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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Militärbande deS Ortes im Hofraume seines Wohnhauses einige Stücke vor-
musiciren. Es ereignete sich einmal, daß ich grade zu ihm auf Besuch kam,
als eben eine derartige Musikproduction stattfand. Ungefähr zwanzig junge
Leute standen in Hemdärmeln, barfuß im gedeckten Hofraum und bliesen mit
ungezähmter Heftigkeit in verschiedene Instrumente; ihr Vortrag war mehr
lärmend alö schön und das Ausgeführte mehr langweilig als gehörergötzend.
Der Minister saß im schwarzen Frack und einer einst weißen Weste mit dunklen
Speiseerinnerungen in der Nähe des improvisirten Orchesters und lauschte eifrig
den etwas wilden Tönen, während einer seiner Söhne, ein Junge von zwölf
Jahren und intelligenten Zügen eben damit beschäftigt war, für seinen kleine¬
ren Bruder einen Rock zu flicken. Der Junge ließ sich, was uns gar wohl
gefiel, durch unser plötzliches Hinzukommen keineswegs in seiner Arbeit stören
und stach lustig weiter; Vater und Sohn schienen vielmehr stolz darauf zu
sein, dem europäischen Fremdling zu zeigen, wie man sich hier zu Land in
noch so kindlichem Alter bereits einer so nützlichen Thätigkeit hingibt. -- Die
dürftige Einrichtung des Wohnzimmers, das zugleich die Stelle eines Schlaf¬
gemaches vertrat, daS Hausleben der Familie, das fortwährende Auf- und
Abschleudern barfüßiger, schmuziger Mägde mit kleinen Ministersprößlingen
auf dem Arm, das Dazwischenrufen halbnackter Kinder, die bald dies, bald
jenes vom Papa begehrten und durch zeitgemäßes Geschrei auch zu erzwingen
wußten; alles hatte weit mehr das Ansehen einer kleinbürgerlichen Kinderstube
als das eines Empsangsappartements eines StaatSministers. Don Jesus de
la Ronda sprach unaufhörlich von seinen Universitätsstudien, von seinem Hause
in Granada und der reichen Sammlung elegant gebundener Bücher, welche er
daselbst zurückgelassen hatte. Ja, er verstand im Laufe des Gespräches von
seinen bunten Wissensfragmenlen so geschickten Gebrauch zu machen, daß man
dieselben einen Augenblick lang leicht als die Proben tieferer gründlicher
Kenntnisse ansehen mochte; wie zuweilen ein halbbankerotter Kaufmann den
ganzen Nest seines Waarenkrames in die Auslage drängt und so den flüch¬
tigen Beschauer über die wahre Größe seiner Vorräthe zu täuschen versucht.
Obschon über alle Maßen eingenommen für seine Heimath, erkannte Don
Jesus de la Ronda gleichwol die Trostlosigkeit der Lage Und klagte selbst in
einem Bericht, den er in seiner Eigenschaft als interimistischer Minister des
Innern und Aeußern im Februar 1833 den gesetzgebenden Kammern über¬
reichte, "wie dem Staats Nicaragua von all seinen Anstrengungen, sich zu
einer selbstständigen Republik zu erheben, keine anderen Errungenschaften ge¬
blieben, als Bürgerkriege, Ruinen, Entvölkerung, Elend, Erschlaffung, Un-
stttlichkeit, innere Zwiste und Laster." Man kann nicht offener sprechen. Durch
die häufige Lectüre auswärtiger Journale schien Don Jesus über allgemeine
europäische Zustände ziemlich wohl unterrichtet zu sein; dagegen konnte mir


Militärbande deS Ortes im Hofraume seines Wohnhauses einige Stücke vor-
musiciren. Es ereignete sich einmal, daß ich grade zu ihm auf Besuch kam,
als eben eine derartige Musikproduction stattfand. Ungefähr zwanzig junge
Leute standen in Hemdärmeln, barfuß im gedeckten Hofraum und bliesen mit
ungezähmter Heftigkeit in verschiedene Instrumente; ihr Vortrag war mehr
lärmend alö schön und das Ausgeführte mehr langweilig als gehörergötzend.
Der Minister saß im schwarzen Frack und einer einst weißen Weste mit dunklen
Speiseerinnerungen in der Nähe des improvisirten Orchesters und lauschte eifrig
den etwas wilden Tönen, während einer seiner Söhne, ein Junge von zwölf
Jahren und intelligenten Zügen eben damit beschäftigt war, für seinen kleine¬
ren Bruder einen Rock zu flicken. Der Junge ließ sich, was uns gar wohl
gefiel, durch unser plötzliches Hinzukommen keineswegs in seiner Arbeit stören
und stach lustig weiter; Vater und Sohn schienen vielmehr stolz darauf zu
sein, dem europäischen Fremdling zu zeigen, wie man sich hier zu Land in
noch so kindlichem Alter bereits einer so nützlichen Thätigkeit hingibt. — Die
dürftige Einrichtung des Wohnzimmers, das zugleich die Stelle eines Schlaf¬
gemaches vertrat, daS Hausleben der Familie, das fortwährende Auf- und
Abschleudern barfüßiger, schmuziger Mägde mit kleinen Ministersprößlingen
auf dem Arm, das Dazwischenrufen halbnackter Kinder, die bald dies, bald
jenes vom Papa begehrten und durch zeitgemäßes Geschrei auch zu erzwingen
wußten; alles hatte weit mehr das Ansehen einer kleinbürgerlichen Kinderstube
als das eines Empsangsappartements eines StaatSministers. Don Jesus de
la Ronda sprach unaufhörlich von seinen Universitätsstudien, von seinem Hause
in Granada und der reichen Sammlung elegant gebundener Bücher, welche er
daselbst zurückgelassen hatte. Ja, er verstand im Laufe des Gespräches von
seinen bunten Wissensfragmenlen so geschickten Gebrauch zu machen, daß man
dieselben einen Augenblick lang leicht als die Proben tieferer gründlicher
Kenntnisse ansehen mochte; wie zuweilen ein halbbankerotter Kaufmann den
ganzen Nest seines Waarenkrames in die Auslage drängt und so den flüch¬
tigen Beschauer über die wahre Größe seiner Vorräthe zu täuschen versucht.
Obschon über alle Maßen eingenommen für seine Heimath, erkannte Don
Jesus de la Ronda gleichwol die Trostlosigkeit der Lage Und klagte selbst in
einem Bericht, den er in seiner Eigenschaft als interimistischer Minister des
Innern und Aeußern im Februar 1833 den gesetzgebenden Kammern über¬
reichte, „wie dem Staats Nicaragua von all seinen Anstrengungen, sich zu
einer selbstständigen Republik zu erheben, keine anderen Errungenschaften ge¬
blieben, als Bürgerkriege, Ruinen, Entvölkerung, Elend, Erschlaffung, Un-
stttlichkeit, innere Zwiste und Laster." Man kann nicht offener sprechen. Durch
die häufige Lectüre auswärtiger Journale schien Don Jesus über allgemeine
europäische Zustände ziemlich wohl unterrichtet zu sein; dagegen konnte mir


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[0357] Militärbande deS Ortes im Hofraume seines Wohnhauses einige Stücke vor- musiciren. Es ereignete sich einmal, daß ich grade zu ihm auf Besuch kam, als eben eine derartige Musikproduction stattfand. Ungefähr zwanzig junge Leute standen in Hemdärmeln, barfuß im gedeckten Hofraum und bliesen mit ungezähmter Heftigkeit in verschiedene Instrumente; ihr Vortrag war mehr lärmend alö schön und das Ausgeführte mehr langweilig als gehörergötzend. Der Minister saß im schwarzen Frack und einer einst weißen Weste mit dunklen Speiseerinnerungen in der Nähe des improvisirten Orchesters und lauschte eifrig den etwas wilden Tönen, während einer seiner Söhne, ein Junge von zwölf Jahren und intelligenten Zügen eben damit beschäftigt war, für seinen kleine¬ ren Bruder einen Rock zu flicken. Der Junge ließ sich, was uns gar wohl gefiel, durch unser plötzliches Hinzukommen keineswegs in seiner Arbeit stören und stach lustig weiter; Vater und Sohn schienen vielmehr stolz darauf zu sein, dem europäischen Fremdling zu zeigen, wie man sich hier zu Land in noch so kindlichem Alter bereits einer so nützlichen Thätigkeit hingibt. — Die dürftige Einrichtung des Wohnzimmers, das zugleich die Stelle eines Schlaf¬ gemaches vertrat, daS Hausleben der Familie, das fortwährende Auf- und Abschleudern barfüßiger, schmuziger Mägde mit kleinen Ministersprößlingen auf dem Arm, das Dazwischenrufen halbnackter Kinder, die bald dies, bald jenes vom Papa begehrten und durch zeitgemäßes Geschrei auch zu erzwingen wußten; alles hatte weit mehr das Ansehen einer kleinbürgerlichen Kinderstube als das eines Empsangsappartements eines StaatSministers. Don Jesus de la Ronda sprach unaufhörlich von seinen Universitätsstudien, von seinem Hause in Granada und der reichen Sammlung elegant gebundener Bücher, welche er daselbst zurückgelassen hatte. Ja, er verstand im Laufe des Gespräches von seinen bunten Wissensfragmenlen so geschickten Gebrauch zu machen, daß man dieselben einen Augenblick lang leicht als die Proben tieferer gründlicher Kenntnisse ansehen mochte; wie zuweilen ein halbbankerotter Kaufmann den ganzen Nest seines Waarenkrames in die Auslage drängt und so den flüch¬ tigen Beschauer über die wahre Größe seiner Vorräthe zu täuschen versucht. Obschon über alle Maßen eingenommen für seine Heimath, erkannte Don Jesus de la Ronda gleichwol die Trostlosigkeit der Lage Und klagte selbst in einem Bericht, den er in seiner Eigenschaft als interimistischer Minister des Innern und Aeußern im Februar 1833 den gesetzgebenden Kammern über¬ reichte, „wie dem Staats Nicaragua von all seinen Anstrengungen, sich zu einer selbstständigen Republik zu erheben, keine anderen Errungenschaften ge¬ blieben, als Bürgerkriege, Ruinen, Entvölkerung, Elend, Erschlaffung, Un- stttlichkeit, innere Zwiste und Laster." Man kann nicht offener sprechen. Durch die häufige Lectüre auswärtiger Journale schien Don Jesus über allgemeine europäische Zustände ziemlich wohl unterrichtet zu sein; dagegen konnte mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/357>, abgerufen am 01.09.2024.