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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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und andrer schädlichen Speisen enthalten. Auch nach seiner großen Kunstreise
durch Griechenland beobachtete er diese diätischen Vorschriften so gewissenhaft,
daß er niemals selbst die Soldaten anredete, und stets einen Gesanglehrer bei
steh hatte, der ihn erinnern mußte, seine Kehle nicht anzustrengen, ein Tuch
vor den Mund zu halten u. s. w.

Der Geschmack, die Liebhabereien und Neigungen des Kaisers waren für
das damalige Rom vielleicht noch in höherm Grade maßgebend, als die von
Ludwig XIV. adoptirten Moden für Paris. Die römische Gesellschaft war
schon ohnedies sehr musikalisch gewesen, die Phantasie erlahmt bei dem Ver¬
such, sich die Wirkungen vorzustellen, welche das allerhöchste Beispiel zehn
Jahre hindurch (so viel vergingen ungefähr von Neros erstem halböffentlichen
Auftreten bis zu seinem Tode) ausübte. PetronS Schilderungen, wenn sie
nicht grade in dieser Zeit geschrieben sind, stellen doch wenigstens die damaligen
Zustände dar. Es ist nicht grade unglaublich, daß Enthusiasten, die wie Tri-
malchio mehr aus die Quantität als auf die Qualität der Musik sahen (sie
sind ja zu allen Zeiten nicht selten gewesen) eine permanente Musik in ihrem
Hause einrichteten. Es wird so manches Extravagante und Tolle aus jener
Zeit glaubwürdig als wahr berichtet, daß man sich oft versucht fühlt zu glauben,
Petron habe überhaupt nichts erfunden. Selbst zu jener Scene, wo Trimal-
chio sich als Todter aufs Sopha legt und eine Begräbnißmusik vorspielen läßt,
erzählt Seneca einen Pendant. Ein damals berühmter Schlemmer, der sich täg¬
lich bis zur Besinnungslosigkeit voll aß und trank, ließ sich dann wie ein
Todter von der Tafel in sein Schlafzimmer tragen, während ein Chor unter
Musikbegleitung sang: Genug gelebt! genug gelebt!

Die Melomanie, die in dieser Zeit ihren Höhepunkt erreichte, nahm ver¬
muthlich unter der nüchternen und prosaischen Regierung Vespasians etwas
ab, hob sich aber zum zweiten Mal unter Domitian, der unter andern auch
dies Interesse für Musik mit Nero gemein hatte, aber nicht selbst dilettirte,
und erlebte vielleicht mit dem übrigen Kunstenthustasmus eine letzte Nachblüte
Unter Hadrian. Von der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts bis zur er¬
sten Hälfte des vierten sind die Nachrichten zu spärlich, als daß man sich über
die sittlichen und geselligen Zustände der römischen Welt anschauliche Vor¬
stellungen bilden könnte, in den letzten Zeiten des Alterthums werdendste wie¬
der reichhaltiger, und namentlich werfen die Predigten, in denen die christlichen
Kanzelredner gegen die Sündhaftigkeit der Welt donnerten, interessante Streif¬
lichter auf die damalige Gesellschaft Roms und Konstantinopels. Auf dem
Theater herrschte in beiden Hauptstädten neben der Farce das Ballet so gut
wie unbeschränkt, und die Balletmustk, die von jeher frivol und gemein gewesen
war, mußte damals jeden Anspruch auf Kunstwerth schon völlig verloren haben,
da auch die Vertheidiger des Ballets ihr keinen andern Vorzug vindicirten als


und andrer schädlichen Speisen enthalten. Auch nach seiner großen Kunstreise
durch Griechenland beobachtete er diese diätischen Vorschriften so gewissenhaft,
daß er niemals selbst die Soldaten anredete, und stets einen Gesanglehrer bei
steh hatte, der ihn erinnern mußte, seine Kehle nicht anzustrengen, ein Tuch
vor den Mund zu halten u. s. w.

Der Geschmack, die Liebhabereien und Neigungen des Kaisers waren für
das damalige Rom vielleicht noch in höherm Grade maßgebend, als die von
Ludwig XIV. adoptirten Moden für Paris. Die römische Gesellschaft war
schon ohnedies sehr musikalisch gewesen, die Phantasie erlahmt bei dem Ver¬
such, sich die Wirkungen vorzustellen, welche das allerhöchste Beispiel zehn
Jahre hindurch (so viel vergingen ungefähr von Neros erstem halböffentlichen
Auftreten bis zu seinem Tode) ausübte. PetronS Schilderungen, wenn sie
nicht grade in dieser Zeit geschrieben sind, stellen doch wenigstens die damaligen
Zustände dar. Es ist nicht grade unglaublich, daß Enthusiasten, die wie Tri-
malchio mehr aus die Quantität als auf die Qualität der Musik sahen (sie
sind ja zu allen Zeiten nicht selten gewesen) eine permanente Musik in ihrem
Hause einrichteten. Es wird so manches Extravagante und Tolle aus jener
Zeit glaubwürdig als wahr berichtet, daß man sich oft versucht fühlt zu glauben,
Petron habe überhaupt nichts erfunden. Selbst zu jener Scene, wo Trimal-
chio sich als Todter aufs Sopha legt und eine Begräbnißmusik vorspielen läßt,
erzählt Seneca einen Pendant. Ein damals berühmter Schlemmer, der sich täg¬
lich bis zur Besinnungslosigkeit voll aß und trank, ließ sich dann wie ein
Todter von der Tafel in sein Schlafzimmer tragen, während ein Chor unter
Musikbegleitung sang: Genug gelebt! genug gelebt!

Die Melomanie, die in dieser Zeit ihren Höhepunkt erreichte, nahm ver¬
muthlich unter der nüchternen und prosaischen Regierung Vespasians etwas
ab, hob sich aber zum zweiten Mal unter Domitian, der unter andern auch
dies Interesse für Musik mit Nero gemein hatte, aber nicht selbst dilettirte,
und erlebte vielleicht mit dem übrigen Kunstenthustasmus eine letzte Nachblüte
Unter Hadrian. Von der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts bis zur er¬
sten Hälfte des vierten sind die Nachrichten zu spärlich, als daß man sich über
die sittlichen und geselligen Zustände der römischen Welt anschauliche Vor¬
stellungen bilden könnte, in den letzten Zeiten des Alterthums werdendste wie¬
der reichhaltiger, und namentlich werfen die Predigten, in denen die christlichen
Kanzelredner gegen die Sündhaftigkeit der Welt donnerten, interessante Streif¬
lichter auf die damalige Gesellschaft Roms und Konstantinopels. Auf dem
Theater herrschte in beiden Hauptstädten neben der Farce das Ballet so gut
wie unbeschränkt, und die Balletmustk, die von jeher frivol und gemein gewesen
war, mußte damals jeden Anspruch auf Kunstwerth schon völlig verloren haben,
da auch die Vertheidiger des Ballets ihr keinen andern Vorzug vindicirten als


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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/341>, abgerufen am 01.09.2024.