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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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dieser ihn leiblich tyrannisirte, wenn er aus ihn hinaufkletterte und ihn fast vom
Stuhl warf. -- Zu meiner Schwester hatte B. ein solches Vertrauen, daß er ihr
einmal heimlich schrieb, sie solle ihm aufrichtig ihre Meinung sagen, ob sie
glaube, daß Karl, welcher neun Jahre unter dem traurigen Einfluß der
Mutter sich befunden habe, noch zurecht kommen würde. Die Schwester hat
ihm nach unserer hoffnungsvollen Ansicht mit ,,ja" geantwortet. -- Mich hat er
einmal sehr gekränkt, da er meinte, eine Nachlässigkeit meiner Schwester, welche
auf dem nicht lesen können seiner Schrift beruhte, und wol einigermaßen
entschuldigt werden konnte, aber die Ursache eines Verdrusses mit der
Mutter wurde, sei mir zuzuschreiben. Merkwürdig war mir, daß, nachdem er
durch ein sehr aufrichtiges Schreiben von meiner Seite die Wahrheit erfuhr,
und daß ich keine Schuld an dem von ihm erfahrenen Verdruß habe, er mir
kein freundlich. Wort gab, sondern nur meiner Schwester mit dem Finger
drohte und sagte: "nu warten Sie, Sie haben was schönes angestellt."

Unsere Wohnung am Landstraß Glayis war ziemlich einsam und wenn
Beethoven mich so mit dem Schlüsselkorb herumgehen sah, dann lachte er
und sagte oft scherzweise: "Da kömmt die Frau Aebtissin!" was mir schon
gar nicht gefallen wollte.

Einmal kam er im Frühling, brachte uns Veilchen mit den Worten: "ich
bringe Ihnen den Frühling", er war einige Zeit sehr unwohl gewesen (er litt
öfter an Kolik) und sagte: "Das wird einmal mein Ende sein'." da rief ich
ihm zu: ""Das wollen wir noch lange hinausschieben'."" da erwiederte er
"Ein schlechter Mann, der nicht zu sterben weiß, ich wußte eS schon als
ein Knabe von fünfzehn Jahren, freilich für die Kunst habe ich noch wenig
gethan!" ,",O deswegen können Sie keck sterben'."" sagte ich." Da ant¬
wortete er so vor sich hin: "mir schweben ganz andere Dinge vor." -- Zu der Zeit
brachte er uns auch seine herrliche Komposition an die Hoffnung aus Tiedges
Urania, welchen er immer "Tiedsche" nannte, nicht scherzweise. - Beethoven
war sehr leicht verstimmbar und so geschah eS auch, daß seine Freunde oft
glaubten, er habe etwas gegen sie, wenn es nicht der Fall war; aber er war
in seinem Benehmen so verschieden und schien zuweilen so unfreundlich und kalt,
daß man es glauben mußte und sich scheu zurückzog; -- oft aber kam es auch, daß
er seinen besten Bekannten nicht traute und sie in der That krankte. -- Oft klagte B.
über seine ökonomischen Verhältnisse, das war aber ein Steckenpferd von ihm.

In heiterer gesprächiger Stimmung erzählte uns Beethoven einmal von
der Zeit, welche er bei Fürst Lichnowski zubrachte. Von der Fürstin sprach
er mit vieler Achtung. Er erzählte, wie einst der Fürst, bei dem während der
Invasion der Franzosen mehre dieser Gäste sich befanden, ihn wiederholt nö¬
thigen wollte, ihnen auf dem Clavier etwas vorzuspielen, er sich aber fest
geweigert habe, was eine Scene zwischen ihm und dem Fürsten veranlaßte,


dieser ihn leiblich tyrannisirte, wenn er aus ihn hinaufkletterte und ihn fast vom
Stuhl warf. — Zu meiner Schwester hatte B. ein solches Vertrauen, daß er ihr
einmal heimlich schrieb, sie solle ihm aufrichtig ihre Meinung sagen, ob sie
glaube, daß Karl, welcher neun Jahre unter dem traurigen Einfluß der
Mutter sich befunden habe, noch zurecht kommen würde. Die Schwester hat
ihm nach unserer hoffnungsvollen Ansicht mit ,,ja" geantwortet. — Mich hat er
einmal sehr gekränkt, da er meinte, eine Nachlässigkeit meiner Schwester, welche
auf dem nicht lesen können seiner Schrift beruhte, und wol einigermaßen
entschuldigt werden konnte, aber die Ursache eines Verdrusses mit der
Mutter wurde, sei mir zuzuschreiben. Merkwürdig war mir, daß, nachdem er
durch ein sehr aufrichtiges Schreiben von meiner Seite die Wahrheit erfuhr,
und daß ich keine Schuld an dem von ihm erfahrenen Verdruß habe, er mir
kein freundlich. Wort gab, sondern nur meiner Schwester mit dem Finger
drohte und sagte: „nu warten Sie, Sie haben was schönes angestellt."

Unsere Wohnung am Landstraß Glayis war ziemlich einsam und wenn
Beethoven mich so mit dem Schlüsselkorb herumgehen sah, dann lachte er
und sagte oft scherzweise: „Da kömmt die Frau Aebtissin!" was mir schon
gar nicht gefallen wollte.

Einmal kam er im Frühling, brachte uns Veilchen mit den Worten: „ich
bringe Ihnen den Frühling", er war einige Zeit sehr unwohl gewesen (er litt
öfter an Kolik) und sagte: „Das wird einmal mein Ende sein'." da rief ich
ihm zu: „„Das wollen wir noch lange hinausschieben'."" da erwiederte er
„Ein schlechter Mann, der nicht zu sterben weiß, ich wußte eS schon als
ein Knabe von fünfzehn Jahren, freilich für die Kunst habe ich noch wenig
gethan!" ,„,O deswegen können Sie keck sterben'."" sagte ich." Da ant¬
wortete er so vor sich hin: „mir schweben ganz andere Dinge vor." — Zu der Zeit
brachte er uns auch seine herrliche Komposition an die Hoffnung aus Tiedges
Urania, welchen er immer „Tiedsche" nannte, nicht scherzweise. - Beethoven
war sehr leicht verstimmbar und so geschah eS auch, daß seine Freunde oft
glaubten, er habe etwas gegen sie, wenn es nicht der Fall war; aber er war
in seinem Benehmen so verschieden und schien zuweilen so unfreundlich und kalt,
daß man es glauben mußte und sich scheu zurückzog; — oft aber kam es auch, daß
er seinen besten Bekannten nicht traute und sie in der That krankte. — Oft klagte B.
über seine ökonomischen Verhältnisse, das war aber ein Steckenpferd von ihm.

In heiterer gesprächiger Stimmung erzählte uns Beethoven einmal von
der Zeit, welche er bei Fürst Lichnowski zubrachte. Von der Fürstin sprach
er mit vieler Achtung. Er erzählte, wie einst der Fürst, bei dem während der
Invasion der Franzosen mehre dieser Gäste sich befanden, ihn wiederholt nö¬
thigen wollte, ihnen auf dem Clavier etwas vorzuspielen, er sich aber fest
geweigert habe, was eine Scene zwischen ihm und dem Fürsten veranlaßte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/35>, abgerufen am 28.07.2024.