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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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und den Geldmarkt zu unterrichten. Hier wirb jedes in Sicht befindliche Schiff ver¬
mittelst eigner Tafeln angezeigt, und ebenso wird hier jedes eingelaufene Handels¬
fahrzeug nach Namen, Ladung und Bestimmung in ein zu jedermanns Einsicht
aufliegendes Buch verzeichnet. Wer eine dringende Korrespondenz zu besorgen
hat, findet hier ein mit allen Erfordernissen zum Schreiben versehenes Zimmer,
bei dem Custoden der Anstalt Briefmarken und in einem benachbarten Saale
einen Briefkasten. Hier ist im Conversationszimmer selbst für Zeitvertreib
durch Schach- und Dominospiel gesorgt, der allerdings wol nur italienischen Kauf¬
leuten Bedürfniß sein dürfte. Hier versammeln sich zwischen -12 und 2 Uhr
die Mitglieder des Handelsstandes, um sich über Lieferungen zu besprechen,
Differenzen auszugleichen, Aufträge entgegenzunehmen, die Chancen einer Spe¬
kulation zu prüfen, passende Frachtgelegenheiten zu erkunden, zu sondiren, zu
notiren, vor allem aber zu profitiren. Hier endlich hat der östreichische
Lloyd seinen Sitz, eine Gesellschaft, über deren verschiedene Branchen später
zu sprechen sein wird.

Der Hafen Triests erhielt seine gegenwärtige Ausdehnung unter Maria
Theresia, welche auch den großen Molo, auf dessen Spitze der Leuchtthurm
steht, erbauen ließ. Er ist tief genug für die größten Schiffe, aber gegen
Stürme nicht hinreichend gesichert.

Trieft wird häusig als eine deutsche Stadt bezeichnet. Das brockhaussche Con-
versationslerikon nennt es "nach Hamburg die bedeutendste Seestadt Deutschlands."
Die Partei, welche Deutschland für identisch mit dem "europäischen Mittelreich
von siebzig Millionen" ansieht, wirb die letztere Bezeichnung für richtig hal¬
ten. Wir dagegen würden es vorziehen, wenn uns erlaubt würde, Trieft nur
als die erste Seehanbelsstadt der östreichischen Monarchie aufzufassen. Noch
mehr aber widerspricht eS dem thatsächlichen Verhältniß, wenn Trieft eine
deutsche Stadt genannt und damit ein Vorherrschen deutscher Rede und Sinnes¬
art gemeint wird. Allerdings sprechen die Beamten, so viel uns bekannt,
durchgehends deutsch und dasselbe gilt von einem nicht kleinen Theile der Kauf¬
leute, auch greift das deutsche Element in andern Sphären mehr und mehr Platz-
Im Allgemeinen aber nimmt dasselbe hier keine andere Bedeutung in Anspruch,
als im östreichischen Kaiserstaate, wenn man ihn als Ganzes betrachtet.

Unter den 7S,000 Einwohnern, welche Trieft gegenwärtig haben mag, sind
sicher keine 10,000, welche sich des Deutschen als Familien-und Umgangssprache
bedienen und keine 20,000, welche es überhaupt einigermaßen sprechen und ver¬
stehen. Die Häuser sind italienisch gebaut, die Straßen nur italienisch benannt,
die Firmen der großen Mehrzahl nach ebenfalls italienisch wie die Namen "us
ihnen. In allen Hauptkirchen wird italienisch gepredigt, in den Kaffeehäusern
redet man den Gast, in den Verkaufsladen den Kunden stets zuerst italienisch
an, und in vielen muß er, falls er nur deutsch spricht, sich durch Pantomimen


und den Geldmarkt zu unterrichten. Hier wirb jedes in Sicht befindliche Schiff ver¬
mittelst eigner Tafeln angezeigt, und ebenso wird hier jedes eingelaufene Handels¬
fahrzeug nach Namen, Ladung und Bestimmung in ein zu jedermanns Einsicht
aufliegendes Buch verzeichnet. Wer eine dringende Korrespondenz zu besorgen
hat, findet hier ein mit allen Erfordernissen zum Schreiben versehenes Zimmer,
bei dem Custoden der Anstalt Briefmarken und in einem benachbarten Saale
einen Briefkasten. Hier ist im Conversationszimmer selbst für Zeitvertreib
durch Schach- und Dominospiel gesorgt, der allerdings wol nur italienischen Kauf¬
leuten Bedürfniß sein dürfte. Hier versammeln sich zwischen -12 und 2 Uhr
die Mitglieder des Handelsstandes, um sich über Lieferungen zu besprechen,
Differenzen auszugleichen, Aufträge entgegenzunehmen, die Chancen einer Spe¬
kulation zu prüfen, passende Frachtgelegenheiten zu erkunden, zu sondiren, zu
notiren, vor allem aber zu profitiren. Hier endlich hat der östreichische
Lloyd seinen Sitz, eine Gesellschaft, über deren verschiedene Branchen später
zu sprechen sein wird.

Der Hafen Triests erhielt seine gegenwärtige Ausdehnung unter Maria
Theresia, welche auch den großen Molo, auf dessen Spitze der Leuchtthurm
steht, erbauen ließ. Er ist tief genug für die größten Schiffe, aber gegen
Stürme nicht hinreichend gesichert.

Trieft wird häusig als eine deutsche Stadt bezeichnet. Das brockhaussche Con-
versationslerikon nennt es „nach Hamburg die bedeutendste Seestadt Deutschlands."
Die Partei, welche Deutschland für identisch mit dem „europäischen Mittelreich
von siebzig Millionen" ansieht, wirb die letztere Bezeichnung für richtig hal¬
ten. Wir dagegen würden es vorziehen, wenn uns erlaubt würde, Trieft nur
als die erste Seehanbelsstadt der östreichischen Monarchie aufzufassen. Noch
mehr aber widerspricht eS dem thatsächlichen Verhältniß, wenn Trieft eine
deutsche Stadt genannt und damit ein Vorherrschen deutscher Rede und Sinnes¬
art gemeint wird. Allerdings sprechen die Beamten, so viel uns bekannt,
durchgehends deutsch und dasselbe gilt von einem nicht kleinen Theile der Kauf¬
leute, auch greift das deutsche Element in andern Sphären mehr und mehr Platz-
Im Allgemeinen aber nimmt dasselbe hier keine andere Bedeutung in Anspruch,
als im östreichischen Kaiserstaate, wenn man ihn als Ganzes betrachtet.

Unter den 7S,000 Einwohnern, welche Trieft gegenwärtig haben mag, sind
sicher keine 10,000, welche sich des Deutschen als Familien-und Umgangssprache
bedienen und keine 20,000, welche es überhaupt einigermaßen sprechen und ver¬
stehen. Die Häuser sind italienisch gebaut, die Straßen nur italienisch benannt,
die Firmen der großen Mehrzahl nach ebenfalls italienisch wie die Namen «us
ihnen. In allen Hauptkirchen wird italienisch gepredigt, in den Kaffeehäusern
redet man den Gast, in den Verkaufsladen den Kunden stets zuerst italienisch
an, und in vielen muß er, falls er nur deutsch spricht, sich durch Pantomimen


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[0346] und den Geldmarkt zu unterrichten. Hier wirb jedes in Sicht befindliche Schiff ver¬ mittelst eigner Tafeln angezeigt, und ebenso wird hier jedes eingelaufene Handels¬ fahrzeug nach Namen, Ladung und Bestimmung in ein zu jedermanns Einsicht aufliegendes Buch verzeichnet. Wer eine dringende Korrespondenz zu besorgen hat, findet hier ein mit allen Erfordernissen zum Schreiben versehenes Zimmer, bei dem Custoden der Anstalt Briefmarken und in einem benachbarten Saale einen Briefkasten. Hier ist im Conversationszimmer selbst für Zeitvertreib durch Schach- und Dominospiel gesorgt, der allerdings wol nur italienischen Kauf¬ leuten Bedürfniß sein dürfte. Hier versammeln sich zwischen -12 und 2 Uhr die Mitglieder des Handelsstandes, um sich über Lieferungen zu besprechen, Differenzen auszugleichen, Aufträge entgegenzunehmen, die Chancen einer Spe¬ kulation zu prüfen, passende Frachtgelegenheiten zu erkunden, zu sondiren, zu notiren, vor allem aber zu profitiren. Hier endlich hat der östreichische Lloyd seinen Sitz, eine Gesellschaft, über deren verschiedene Branchen später zu sprechen sein wird. Der Hafen Triests erhielt seine gegenwärtige Ausdehnung unter Maria Theresia, welche auch den großen Molo, auf dessen Spitze der Leuchtthurm steht, erbauen ließ. Er ist tief genug für die größten Schiffe, aber gegen Stürme nicht hinreichend gesichert. Trieft wird häusig als eine deutsche Stadt bezeichnet. Das brockhaussche Con- versationslerikon nennt es „nach Hamburg die bedeutendste Seestadt Deutschlands." Die Partei, welche Deutschland für identisch mit dem „europäischen Mittelreich von siebzig Millionen" ansieht, wirb die letztere Bezeichnung für richtig hal¬ ten. Wir dagegen würden es vorziehen, wenn uns erlaubt würde, Trieft nur als die erste Seehanbelsstadt der östreichischen Monarchie aufzufassen. Noch mehr aber widerspricht eS dem thatsächlichen Verhältniß, wenn Trieft eine deutsche Stadt genannt und damit ein Vorherrschen deutscher Rede und Sinnes¬ art gemeint wird. Allerdings sprechen die Beamten, so viel uns bekannt, durchgehends deutsch und dasselbe gilt von einem nicht kleinen Theile der Kauf¬ leute, auch greift das deutsche Element in andern Sphären mehr und mehr Platz- Im Allgemeinen aber nimmt dasselbe hier keine andere Bedeutung in Anspruch, als im östreichischen Kaiserstaate, wenn man ihn als Ganzes betrachtet. Unter den 7S,000 Einwohnern, welche Trieft gegenwärtig haben mag, sind sicher keine 10,000, welche sich des Deutschen als Familien-und Umgangssprache bedienen und keine 20,000, welche es überhaupt einigermaßen sprechen und ver¬ stehen. Die Häuser sind italienisch gebaut, die Straßen nur italienisch benannt, die Firmen der großen Mehrzahl nach ebenfalls italienisch wie die Namen «us ihnen. In allen Hauptkirchen wird italienisch gepredigt, in den Kaffeehäusern redet man den Gast, in den Verkaufsladen den Kunden stets zuerst italienisch an, und in vielen muß er, falls er nur deutsch spricht, sich durch Pantomimen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/346>, abgerufen am 01.09.2024.