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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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welche er uns einmal mit vielem Lachen erzählte, ist wohl sehr bekannt. Als er
bei seinen künstlerischen Spaziergängen bis gegen Wienerneustadt kam, machte seine
auffallende Erscheinung, da er immer aufschaute und seine Noten inS Taschen-
buch schrieb, die Leute glauben er sei ein Spion; denn es war in Kriegs¬
zeit und die Stadt befestigt. Er ward deshalb genöthigt aufs Rathhaus zu
kommen, und kam erst los, als ein musikliebender anwesender Rath oder der¬
gleichen in ihm Beethoven erkannte. Ich glaube, er hat auch dadurch die
Bürgerkrone erlangt. -- Einmal brachte er uns Billete zu einem Concert, worin
Carl Czerny Beethovens schönes Septett vortrug. Czerny spielte die Clavierpar-
thie, legte aber statt der darin vorkommenden Fermate von dem Compostteur eine
andere ein, wahrscheinlich von den seinigen. Beethoven erzählte es uns und
war darüber ganz entrüstet, ja er sagte zu Czerny unter andern: "er solle sich
schämen, die Leute kennten ja das Stück" :c. Da fragte ich ihn, was Czerny
darauf erwiedert habe? Darauf fing B. ihn nachahmend die Hände über ein¬
ander zu reiben und etwas zu,murmeln an, was sehr komisch anzusehen war;
aber Czerny wird wohl etwas gesagt haben, was aber B. nicht verstehen oder
hören konnte. -- Er bemerkte einmal, wie zur Orchesterleitung auch körperliche
Kraft erfordert würde. Ich habe manchmal darüber sprechen gehört, daß B.
als Director manchen Spielenden nicht so angenehm war, als ein anderer ge¬
übter Dirigent; ich weiß nicht, vielleicht war es nur bei einigen so, aber jeden¬
falls stellte er selbst, wenn ich so sagen darf, das vollständige Bild des auf¬
zuführenden Stückes bar; so wenigstens bei seiner Clavierbegleitung: "der fer¬
nen Geliebten," denn da saß er schon ganz gefühlvoll da.

Meinem armen Schwager, welcher damals nur etwas minder gehörlos war,
sagte er öfter: "Schmerling, brauchen Sie nur nichts, da wirds immer ärger'."

Eine von B--s schönen Aeußerungen ging einmal dahin, er habe daS
System, daß alles, was in Rücksicht von körperlicher Nahrung zu viel geschähe,
als ein Diebstahl anzusehen sei, welchen man an anderen nöthigeren oder wichti¬
geren Ausgaben mache, als da sind Arme, und Verwendung auf Geistesnahrung.

Die von B. sogenannte Königin der Nacht, seines Neffen Mutter, hatte
es endlich dahin gebracht, daß man seinen Adel als van Beethoven streitig
machte und seine Sache zum Stadtmagistrat kam, was ihn sehr kränkte, weil
man an ersterer Stelle ihn mehr zu würdigen verstand; auch kam es endlich
dahin, daß er der Vormundschaft enthoben, und sein Neffe zur Mutter zurück¬
kehrte! Welcher Schmerz sür ihn! -

Einmal hatte in meiner Gegenwart meine Schwester mit B. ein kur¬
zes, aber interessantes Gespräch über Liebe und Ehe. Wie er in allem
ein.besonderer Mensch war, so auch in seinen Ideen und Meinung hier¬
über. Jede Art gebundenes Verhältniß beim Menschen, so sagte er, sei
ihm unangenehm. Ich glaubte ihn zu verstehen, er will die Freiheit des


welche er uns einmal mit vielem Lachen erzählte, ist wohl sehr bekannt. Als er
bei seinen künstlerischen Spaziergängen bis gegen Wienerneustadt kam, machte seine
auffallende Erscheinung, da er immer aufschaute und seine Noten inS Taschen-
buch schrieb, die Leute glauben er sei ein Spion; denn es war in Kriegs¬
zeit und die Stadt befestigt. Er ward deshalb genöthigt aufs Rathhaus zu
kommen, und kam erst los, als ein musikliebender anwesender Rath oder der¬
gleichen in ihm Beethoven erkannte. Ich glaube, er hat auch dadurch die
Bürgerkrone erlangt. — Einmal brachte er uns Billete zu einem Concert, worin
Carl Czerny Beethovens schönes Septett vortrug. Czerny spielte die Clavierpar-
thie, legte aber statt der darin vorkommenden Fermate von dem Compostteur eine
andere ein, wahrscheinlich von den seinigen. Beethoven erzählte es uns und
war darüber ganz entrüstet, ja er sagte zu Czerny unter andern: „er solle sich
schämen, die Leute kennten ja das Stück" :c. Da fragte ich ihn, was Czerny
darauf erwiedert habe? Darauf fing B. ihn nachahmend die Hände über ein¬
ander zu reiben und etwas zu,murmeln an, was sehr komisch anzusehen war;
aber Czerny wird wohl etwas gesagt haben, was aber B. nicht verstehen oder
hören konnte. — Er bemerkte einmal, wie zur Orchesterleitung auch körperliche
Kraft erfordert würde. Ich habe manchmal darüber sprechen gehört, daß B.
als Director manchen Spielenden nicht so angenehm war, als ein anderer ge¬
übter Dirigent; ich weiß nicht, vielleicht war es nur bei einigen so, aber jeden¬
falls stellte er selbst, wenn ich so sagen darf, das vollständige Bild des auf¬
zuführenden Stückes bar; so wenigstens bei seiner Clavierbegleitung: „der fer¬
nen Geliebten," denn da saß er schon ganz gefühlvoll da.

Meinem armen Schwager, welcher damals nur etwas minder gehörlos war,
sagte er öfter: „Schmerling, brauchen Sie nur nichts, da wirds immer ärger'."

Eine von B—s schönen Aeußerungen ging einmal dahin, er habe daS
System, daß alles, was in Rücksicht von körperlicher Nahrung zu viel geschähe,
als ein Diebstahl anzusehen sei, welchen man an anderen nöthigeren oder wichti¬
geren Ausgaben mache, als da sind Arme, und Verwendung auf Geistesnahrung.

Die von B. sogenannte Königin der Nacht, seines Neffen Mutter, hatte
es endlich dahin gebracht, daß man seinen Adel als van Beethoven streitig
machte und seine Sache zum Stadtmagistrat kam, was ihn sehr kränkte, weil
man an ersterer Stelle ihn mehr zu würdigen verstand; auch kam es endlich
dahin, daß er der Vormundschaft enthoben, und sein Neffe zur Mutter zurück¬
kehrte! Welcher Schmerz sür ihn! -

Einmal hatte in meiner Gegenwart meine Schwester mit B. ein kur¬
zes, aber interessantes Gespräch über Liebe und Ehe. Wie er in allem
ein.besonderer Mensch war, so auch in seinen Ideen und Meinung hier¬
über. Jede Art gebundenes Verhältniß beim Menschen, so sagte er, sei
ihm unangenehm. Ich glaubte ihn zu verstehen, er will die Freiheit des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/37>, abgerufen am 28.07.2024.