht kein Tag aus unserm Herzen,
Das überwachsen keine Schmerzen.
Durch unser Aug kanns niemand sehn,
Im Grund der Seele funkelnd stehn.
Wir tragens still von Port zu'Port,
Und tragens stumm zum Himmel fort.

Das ist nun freilich alles sehr ätherisch, und es wird uns klar, daß
Schefer einen ganz andern Stil schreiben mußte, als Jeremias Gotthelf, der
früh Hand an den Pflug legte und sich in der Käserei und im Kuhstall zu
schaffen machte. Wir sind indeß doch froh, als wir ins praktische Leben wieder
eingeführt werden. Schefer wurde bevollmächtigter Amtsverwalter der Standes¬
herrschaft Muskau. Wie er nun dieses praktische Geschäft mit der stillen


sein ganzes einziges Leben zu verlieren! Von einem ungemessenen Lerntrieb
befeuert, ins Erwerben von immer weiterem Wissen sein Glück setzend, grauste
ihm doch vor einem Brotstudium, das ihm einer Entsagung seiner selbst, einer
Verzichtleistung auf daS heiße Verlangen: ein immer klarerer Mensch zu wer¬
den, gleichzukommen schien.

Im -15. Jahr verlor ,er seinen Vater. Seine Studien in der Mythologie
und in der Kunstgeschichte des Alterthums erregten in ihm die Sehnsucht,
Aegypten aus eigner Anschauung kennen zu lernen, und es war bereits ganz
ernstlich von der Ausführung dieser Absicht die Rede, bis seine Mutter durch
ihre Bitten das Unternehmen hintertrieb. Schon damals versuchte sich Schefer,
der beiläufig nie die Universität besucht hat, in den Dichtungen, zu denen ihn
zum Theil die Lectüre des Novalis begeistert; doch war er zu scheu, sie irgend¬
wer« mitzutheilen. Die Mutter starb 1808, und er beabsichtigte zuerst, seiner
Neigung zur Musik zu leben. Der Entwurf zur Oper Sakontala fällt in
jenes Jahr. Da wurde seinem Leben eine neue Richtung gegeben durch die
Ankunft des Fürsten Hermann Pückler (1809), der die Standesherrschaft über¬
nahm und sogleich seine großartigen Parkanlagen begann. Zugleich wurde
Muskau zum Sammelplatz einer vornehmen und geistvollen Gesellschaft, in die
auch der junge Schefer eingeführt wurde. Man entlockte ihm 1811 ein Heft
Gedichte, welches dann auch gedruckt wurde. Seine Stimmung kann man
sich ungefähr vorstellen, wenn man sich an Jean Pauls Gottwald erinnert,
wie er zuerst einer jungen Gräfin seine schüchternen Huldigungen darbringt.
Es fanden Correspondenzen statt, nach kurzem Wiedersehen starb die jüngere
Geliebte auf ihren Gütern in der Provence, ihre Mutter aber, „des Knaben
erster Stern", brachte dem Dichter, als ein theures Vermächtniß eine Sammlung
von Gedichten, leise auf das letzte derselben hindeutend, welches also lautete:


Das, was wir vor der Welt verschweigen,
Verborgnes Glück, es bleibt uns eigen,
Das löscht kein Tag aus unserm Herzen,
Das überwachsen keine Schmerzen.
Durch unser Aug kanns niemand sehn,
Im Grund der Seele funkelnd stehn.
Wir tragens still von Port zu'Port,
Und tragens stumm zum Himmel fort.

Das ist nun freilich alles sehr ätherisch, und es wird uns klar, daß
Schefer einen ganz andern Stil schreiben mußte, als Jeremias Gotthelf, der
früh Hand an den Pflug legte und sich in der Käserei und im Kuhstall zu
schaffen machte. Wir sind indeß doch froh, als wir ins praktische Leben wieder
eingeführt werden. Schefer wurde bevollmächtigter Amtsverwalter der Standes¬
herrschaft Muskau. Wie er nun dieses praktische Geschäft mit der stillen


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[0389] sein ganzes einziges Leben zu verlieren! Von einem ungemessenen Lerntrieb befeuert, ins Erwerben von immer weiterem Wissen sein Glück setzend, grauste ihm doch vor einem Brotstudium, das ihm einer Entsagung seiner selbst, einer Verzichtleistung auf daS heiße Verlangen: ein immer klarerer Mensch zu wer¬ den, gleichzukommen schien. Im -15. Jahr verlor ,er seinen Vater. Seine Studien in der Mythologie und in der Kunstgeschichte des Alterthums erregten in ihm die Sehnsucht, Aegypten aus eigner Anschauung kennen zu lernen, und es war bereits ganz ernstlich von der Ausführung dieser Absicht die Rede, bis seine Mutter durch ihre Bitten das Unternehmen hintertrieb. Schon damals versuchte sich Schefer, der beiläufig nie die Universität besucht hat, in den Dichtungen, zu denen ihn zum Theil die Lectüre des Novalis begeistert; doch war er zu scheu, sie irgend¬ wer« mitzutheilen. Die Mutter starb 1808, und er beabsichtigte zuerst, seiner Neigung zur Musik zu leben. Der Entwurf zur Oper Sakontala fällt in jenes Jahr. Da wurde seinem Leben eine neue Richtung gegeben durch die Ankunft des Fürsten Hermann Pückler (1809), der die Standesherrschaft über¬ nahm und sogleich seine großartigen Parkanlagen begann. Zugleich wurde Muskau zum Sammelplatz einer vornehmen und geistvollen Gesellschaft, in die auch der junge Schefer eingeführt wurde. Man entlockte ihm 1811 ein Heft Gedichte, welches dann auch gedruckt wurde. Seine Stimmung kann man sich ungefähr vorstellen, wenn man sich an Jean Pauls Gottwald erinnert, wie er zuerst einer jungen Gräfin seine schüchternen Huldigungen darbringt. Es fanden Correspondenzen statt, nach kurzem Wiedersehen starb die jüngere Geliebte auf ihren Gütern in der Provence, ihre Mutter aber, „des Knaben erster Stern", brachte dem Dichter, als ein theures Vermächtniß eine Sammlung von Gedichten, leise auf das letzte derselben hindeutend, welches also lautete: Das, was wir vor der Welt verschweigen, Verborgnes Glück, es bleibt uns eigen, Das löscht kein Tag aus unserm Herzen, Das überwachsen keine Schmerzen. Durch unser Aug kanns niemand sehn, Im Grund der Seele funkelnd stehn. Wir tragens still von Port zu'Port, Und tragens stumm zum Himmel fort. Das ist nun freilich alles sehr ätherisch, und es wird uns klar, daß Schefer einen ganz andern Stil schreiben mußte, als Jeremias Gotthelf, der früh Hand an den Pflug legte und sich in der Käserei und im Kuhstall zu schaffen machte. Wir sind indeß doch froh, als wir ins praktische Leben wieder eingeführt werden. Schefer wurde bevollmächtigter Amtsverwalter der Standes¬ herrschaft Muskau. Wie er nun dieses praktische Geschäft mit der stillen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/389>, abgerufen am 28.07.2024.