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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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sein Gebiet zu karg bemessen wurde. Wenn Griechenland so weit vergrößert
wird, wie König Leopold von Belgien damals, als ihm die griechische Krone
angetragen wurde, gefordert haben soll, bis an die Bai von Contessa und den
Karasu, ja weiter bis zum Hanns und Schar dag, der natürlichen Nordgrenze
gegen den Serbenstamm, so wird ein Griechenreich gebildet, nicht groß genug,
um Europa gefährlich zu werden und doch stark genug, um seine eigne, nicht
russische Politik zu treiben. --

Im Norden dagegen hat sich südlich von der weißen save und Donau
das Serbenvolk in seiner ältesten Heimath eine politische Existenz erkämpft, und
die Anfänge eines Staates haben sich dort trotz türkischer und russischer Machi¬
nationen in nicht verächtlicher Weise consolidirt. Wie rauh auch die dortigen
Zustände sein mögen, unbestreitbar ist von allen Slawenstämmen der serbische
am kräftigsten und am meisten befähigt zu staatlicher Entwicklung. ^Der Pcm-
slawiSmus böhmischer Gelehrten war nicht eben weise, und gefährlich war er in
dem Munde russischer Agenten, für die Serben ist er eine berechtigte und recht
praktische Handhabe geworden, in den weiten nordtürkischen Landschaften daS
Gefühl der Zusammengehörigkeit zu wecken. Die ganze Nordtürkei gehört den
serbischen Südslawen, zu ihnen gehören die Bosniaken, obgleich in der Mehr¬
zahl Muhamedaner, die Montenegriner, auch die Bulgaren sprechen denselben
Dialekt, haben dieselben Sitten, Lieder, Gebräuche und im Ganzen betrachtet
dieselbe alterthümliche freie Gemeindeverfassung. Von den Bergen Cattaros
und der Adria, bis' zur Drobudscha und dem schwarzen Meer hat sich seit der
serbischen Erhebung in den letzten Decennien das Gefühl der gemeinsamen
Nationalität nicht unkräftig entwickelt, und wie abenteuerlich die freiwilligen
Banden waren, welche der Serbengeneral Knicanin den Oestreichern im Jahr
über die weiße save zu Hilfe führte, und wie unschädlich die böhmischen
Begs, welche eben damals mit Turban und langer Pfeife in den Hof des
spätern Kroatenban Jellacic einritten, um dem verwandten Häuptling ihr
Dienste gegen die alten Feinde ihres Volkes, die Ungarn, anzubieten, so sind
doch dergleichen Regungen von nationalem Gemeinsinn deshalb beachtungswerth,
weil sie in einem Terrain aufwuchsen, das man durch Jahrhunderte für poli¬
tisch todt hielt. Ein Serbenreich von der Donau bis zum großen Balkan hätte
außer der Nationalität eine sehr reale Grundlage in der geographischen Ge¬
schlossenheit und Einheit deS Terrains.

So würde die Türkei mit Ausschluß der Donaufürstenthümer in drei
Theile zerfallen, das Südslawenland, ein vergrößertes Griechenland und den
Staat Konstantinopel mit den alt türkischen Provinzen, das letzte ein Terrain,
welches, wie man auch seine Zukunft bestimme, durch geographische uiid natio¬
nale Schranken von Oestreich, wie von Rußland getrennt wäre.

Wenn auch ein Theilungsplan der orientalischen Erbschaft, so flüchtig


sein Gebiet zu karg bemessen wurde. Wenn Griechenland so weit vergrößert
wird, wie König Leopold von Belgien damals, als ihm die griechische Krone
angetragen wurde, gefordert haben soll, bis an die Bai von Contessa und den
Karasu, ja weiter bis zum Hanns und Schar dag, der natürlichen Nordgrenze
gegen den Serbenstamm, so wird ein Griechenreich gebildet, nicht groß genug,
um Europa gefährlich zu werden und doch stark genug, um seine eigne, nicht
russische Politik zu treiben. —

Im Norden dagegen hat sich südlich von der weißen save und Donau
das Serbenvolk in seiner ältesten Heimath eine politische Existenz erkämpft, und
die Anfänge eines Staates haben sich dort trotz türkischer und russischer Machi¬
nationen in nicht verächtlicher Weise consolidirt. Wie rauh auch die dortigen
Zustände sein mögen, unbestreitbar ist von allen Slawenstämmen der serbische
am kräftigsten und am meisten befähigt zu staatlicher Entwicklung. ^Der Pcm-
slawiSmus böhmischer Gelehrten war nicht eben weise, und gefährlich war er in
dem Munde russischer Agenten, für die Serben ist er eine berechtigte und recht
praktische Handhabe geworden, in den weiten nordtürkischen Landschaften daS
Gefühl der Zusammengehörigkeit zu wecken. Die ganze Nordtürkei gehört den
serbischen Südslawen, zu ihnen gehören die Bosniaken, obgleich in der Mehr¬
zahl Muhamedaner, die Montenegriner, auch die Bulgaren sprechen denselben
Dialekt, haben dieselben Sitten, Lieder, Gebräuche und im Ganzen betrachtet
dieselbe alterthümliche freie Gemeindeverfassung. Von den Bergen Cattaros
und der Adria, bis' zur Drobudscha und dem schwarzen Meer hat sich seit der
serbischen Erhebung in den letzten Decennien das Gefühl der gemeinsamen
Nationalität nicht unkräftig entwickelt, und wie abenteuerlich die freiwilligen
Banden waren, welche der Serbengeneral Knicanin den Oestreichern im Jahr
über die weiße save zu Hilfe führte, und wie unschädlich die böhmischen
Begs, welche eben damals mit Turban und langer Pfeife in den Hof des
spätern Kroatenban Jellacic einritten, um dem verwandten Häuptling ihr
Dienste gegen die alten Feinde ihres Volkes, die Ungarn, anzubieten, so sind
doch dergleichen Regungen von nationalem Gemeinsinn deshalb beachtungswerth,
weil sie in einem Terrain aufwuchsen, das man durch Jahrhunderte für poli¬
tisch todt hielt. Ein Serbenreich von der Donau bis zum großen Balkan hätte
außer der Nationalität eine sehr reale Grundlage in der geographischen Ge¬
schlossenheit und Einheit deS Terrains.

So würde die Türkei mit Ausschluß der Donaufürstenthümer in drei
Theile zerfallen, das Südslawenland, ein vergrößertes Griechenland und den
Staat Konstantinopel mit den alt türkischen Provinzen, das letzte ein Terrain,
welches, wie man auch seine Zukunft bestimme, durch geographische uiid natio¬
nale Schranken von Oestreich, wie von Rußland getrennt wäre.

Wenn auch ein Theilungsplan der orientalischen Erbschaft, so flüchtig


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[0373] sein Gebiet zu karg bemessen wurde. Wenn Griechenland so weit vergrößert wird, wie König Leopold von Belgien damals, als ihm die griechische Krone angetragen wurde, gefordert haben soll, bis an die Bai von Contessa und den Karasu, ja weiter bis zum Hanns und Schar dag, der natürlichen Nordgrenze gegen den Serbenstamm, so wird ein Griechenreich gebildet, nicht groß genug, um Europa gefährlich zu werden und doch stark genug, um seine eigne, nicht russische Politik zu treiben. — Im Norden dagegen hat sich südlich von der weißen save und Donau das Serbenvolk in seiner ältesten Heimath eine politische Existenz erkämpft, und die Anfänge eines Staates haben sich dort trotz türkischer und russischer Machi¬ nationen in nicht verächtlicher Weise consolidirt. Wie rauh auch die dortigen Zustände sein mögen, unbestreitbar ist von allen Slawenstämmen der serbische am kräftigsten und am meisten befähigt zu staatlicher Entwicklung. ^Der Pcm- slawiSmus böhmischer Gelehrten war nicht eben weise, und gefährlich war er in dem Munde russischer Agenten, für die Serben ist er eine berechtigte und recht praktische Handhabe geworden, in den weiten nordtürkischen Landschaften daS Gefühl der Zusammengehörigkeit zu wecken. Die ganze Nordtürkei gehört den serbischen Südslawen, zu ihnen gehören die Bosniaken, obgleich in der Mehr¬ zahl Muhamedaner, die Montenegriner, auch die Bulgaren sprechen denselben Dialekt, haben dieselben Sitten, Lieder, Gebräuche und im Ganzen betrachtet dieselbe alterthümliche freie Gemeindeverfassung. Von den Bergen Cattaros und der Adria, bis' zur Drobudscha und dem schwarzen Meer hat sich seit der serbischen Erhebung in den letzten Decennien das Gefühl der gemeinsamen Nationalität nicht unkräftig entwickelt, und wie abenteuerlich die freiwilligen Banden waren, welche der Serbengeneral Knicanin den Oestreichern im Jahr über die weiße save zu Hilfe führte, und wie unschädlich die böhmischen Begs, welche eben damals mit Turban und langer Pfeife in den Hof des spätern Kroatenban Jellacic einritten, um dem verwandten Häuptling ihr Dienste gegen die alten Feinde ihres Volkes, die Ungarn, anzubieten, so sind doch dergleichen Regungen von nationalem Gemeinsinn deshalb beachtungswerth, weil sie in einem Terrain aufwuchsen, das man durch Jahrhunderte für poli¬ tisch todt hielt. Ein Serbenreich von der Donau bis zum großen Balkan hätte außer der Nationalität eine sehr reale Grundlage in der geographischen Ge¬ schlossenheit und Einheit deS Terrains. So würde die Türkei mit Ausschluß der Donaufürstenthümer in drei Theile zerfallen, das Südslawenland, ein vergrößertes Griechenland und den Staat Konstantinopel mit den alt türkischen Provinzen, das letzte ein Terrain, welches, wie man auch seine Zukunft bestimme, durch geographische uiid natio¬ nale Schranken von Oestreich, wie von Rußland getrennt wäre. Wenn auch ein Theilungsplan der orientalischen Erbschaft, so flüchtig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/373>, abgerufen am 01.09.2024.