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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Staate einnimmt, so hatte, wie bemerkt, schon Sulla sich daran nicht mehr
gekehrt. Mehr als ein Kaiser ist seinem Beispiel gefolgt, von Nero soll so¬
gleich die Rede sein, auch Titus und Hadrian sangen und spielten gut, einige
spätere sogar auf mehren Instrumenten, Alexander Severus auch auf der Tuba
(Posaune), auf welcher er aber, wie sein Biograph sagt, sich alö Kaiser nie
hören ließ. Der unglückliche Britanniens soll Neros mörderischen Haß nicht
blos durch sein besseres Recht an den Thron, sondern auch durch seine bessere
Stimme erregt haben. So erzählt Sueton, "der Historiker der Antichambre
und Hofanekdote", wie ihn Mommsen genannt hat, es war vermuthlich Stadt¬
gespräch in Rom. Tacitus berichtet, daß Nero durch die Würfel am Saturna-
lienfeste zum König erwählt, dem noch nicht vierzehnjährigen Prinzen aufge¬
geben habe, vorzutreten und ein Lied vorzutragen, in der Hoffnung, er werde
sich lächerlich machen. Aber Britanniens sang ohne Befangenheit ein Gedicht,
das deutliche Anspielungen aus den an seinem Thronrecht verübten Raub ent¬
hielt. Die allgemeine Rührung, die dieser Gesang erregte, schärfte Neros Haß
und gab den unmittelbaren und nächsten Anlaß zu der scheußlichen Ermordung
des hoffnungsvollen Thronerben.

Man wird hiernach einsehn, daß in Neros musikalischen Treiben es weder
die Liebhaberei für diese Kunst, noch die dilettantische Ausübung derselben sein
konnte, die in den Augen der Mitwelt für den Beherrscher der Welt als un¬
würdig und schmachvoll erschien, sondern grade daß er kein Dilettant, sondern
ein Künstler von Fach sein wollte, daß und wie er sich öffentlich mit seinen
Leistungen producirte. Man trug sich in Rom mit der Anekdote, ihm sei von
Astrologen die bevorstehende Absetzung geweissagr worden, und er habe geäu¬
ßert, die Kunst finde überall Brot, um so eifriger müsse er sich auf die Cithar-
ödik legen, die ihm einst die Mittel zur Existenz als Privatmann geben würde.
Die vielverbreitete Meinung, Nero habe hauptsächlich als Schauspieler zu
glänzen gesucht, ist ganz irrig; eS ist sogar zweifelhaft, ob er jemals im ei¬
gentlichen Drama aufgetreten ist. Die Virtuosität, nach welcher er strebte, war
die des Sängers und Citherspielers. Als Sänger trug er aber häufig
componirter solos aus Tragödien vor, selbst in Costüm und Maske, und mit
dramatischer Action, daher ist jenes Mißverständniß entstanden. Mit einem
Eiser, der einer bessern Sache würdig gewesen wäre, bemühte er sich se>^
schlechte Stimme auszubilden. Kaum hatte er den Thron bestiegen, erzählt
Sueton, so berief er den Citharöden Tcrpinus, der damals am berühmtesten >n
seinem Fach war, und ließ sich Tag für Tag nach der Tafel bis tief in die
Nacht hinein vorsingen und spielen; bald fing er denn auch selbst an sich
üben und unterließ nichts, was Sänger von Profession zur Conservirung und
Ausbildung der Stimme anzuwenden pflegen, als auf dem Rücken liegend eine
Bleiplatte auf c>er Brust halten, häufig purgiren und lariren, sich deS Obstes


Staate einnimmt, so hatte, wie bemerkt, schon Sulla sich daran nicht mehr
gekehrt. Mehr als ein Kaiser ist seinem Beispiel gefolgt, von Nero soll so¬
gleich die Rede sein, auch Titus und Hadrian sangen und spielten gut, einige
spätere sogar auf mehren Instrumenten, Alexander Severus auch auf der Tuba
(Posaune), auf welcher er aber, wie sein Biograph sagt, sich alö Kaiser nie
hören ließ. Der unglückliche Britanniens soll Neros mörderischen Haß nicht
blos durch sein besseres Recht an den Thron, sondern auch durch seine bessere
Stimme erregt haben. So erzählt Sueton, „der Historiker der Antichambre
und Hofanekdote", wie ihn Mommsen genannt hat, es war vermuthlich Stadt¬
gespräch in Rom. Tacitus berichtet, daß Nero durch die Würfel am Saturna-
lienfeste zum König erwählt, dem noch nicht vierzehnjährigen Prinzen aufge¬
geben habe, vorzutreten und ein Lied vorzutragen, in der Hoffnung, er werde
sich lächerlich machen. Aber Britanniens sang ohne Befangenheit ein Gedicht,
das deutliche Anspielungen aus den an seinem Thronrecht verübten Raub ent¬
hielt. Die allgemeine Rührung, die dieser Gesang erregte, schärfte Neros Haß
und gab den unmittelbaren und nächsten Anlaß zu der scheußlichen Ermordung
des hoffnungsvollen Thronerben.

Man wird hiernach einsehn, daß in Neros musikalischen Treiben es weder
die Liebhaberei für diese Kunst, noch die dilettantische Ausübung derselben sein
konnte, die in den Augen der Mitwelt für den Beherrscher der Welt als un¬
würdig und schmachvoll erschien, sondern grade daß er kein Dilettant, sondern
ein Künstler von Fach sein wollte, daß und wie er sich öffentlich mit seinen
Leistungen producirte. Man trug sich in Rom mit der Anekdote, ihm sei von
Astrologen die bevorstehende Absetzung geweissagr worden, und er habe geäu¬
ßert, die Kunst finde überall Brot, um so eifriger müsse er sich auf die Cithar-
ödik legen, die ihm einst die Mittel zur Existenz als Privatmann geben würde.
Die vielverbreitete Meinung, Nero habe hauptsächlich als Schauspieler zu
glänzen gesucht, ist ganz irrig; eS ist sogar zweifelhaft, ob er jemals im ei¬
gentlichen Drama aufgetreten ist. Die Virtuosität, nach welcher er strebte, war
die des Sängers und Citherspielers. Als Sänger trug er aber häufig
componirter solos aus Tragödien vor, selbst in Costüm und Maske, und mit
dramatischer Action, daher ist jenes Mißverständniß entstanden. Mit einem
Eiser, der einer bessern Sache würdig gewesen wäre, bemühte er sich se>^
schlechte Stimme auszubilden. Kaum hatte er den Thron bestiegen, erzählt
Sueton, so berief er den Citharöden Tcrpinus, der damals am berühmtesten >n
seinem Fach war, und ließ sich Tag für Tag nach der Tafel bis tief in die
Nacht hinein vorsingen und spielen; bald fing er denn auch selbst an sich
üben und unterließ nichts, was Sänger von Profession zur Conservirung und
Ausbildung der Stimme anzuwenden pflegen, als auf dem Rücken liegend eine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/340>, abgerufen am 01.09.2024.