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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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und Scenerie, den glänzenden Coulissen, den großen Aufzügen Schritt gehalten;
ste war voller, reicher, mannigfaltiger und rauschender geworden. Die conser-
vative Partei hatte sich vergebens bemüht, diesen unvermeidlichen Entwicklungs¬
gang zu hemmen, ein Edict der Censoren vom Jahr 1-15 hatte alle Instrumente
außer der einfachen einheimischen Flöte untersagt. Aber die Zeit Augusts
hatte schon ein vollständiges Theaterorchester, und auch die damalige Flöte war
von der frühern nicht weniger verschieden, als ein jetziger Concertflügel von
den kleinen Spinetten unsrer Großeltern, sie war durch Verlängerung des Rohrs,
Vermehrung der Löcher und Messtngbeschlag ein Instrument geworden, das
mit der Tuba (Posaune) wetteifern konnte. Namentlich erforderte die Beglei¬
tung der Chöre in dem Ballet eine sehr starke Instrumentirung und die Ver¬
mehrung der Instrumente wird dem Begründer des Ballets Pylades ausdrück¬
lich beigelegt. Die Flöte scheint das führende Instrument in dem antiken
Orchester geblieben zu sein, etwa wie die Violine in dem unsern, mit ihr wirkten
in rauschendem Tutti Cither und Lyra, Rohrpfeifen und Metalldecken zusammen,
und seltsamerweise wurde der Takt durch Stampfen von den Choristen und Mu¬
sikern markirt, an deren Sohlen eine eigens zur Verstärkung des Schalls
dienende metallene Vorrichtung angebracht war. Die Italiener sind auch gegen¬
wärtig gegen dies uns unerträgliche Geräusch des lauten Taktschlagens äußerst
unempfindlich, damals müssen sie es noch in viel höherm Grade gewesen sein.
Ein Orchester, das von einem solchen im Chor ausgeführten Takttreten nicht
völlig verschlungen wurde, konnte unmöglich schwach sein.

Wenn sich daS Orchester der ersten Kaiserzeit zu der einfachen Flöten¬
begleitung des terenzischen Theaters ungefähr so verhalten haben mag, wie das
Orchester Meyerbeers und Berliozs zu dem bescheidenen Streichquartett in Ci-
marosas Opern: so war auch im Charakter und Stil der Compositionen eine
nicht geringe Umwälzung eingetreten. Die "liebliche Strenge" der Theater-
Musik in jener ersten Periode war bald ein überwundener Standpunkt: Rhyth¬
mus und Melodie befreiten sich von der altmodischen Gebundenheit und be¬
wegten sich in mannigfaltigen und freien Formen. Die Komposition hörte
auf, ein bloßes Substrat des Textes zu sein, und jemehr Gehalt in sie hin¬
eingelegt wurde, desto selbstständiger war auch ihre Wirkung. Wie der Wind
die Wellen, sagt schon Varro, lenkt der kundige Flötenspieler die Gemüther
der Zuschauer mit jeder Abwandlung der Melodie. Aber auch hier geschah
das Unvermeidliche; die Emancipation von der altmodischen Strenge und Ein¬
fachheit führte zum Raffinement, zur Verweichlichung, zur Herabwürdigung der
Musik zum bloßen Ohrenkitzel. Dieselbe Indignation, dieselben Klagen, die
Man in Thibauts "Reinheit der Tonkunst" über Rossini findet, tönen aus
den Schriften der Kaiserzeit über die damalige Theatermusik und ihre Wirkun¬
gen fast mit denselben Worten wieder. Die weibische und unkeusche Theater-


und Scenerie, den glänzenden Coulissen, den großen Aufzügen Schritt gehalten;
ste war voller, reicher, mannigfaltiger und rauschender geworden. Die conser-
vative Partei hatte sich vergebens bemüht, diesen unvermeidlichen Entwicklungs¬
gang zu hemmen, ein Edict der Censoren vom Jahr 1-15 hatte alle Instrumente
außer der einfachen einheimischen Flöte untersagt. Aber die Zeit Augusts
hatte schon ein vollständiges Theaterorchester, und auch die damalige Flöte war
von der frühern nicht weniger verschieden, als ein jetziger Concertflügel von
den kleinen Spinetten unsrer Großeltern, sie war durch Verlängerung des Rohrs,
Vermehrung der Löcher und Messtngbeschlag ein Instrument geworden, das
mit der Tuba (Posaune) wetteifern konnte. Namentlich erforderte die Beglei¬
tung der Chöre in dem Ballet eine sehr starke Instrumentirung und die Ver¬
mehrung der Instrumente wird dem Begründer des Ballets Pylades ausdrück¬
lich beigelegt. Die Flöte scheint das führende Instrument in dem antiken
Orchester geblieben zu sein, etwa wie die Violine in dem unsern, mit ihr wirkten
in rauschendem Tutti Cither und Lyra, Rohrpfeifen und Metalldecken zusammen,
und seltsamerweise wurde der Takt durch Stampfen von den Choristen und Mu¬
sikern markirt, an deren Sohlen eine eigens zur Verstärkung des Schalls
dienende metallene Vorrichtung angebracht war. Die Italiener sind auch gegen¬
wärtig gegen dies uns unerträgliche Geräusch des lauten Taktschlagens äußerst
unempfindlich, damals müssen sie es noch in viel höherm Grade gewesen sein.
Ein Orchester, das von einem solchen im Chor ausgeführten Takttreten nicht
völlig verschlungen wurde, konnte unmöglich schwach sein.

Wenn sich daS Orchester der ersten Kaiserzeit zu der einfachen Flöten¬
begleitung des terenzischen Theaters ungefähr so verhalten haben mag, wie das
Orchester Meyerbeers und Berliozs zu dem bescheidenen Streichquartett in Ci-
marosas Opern: so war auch im Charakter und Stil der Compositionen eine
nicht geringe Umwälzung eingetreten. Die „liebliche Strenge" der Theater-
Musik in jener ersten Periode war bald ein überwundener Standpunkt: Rhyth¬
mus und Melodie befreiten sich von der altmodischen Gebundenheit und be¬
wegten sich in mannigfaltigen und freien Formen. Die Komposition hörte
auf, ein bloßes Substrat des Textes zu sein, und jemehr Gehalt in sie hin¬
eingelegt wurde, desto selbstständiger war auch ihre Wirkung. Wie der Wind
die Wellen, sagt schon Varro, lenkt der kundige Flötenspieler die Gemüther
der Zuschauer mit jeder Abwandlung der Melodie. Aber auch hier geschah
das Unvermeidliche; die Emancipation von der altmodischen Strenge und Ein¬
fachheit führte zum Raffinement, zur Verweichlichung, zur Herabwürdigung der
Musik zum bloßen Ohrenkitzel. Dieselbe Indignation, dieselben Klagen, die
Man in Thibauts „Reinheit der Tonkunst" über Rossini findet, tönen aus
den Schriften der Kaiserzeit über die damalige Theatermusik und ihre Wirkun¬
gen fast mit denselben Worten wieder. Die weibische und unkeusche Theater-


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[0333] und Scenerie, den glänzenden Coulissen, den großen Aufzügen Schritt gehalten; ste war voller, reicher, mannigfaltiger und rauschender geworden. Die conser- vative Partei hatte sich vergebens bemüht, diesen unvermeidlichen Entwicklungs¬ gang zu hemmen, ein Edict der Censoren vom Jahr 1-15 hatte alle Instrumente außer der einfachen einheimischen Flöte untersagt. Aber die Zeit Augusts hatte schon ein vollständiges Theaterorchester, und auch die damalige Flöte war von der frühern nicht weniger verschieden, als ein jetziger Concertflügel von den kleinen Spinetten unsrer Großeltern, sie war durch Verlängerung des Rohrs, Vermehrung der Löcher und Messtngbeschlag ein Instrument geworden, das mit der Tuba (Posaune) wetteifern konnte. Namentlich erforderte die Beglei¬ tung der Chöre in dem Ballet eine sehr starke Instrumentirung und die Ver¬ mehrung der Instrumente wird dem Begründer des Ballets Pylades ausdrück¬ lich beigelegt. Die Flöte scheint das führende Instrument in dem antiken Orchester geblieben zu sein, etwa wie die Violine in dem unsern, mit ihr wirkten in rauschendem Tutti Cither und Lyra, Rohrpfeifen und Metalldecken zusammen, und seltsamerweise wurde der Takt durch Stampfen von den Choristen und Mu¬ sikern markirt, an deren Sohlen eine eigens zur Verstärkung des Schalls dienende metallene Vorrichtung angebracht war. Die Italiener sind auch gegen¬ wärtig gegen dies uns unerträgliche Geräusch des lauten Taktschlagens äußerst unempfindlich, damals müssen sie es noch in viel höherm Grade gewesen sein. Ein Orchester, das von einem solchen im Chor ausgeführten Takttreten nicht völlig verschlungen wurde, konnte unmöglich schwach sein. Wenn sich daS Orchester der ersten Kaiserzeit zu der einfachen Flöten¬ begleitung des terenzischen Theaters ungefähr so verhalten haben mag, wie das Orchester Meyerbeers und Berliozs zu dem bescheidenen Streichquartett in Ci- marosas Opern: so war auch im Charakter und Stil der Compositionen eine nicht geringe Umwälzung eingetreten. Die „liebliche Strenge" der Theater- Musik in jener ersten Periode war bald ein überwundener Standpunkt: Rhyth¬ mus und Melodie befreiten sich von der altmodischen Gebundenheit und be¬ wegten sich in mannigfaltigen und freien Formen. Die Komposition hörte auf, ein bloßes Substrat des Textes zu sein, und jemehr Gehalt in sie hin¬ eingelegt wurde, desto selbstständiger war auch ihre Wirkung. Wie der Wind die Wellen, sagt schon Varro, lenkt der kundige Flötenspieler die Gemüther der Zuschauer mit jeder Abwandlung der Melodie. Aber auch hier geschah das Unvermeidliche; die Emancipation von der altmodischen Strenge und Ein¬ fachheit führte zum Raffinement, zur Verweichlichung, zur Herabwürdigung der Musik zum bloßen Ohrenkitzel. Dieselbe Indignation, dieselben Klagen, die Man in Thibauts „Reinheit der Tonkunst" über Rossini findet, tönen aus den Schriften der Kaiserzeit über die damalige Theatermusik und ihre Wirkun¬ gen fast mit denselben Worten wieder. Die weibische und unkeusche Theater-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/333>, abgerufen am 01.09.2024.