Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Komponist neben dem Dichter thätig, der Sänger und Spieler neben dem
Schauspieler und Tänzer. Die musikalischen Partieen des Dramas und
Ballets waren auf solos und Chöre beschränkt; Ensemblesachen, als Duette,
Terzette und dergleichen gab es nicht; denn der Dialog wurde niemals com-
ponirt. Nur im effectvollen Monologe trat die Musikbegleitung ein, aber selt¬
samerweise trug nun nicht derselbe Schauspieler das Solo vor, der bisher
gesprochen hatte und zu dessen Rolle das Selbstgespräch gehörte, (wie in un¬
sern Vaudevilles und Singspielen) sondern ein Sänger löste ihn ab, dessen
Vortrag der Schauspieler nur pantomimisch begleitete. Chöre hatte, wie eS
scheint, nur die ganz nach griechischem Zuschnitt eingerichtete Tragödie, und
das erst in der Zeit Augusts entstandene tragische Ballet; dies bestand aus
lauter solos der verschiedenen Personen, in denen die Hauptmomente der
Handlung zusammengefaßt waren. Ein und derselbe Tänzer stellte diese ver¬
schiedenen Rollen, männliche und weibliche eine nach der andern pantomimisch
dar, und das Chor sang dazu den Tert des Libretto, und vermuthlich auch
zwischen den einzelnen solos die zum Verständniß erforderliche verbindende
Erzählung, etwa wie die Recitative in unsern Oratorien.

Das Publicum der Theaterschauspiele war das ganze römische Volk, jedermann
hatte zu diesen von Staatswegen veranstalteten religiösen Festlichkeiten freien
Zutritt. Die theatralischen Aufführungen waren nicht selten; man stelle sich
nun vor, wie schnell und allgemein oft gehörte und beliebte Melodien aus
Dramas oder Palleten bei der für Auffassung der Musik empfänglichen Masse sich
verbreiten mußten. Ovid beschreibt ein hauptsächlich von den untern Classen am
Is. März am Tiberufer gefeiertes Volksfest. Männer und Frauen lagerten
sich auf dem Grase unter freiem Himmel oder in improvisirten Zelten und in
Laubhütten, manche breiteten ihre Togen über Rohrstühlen aus. Dort zecht
Alt und Jung, dort singen sie, was sie im Theater gelernt haben, führen
Reihentänze auf und kehren taumelnd heim, der Dichter selbst war einem be¬
trunkenen alten Mann, der von einer betrunkenen alten Frau geführt wurde,
begegnet. -- Die Theaterhabitues und Kenner erregten das Erstaunen l'er
Laien. Wie vieles, sagt Cicero, entgeht uns beim Gesänge, was die Sach¬
verständigen heraushören! Beim ersten Ton des Flötenritornells wissen sie zu sagen,
ob das Stück aus der Antiope oder aus der Andromache ist, während wir
nicht einmal eine Ahnung davon haben." Man steht, daß Cicero von MnD
ungefähr ebenso viel verstand als von Malerei und Sculptur.

Wie das Drama aus musikalischen Anfängen hervorgegangen war, so
gewannen bei fortschreitender Entwicklung seine musikalischen Theile größere
Bedeutung, und lösten sich mit der Zeit als selbstständige Concertproductionen
davon ab, sowol der Gesang als die Instrumentalbegleitung. Die Ausbildung
der letzteren hatte mit dem Zunehmen der äußern Pracht in der Ausstattung


der Komponist neben dem Dichter thätig, der Sänger und Spieler neben dem
Schauspieler und Tänzer. Die musikalischen Partieen des Dramas und
Ballets waren auf solos und Chöre beschränkt; Ensemblesachen, als Duette,
Terzette und dergleichen gab es nicht; denn der Dialog wurde niemals com-
ponirt. Nur im effectvollen Monologe trat die Musikbegleitung ein, aber selt¬
samerweise trug nun nicht derselbe Schauspieler das Solo vor, der bisher
gesprochen hatte und zu dessen Rolle das Selbstgespräch gehörte, (wie in un¬
sern Vaudevilles und Singspielen) sondern ein Sänger löste ihn ab, dessen
Vortrag der Schauspieler nur pantomimisch begleitete. Chöre hatte, wie eS
scheint, nur die ganz nach griechischem Zuschnitt eingerichtete Tragödie, und
das erst in der Zeit Augusts entstandene tragische Ballet; dies bestand aus
lauter solos der verschiedenen Personen, in denen die Hauptmomente der
Handlung zusammengefaßt waren. Ein und derselbe Tänzer stellte diese ver¬
schiedenen Rollen, männliche und weibliche eine nach der andern pantomimisch
dar, und das Chor sang dazu den Tert des Libretto, und vermuthlich auch
zwischen den einzelnen solos die zum Verständniß erforderliche verbindende
Erzählung, etwa wie die Recitative in unsern Oratorien.

Das Publicum der Theaterschauspiele war das ganze römische Volk, jedermann
hatte zu diesen von Staatswegen veranstalteten religiösen Festlichkeiten freien
Zutritt. Die theatralischen Aufführungen waren nicht selten; man stelle sich
nun vor, wie schnell und allgemein oft gehörte und beliebte Melodien aus
Dramas oder Palleten bei der für Auffassung der Musik empfänglichen Masse sich
verbreiten mußten. Ovid beschreibt ein hauptsächlich von den untern Classen am
Is. März am Tiberufer gefeiertes Volksfest. Männer und Frauen lagerten
sich auf dem Grase unter freiem Himmel oder in improvisirten Zelten und in
Laubhütten, manche breiteten ihre Togen über Rohrstühlen aus. Dort zecht
Alt und Jung, dort singen sie, was sie im Theater gelernt haben, führen
Reihentänze auf und kehren taumelnd heim, der Dichter selbst war einem be¬
trunkenen alten Mann, der von einer betrunkenen alten Frau geführt wurde,
begegnet. — Die Theaterhabitues und Kenner erregten das Erstaunen l'er
Laien. Wie vieles, sagt Cicero, entgeht uns beim Gesänge, was die Sach¬
verständigen heraushören! Beim ersten Ton des Flötenritornells wissen sie zu sagen,
ob das Stück aus der Antiope oder aus der Andromache ist, während wir
nicht einmal eine Ahnung davon haben." Man steht, daß Cicero von MnD
ungefähr ebenso viel verstand als von Malerei und Sculptur.

Wie das Drama aus musikalischen Anfängen hervorgegangen war, so
gewannen bei fortschreitender Entwicklung seine musikalischen Theile größere
Bedeutung, und lösten sich mit der Zeit als selbstständige Concertproductionen
davon ab, sowol der Gesang als die Instrumentalbegleitung. Die Ausbildung
der letzteren hatte mit dem Zunehmen der äußern Pracht in der Ausstattung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103999"/>
          <p xml:id="ID_950" prev="#ID_949"> der Komponist neben dem Dichter thätig, der Sänger und Spieler neben dem<lb/>
Schauspieler und Tänzer. Die musikalischen Partieen des Dramas und<lb/>
Ballets waren auf solos und Chöre beschränkt; Ensemblesachen, als Duette,<lb/>
Terzette und dergleichen gab es nicht; denn der Dialog wurde niemals com-<lb/>
ponirt. Nur im effectvollen Monologe trat die Musikbegleitung ein, aber selt¬<lb/>
samerweise trug nun nicht derselbe Schauspieler das Solo vor, der bisher<lb/>
gesprochen hatte und zu dessen Rolle das Selbstgespräch gehörte, (wie in un¬<lb/>
sern Vaudevilles und Singspielen) sondern ein Sänger löste ihn ab, dessen<lb/>
Vortrag der Schauspieler nur pantomimisch begleitete. Chöre hatte, wie eS<lb/>
scheint, nur die ganz nach griechischem Zuschnitt eingerichtete Tragödie, und<lb/>
das erst in der Zeit Augusts entstandene tragische Ballet; dies bestand aus<lb/>
lauter solos der verschiedenen Personen, in denen die Hauptmomente der<lb/>
Handlung zusammengefaßt waren. Ein und derselbe Tänzer stellte diese ver¬<lb/>
schiedenen Rollen, männliche und weibliche eine nach der andern pantomimisch<lb/>
dar, und das Chor sang dazu den Tert des Libretto, und vermuthlich auch<lb/>
zwischen den einzelnen solos die zum Verständniß erforderliche verbindende<lb/>
Erzählung, etwa wie die Recitative in unsern Oratorien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_951"> Das Publicum der Theaterschauspiele war das ganze römische Volk, jedermann<lb/>
hatte zu diesen von Staatswegen veranstalteten religiösen Festlichkeiten freien<lb/>
Zutritt. Die theatralischen Aufführungen waren nicht selten; man stelle sich<lb/>
nun vor, wie schnell und allgemein oft gehörte und beliebte Melodien aus<lb/>
Dramas oder Palleten bei der für Auffassung der Musik empfänglichen Masse sich<lb/>
verbreiten mußten. Ovid beschreibt ein hauptsächlich von den untern Classen am<lb/>
Is. März am Tiberufer gefeiertes Volksfest. Männer und Frauen lagerten<lb/>
sich auf dem Grase unter freiem Himmel oder in improvisirten Zelten und in<lb/>
Laubhütten, manche breiteten ihre Togen über Rohrstühlen aus. Dort zecht<lb/>
Alt und Jung, dort singen sie, was sie im Theater gelernt haben, führen<lb/>
Reihentänze auf und kehren taumelnd heim, der Dichter selbst war einem be¬<lb/>
trunkenen alten Mann, der von einer betrunkenen alten Frau geführt wurde,<lb/>
begegnet. &#x2014; Die Theaterhabitues und Kenner erregten das Erstaunen l'er<lb/>
Laien. Wie vieles, sagt Cicero, entgeht uns beim Gesänge, was die Sach¬<lb/>
verständigen heraushören! Beim ersten Ton des Flötenritornells wissen sie zu sagen,<lb/>
ob das Stück aus der Antiope oder aus der Andromache ist, während wir<lb/>
nicht einmal eine Ahnung davon haben." Man steht, daß Cicero von MnD<lb/>
ungefähr ebenso viel verstand als von Malerei und Sculptur.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_952" next="#ID_953"> Wie das Drama aus musikalischen Anfängen hervorgegangen war, so<lb/>
gewannen bei fortschreitender Entwicklung seine musikalischen Theile größere<lb/>
Bedeutung, und lösten sich mit der Zeit als selbstständige Concertproductionen<lb/>
davon ab, sowol der Gesang als die Instrumentalbegleitung. Die Ausbildung<lb/>
der letzteren hatte mit dem Zunehmen der äußern Pracht in der Ausstattung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0332] der Komponist neben dem Dichter thätig, der Sänger und Spieler neben dem Schauspieler und Tänzer. Die musikalischen Partieen des Dramas und Ballets waren auf solos und Chöre beschränkt; Ensemblesachen, als Duette, Terzette und dergleichen gab es nicht; denn der Dialog wurde niemals com- ponirt. Nur im effectvollen Monologe trat die Musikbegleitung ein, aber selt¬ samerweise trug nun nicht derselbe Schauspieler das Solo vor, der bisher gesprochen hatte und zu dessen Rolle das Selbstgespräch gehörte, (wie in un¬ sern Vaudevilles und Singspielen) sondern ein Sänger löste ihn ab, dessen Vortrag der Schauspieler nur pantomimisch begleitete. Chöre hatte, wie eS scheint, nur die ganz nach griechischem Zuschnitt eingerichtete Tragödie, und das erst in der Zeit Augusts entstandene tragische Ballet; dies bestand aus lauter solos der verschiedenen Personen, in denen die Hauptmomente der Handlung zusammengefaßt waren. Ein und derselbe Tänzer stellte diese ver¬ schiedenen Rollen, männliche und weibliche eine nach der andern pantomimisch dar, und das Chor sang dazu den Tert des Libretto, und vermuthlich auch zwischen den einzelnen solos die zum Verständniß erforderliche verbindende Erzählung, etwa wie die Recitative in unsern Oratorien. Das Publicum der Theaterschauspiele war das ganze römische Volk, jedermann hatte zu diesen von Staatswegen veranstalteten religiösen Festlichkeiten freien Zutritt. Die theatralischen Aufführungen waren nicht selten; man stelle sich nun vor, wie schnell und allgemein oft gehörte und beliebte Melodien aus Dramas oder Palleten bei der für Auffassung der Musik empfänglichen Masse sich verbreiten mußten. Ovid beschreibt ein hauptsächlich von den untern Classen am Is. März am Tiberufer gefeiertes Volksfest. Männer und Frauen lagerten sich auf dem Grase unter freiem Himmel oder in improvisirten Zelten und in Laubhütten, manche breiteten ihre Togen über Rohrstühlen aus. Dort zecht Alt und Jung, dort singen sie, was sie im Theater gelernt haben, führen Reihentänze auf und kehren taumelnd heim, der Dichter selbst war einem be¬ trunkenen alten Mann, der von einer betrunkenen alten Frau geführt wurde, begegnet. — Die Theaterhabitues und Kenner erregten das Erstaunen l'er Laien. Wie vieles, sagt Cicero, entgeht uns beim Gesänge, was die Sach¬ verständigen heraushören! Beim ersten Ton des Flötenritornells wissen sie zu sagen, ob das Stück aus der Antiope oder aus der Andromache ist, während wir nicht einmal eine Ahnung davon haben." Man steht, daß Cicero von MnD ungefähr ebenso viel verstand als von Malerei und Sculptur. Wie das Drama aus musikalischen Anfängen hervorgegangen war, so gewannen bei fortschreitender Entwicklung seine musikalischen Theile größere Bedeutung, und lösten sich mit der Zeit als selbstständige Concertproductionen davon ab, sowol der Gesang als die Instrumentalbegleitung. Die Ausbildung der letzteren hatte mit dem Zunehmen der äußern Pracht in der Ausstattung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/332
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/332>, abgerufen am 01.09.2024.