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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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derselbe über sein eignes Vaterland nur wenig Auskunft geben. Auch nicht
eine einzige der mündlich und schriftlich an ihn gerichteten Fragen über die
landwirtschaftlichen, commerziellen und industriellen Verhältnisse Nicaraguas
vermochte er direct zu beantworten, und wunderte sich zuweilen nicht wenig,
wie mich diese oder jene statistische Angabe überhaupt interessiren könne. Noch
am mittheilsamsten war der Minister über die Verhältnisse NicaraguaS zu den
Vereinigten Staaten, und.als unser Gespräch einmal die grade damals wal¬
tenden Zerwürfnisse mit der nordamerikanischen Transitcompagnie und deren
rücksichtslose Drohungen berührte, meinte Don Jesus, "wenn schon einmal
die Anneration unabweisbar und gewissermaßen ein Fatum ist, dann ist es
jedenfalls für das Land besser, dieselbe geschieht gleich, als erst nach
Jahren!" --

Wir lassen hierauf noch Einiges folgen, was für die Zustände dieser
ccntralamerikanischen Miniatnrrepubliken bezeichnend ist. "Die ordentlichen
Einnahmen des Staates bestehen in den Ein- und Ausgangszöllen, in den
Monopolen von Schießpulver, Stempelpapier und geistigen Flüssigkeiten. Da
in den letzten Jahren der Handel sehr gedrückt war, und außerdem nur die
Hälfte des Betrages in Baarem bezahl! zu werden braucht, während die
andere Hälfte in Staatsbons entrichtet werden kann, so waren die Ein¬
nahmen an Zöllen in der jüngsten Zeit kaum hinreichend zur Bestreitung der
Einbringungskosten derselben. Das Stempelpapier bringt dem Staate ungefähr
16,000 Dollars jährlich ein, die Verpachtung der Branntweinerzeugung aus
Zuckerrohr 32,000 Dollars, und das Privilegium des ausschließenden Verkaufs
von ausländischen Weinen 40,000'Dollars.

Von diesen Einnahmen müssen sämmtliche Staatsausgaben, die Kosten für
Civilverwaltung, Justizpflege, öffentlichen Unterricht, Verbesserung der Verkehrs¬
wege , die Erhaltung der Militärmacht u. s. w. bestritten und überdies noch
alljährlich eine Quote der verschiedenen Staatsschulden, die sich auf mehr als zwe>
Millionen Dollars belaufen, an auswärtige und inländische Gläubiger abbe¬
zahlt werden. Da aber die Einkünfte nicht einmal zur Deckung der ordentliche"
Ausgaben, viel weniger zur Abzahlung der auswärtigen Schuld hinreiche",
versteht man sich bei jeder neuen Verfallzeit zur Vergütung von Zinsen; und
da auch diese nicht baar bezahlt werden können und über 12"/<> betragen, so
wird die Schuld mit jedem Jahr, anstatt sich zu vermindern, größer und un¬
erschwinglicher. -- Die Capitale des Landes sind zu gering und es herrscht
auch viel zu wenig Patriotismus, um durch eine großartige Nationalanleihe
sich mit einem Male aus dieser Finanzklemme zu befreien; das Ausland gibt
keinen neuen Credit mehr, es dringt im Gegentheil immer ernster auf die Be¬
friedigung des alten, und so ist wahrlich nicht abzusehen, wie sich das para-
diestsche Nicaraa.na ohne Aufgebung seiner nationalen Selbstständigkeit an


derselbe über sein eignes Vaterland nur wenig Auskunft geben. Auch nicht
eine einzige der mündlich und schriftlich an ihn gerichteten Fragen über die
landwirtschaftlichen, commerziellen und industriellen Verhältnisse Nicaraguas
vermochte er direct zu beantworten, und wunderte sich zuweilen nicht wenig,
wie mich diese oder jene statistische Angabe überhaupt interessiren könne. Noch
am mittheilsamsten war der Minister über die Verhältnisse NicaraguaS zu den
Vereinigten Staaten, und.als unser Gespräch einmal die grade damals wal¬
tenden Zerwürfnisse mit der nordamerikanischen Transitcompagnie und deren
rücksichtslose Drohungen berührte, meinte Don Jesus, „wenn schon einmal
die Anneration unabweisbar und gewissermaßen ein Fatum ist, dann ist es
jedenfalls für das Land besser, dieselbe geschieht gleich, als erst nach
Jahren!" —

Wir lassen hierauf noch Einiges folgen, was für die Zustände dieser
ccntralamerikanischen Miniatnrrepubliken bezeichnend ist. „Die ordentlichen
Einnahmen des Staates bestehen in den Ein- und Ausgangszöllen, in den
Monopolen von Schießpulver, Stempelpapier und geistigen Flüssigkeiten. Da
in den letzten Jahren der Handel sehr gedrückt war, und außerdem nur die
Hälfte des Betrages in Baarem bezahl! zu werden braucht, während die
andere Hälfte in Staatsbons entrichtet werden kann, so waren die Ein¬
nahmen an Zöllen in der jüngsten Zeit kaum hinreichend zur Bestreitung der
Einbringungskosten derselben. Das Stempelpapier bringt dem Staate ungefähr
16,000 Dollars jährlich ein, die Verpachtung der Branntweinerzeugung aus
Zuckerrohr 32,000 Dollars, und das Privilegium des ausschließenden Verkaufs
von ausländischen Weinen 40,000'Dollars.

Von diesen Einnahmen müssen sämmtliche Staatsausgaben, die Kosten für
Civilverwaltung, Justizpflege, öffentlichen Unterricht, Verbesserung der Verkehrs¬
wege , die Erhaltung der Militärmacht u. s. w. bestritten und überdies noch
alljährlich eine Quote der verschiedenen Staatsschulden, die sich auf mehr als zwe>
Millionen Dollars belaufen, an auswärtige und inländische Gläubiger abbe¬
zahlt werden. Da aber die Einkünfte nicht einmal zur Deckung der ordentliche»
Ausgaben, viel weniger zur Abzahlung der auswärtigen Schuld hinreiche»,
versteht man sich bei jeder neuen Verfallzeit zur Vergütung von Zinsen; und
da auch diese nicht baar bezahlt werden können und über 12"/<> betragen, so
wird die Schuld mit jedem Jahr, anstatt sich zu vermindern, größer und un¬
erschwinglicher. — Die Capitale des Landes sind zu gering und es herrscht
auch viel zu wenig Patriotismus, um durch eine großartige Nationalanleihe
sich mit einem Male aus dieser Finanzklemme zu befreien; das Ausland gibt
keinen neuen Credit mehr, es dringt im Gegentheil immer ernster auf die Be¬
friedigung des alten, und so ist wahrlich nicht abzusehen, wie sich das para-
diestsche Nicaraa.na ohne Aufgebung seiner nationalen Selbstständigkeit an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/358>, abgerufen am 01.09.2024.