Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir gingen hinauf ins Dampfbad, und nachdem dies seine gehörige
Wirkung gethan, i" das Kaltwasferbad. Trimalchio war bereits mit wohl¬
riechenden Oelen übergössen und ließ sich abreiben, aber nicht mit uralten
Tüchern, sondern mit Mänteln aus der feinsten Wolle. Hierauf wurde er
in einen scharlachrothen Friesrock eingehüllt und in die Sänfte gehoben. Vier
Läufer, deren Livreen mit metallenen Schilden geschmückt waren, gingen vor¬
an, und Trimalchios Favoritpage, ein alter triefäugiger Junge, noch häßlicher
als sein Herr, wurde auf einem Handwagen vorausgefahren. Während der
Zug sich in Bewegung setzte, näherte sich ein Flötist, mit einem Paar ganz
kleiner Flöten, dem Kopfende der Sänfte, und spielte aus dem ganzen Wege,
als wenn er Trimalchio etwas im Geheimen inS Ohr sagen wollte."

Von der Mustkliebe Trimalchios, die sich hier in so auffallender Weise
zeigt, erhalten seine Gäste später nach eigenthümlichere Beweise. Bei der
ganzen Mahlzeit geschieht nichts ohne Musik. Kaum haben die Gäste ihre
Schuhe abgelegt und sich auf die Polster niedergelassen, so erscheinen Pagen,
um ihnen mit äußerster Subtilität die Fußnägel zu beschneiden, und dieses
Geschäft vollzieh" sie unter Gesang. Der Erzähler, um sich zu überzeugen, ob
, die ganze Dienerschaft singt, verlangt zu trinken; sogleich fällt der angeredete
Sklave mit einer abscheulichen Melodie ein, und so jeder, von dem man sich
etwas reichen läßt: "man mußte glauben nicht in einem Privathause, sondern
im Theater zu sein." Nachdem alle Gäste versammelt sind, wird Trimalchio
auf lauter ganz kleinen Polsterkissen liegend, in den Saal getragen: hierzu
spielt die Kapelle, wir bleiben zweifelhaft, ob einen Tusch oder einen Marsch-
Beim ersten Gange wird eine hölzerne Bruthenne im Nest aufgetragen; zwei
Sklaven treten herzu und suchen aus dem Neststroh Pfaueneier heraus: auch
hierzu Orchesterbegleitung. Ein ägyptischer Sklave-reicht Brot auf einem sil¬
bernen Rost herum, und singt mit höchst scheußlicher Stimme dazu; ein Gang
wird auf einem verdeckten Präsentirteller aufgetragen, vier Sklaven treten
unter Musikbegleitung tanzend auf und heben den Deckel ab. Ein Page lo
Costüm des Bachus, mit Weinlaub und Epheu bekränzt, bietet, in eine"'
Körbchen Trauben herum, und singt dazu im schärfsten Discant Gedichte ab,
die von Trimalchio selbst verfaßt sind. Selbst zum Abfegen und Abwischen
der Tische wird Musik gemacht. Ein geschätzter Dilettant, der zu den Habi¬
tues des Hauses gehört, wird aufgefordert, der Gesellschaft einen musikalischen
Genuß zu gönnen; er entschuldigt sich, seit dem Podagra sei seine Stimme
nicht mehr die alte, in seiner Jugend freilich habe er sich fast die Schwindsucht
an den Hals gesungen und außer dem berühmten Virtuosen Apelles nicht
seines Gleichen gehabt. "Hierauf legte er die Hand an den Mund und pfiff
etwas ganz Abscheuliches heraus, was er nachher für eine griechische Pi<^
erklärte." Auch Trimalchio selbst gibt sein musikalisches Talent zum Besten;


Wir gingen hinauf ins Dampfbad, und nachdem dies seine gehörige
Wirkung gethan, i» das Kaltwasferbad. Trimalchio war bereits mit wohl¬
riechenden Oelen übergössen und ließ sich abreiben, aber nicht mit uralten
Tüchern, sondern mit Mänteln aus der feinsten Wolle. Hierauf wurde er
in einen scharlachrothen Friesrock eingehüllt und in die Sänfte gehoben. Vier
Läufer, deren Livreen mit metallenen Schilden geschmückt waren, gingen vor¬
an, und Trimalchios Favoritpage, ein alter triefäugiger Junge, noch häßlicher
als sein Herr, wurde auf einem Handwagen vorausgefahren. Während der
Zug sich in Bewegung setzte, näherte sich ein Flötist, mit einem Paar ganz
kleiner Flöten, dem Kopfende der Sänfte, und spielte aus dem ganzen Wege,
als wenn er Trimalchio etwas im Geheimen inS Ohr sagen wollte."

Von der Mustkliebe Trimalchios, die sich hier in so auffallender Weise
zeigt, erhalten seine Gäste später nach eigenthümlichere Beweise. Bei der
ganzen Mahlzeit geschieht nichts ohne Musik. Kaum haben die Gäste ihre
Schuhe abgelegt und sich auf die Polster niedergelassen, so erscheinen Pagen,
um ihnen mit äußerster Subtilität die Fußnägel zu beschneiden, und dieses
Geschäft vollzieh» sie unter Gesang. Der Erzähler, um sich zu überzeugen, ob
, die ganze Dienerschaft singt, verlangt zu trinken; sogleich fällt der angeredete
Sklave mit einer abscheulichen Melodie ein, und so jeder, von dem man sich
etwas reichen läßt: „man mußte glauben nicht in einem Privathause, sondern
im Theater zu sein." Nachdem alle Gäste versammelt sind, wird Trimalchio
auf lauter ganz kleinen Polsterkissen liegend, in den Saal getragen: hierzu
spielt die Kapelle, wir bleiben zweifelhaft, ob einen Tusch oder einen Marsch-
Beim ersten Gange wird eine hölzerne Bruthenne im Nest aufgetragen; zwei
Sklaven treten herzu und suchen aus dem Neststroh Pfaueneier heraus: auch
hierzu Orchesterbegleitung. Ein ägyptischer Sklave-reicht Brot auf einem sil¬
bernen Rost herum, und singt mit höchst scheußlicher Stimme dazu; ein Gang
wird auf einem verdeckten Präsentirteller aufgetragen, vier Sklaven treten
unter Musikbegleitung tanzend auf und heben den Deckel ab. Ein Page lo
Costüm des Bachus, mit Weinlaub und Epheu bekränzt, bietet, in eine»'
Körbchen Trauben herum, und singt dazu im schärfsten Discant Gedichte ab,
die von Trimalchio selbst verfaßt sind. Selbst zum Abfegen und Abwischen
der Tische wird Musik gemacht. Ein geschätzter Dilettant, der zu den Habi¬
tues des Hauses gehört, wird aufgefordert, der Gesellschaft einen musikalischen
Genuß zu gönnen; er entschuldigt sich, seit dem Podagra sei seine Stimme
nicht mehr die alte, in seiner Jugend freilich habe er sich fast die Schwindsucht
an den Hals gesungen und außer dem berühmten Virtuosen Apelles nicht
seines Gleichen gehabt. „Hierauf legte er die Hand an den Mund und pfiff
etwas ganz Abscheuliches heraus, was er nachher für eine griechische Pi<^
erklärte." Auch Trimalchio selbst gibt sein musikalisches Talent zum Besten;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103997"/>
          <p xml:id="ID_944" prev="#ID_943"> Wir gingen hinauf ins Dampfbad, und nachdem dies seine gehörige<lb/>
Wirkung gethan, i» das Kaltwasferbad. Trimalchio war bereits mit wohl¬<lb/>
riechenden Oelen übergössen und ließ sich abreiben, aber nicht mit uralten<lb/>
Tüchern, sondern mit Mänteln aus der feinsten Wolle. Hierauf wurde er<lb/>
in einen scharlachrothen Friesrock eingehüllt und in die Sänfte gehoben. Vier<lb/>
Läufer, deren Livreen mit metallenen Schilden geschmückt waren, gingen vor¬<lb/>
an, und Trimalchios Favoritpage, ein alter triefäugiger Junge, noch häßlicher<lb/>
als sein Herr, wurde auf einem Handwagen vorausgefahren. Während der<lb/>
Zug sich in Bewegung setzte, näherte sich ein Flötist, mit einem Paar ganz<lb/>
kleiner Flöten, dem Kopfende der Sänfte, und spielte aus dem ganzen Wege,<lb/>
als wenn er Trimalchio etwas im Geheimen inS Ohr sagen wollte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_945" next="#ID_946"> Von der Mustkliebe Trimalchios, die sich hier in so auffallender Weise<lb/>
zeigt, erhalten seine Gäste später nach eigenthümlichere Beweise.  Bei der<lb/>
ganzen Mahlzeit geschieht nichts ohne Musik.  Kaum haben die Gäste ihre<lb/>
Schuhe abgelegt und sich auf die Polster niedergelassen, so erscheinen Pagen,<lb/>
um ihnen mit äußerster Subtilität die Fußnägel zu beschneiden, und dieses<lb/>
Geschäft vollzieh» sie unter Gesang.  Der Erzähler, um sich zu überzeugen, ob<lb/>
, die ganze Dienerschaft singt, verlangt zu trinken; sogleich fällt der angeredete<lb/>
Sklave mit einer abscheulichen Melodie ein, und so jeder, von dem man sich<lb/>
etwas reichen läßt: &#x201E;man mußte glauben nicht in einem Privathause, sondern<lb/>
im Theater zu sein."  Nachdem alle Gäste versammelt sind, wird Trimalchio<lb/>
auf lauter ganz kleinen Polsterkissen liegend, in den Saal getragen: hierzu<lb/>
spielt die Kapelle, wir bleiben zweifelhaft, ob einen Tusch oder einen Marsch-<lb/>
Beim ersten Gange wird eine hölzerne Bruthenne im Nest aufgetragen; zwei<lb/>
Sklaven treten herzu und suchen aus dem Neststroh Pfaueneier heraus: auch<lb/>
hierzu Orchesterbegleitung.  Ein ägyptischer Sklave-reicht Brot auf einem sil¬<lb/>
bernen Rost herum, und singt mit höchst scheußlicher Stimme dazu; ein Gang<lb/>
wird auf einem verdeckten Präsentirteller aufgetragen, vier Sklaven treten<lb/>
unter Musikbegleitung tanzend auf und heben den Deckel ab.  Ein Page lo<lb/>
Costüm des Bachus, mit Weinlaub und Epheu bekränzt, bietet, in eine»'<lb/>
Körbchen Trauben herum, und singt dazu im schärfsten Discant Gedichte ab,<lb/>
die von Trimalchio selbst verfaßt sind.  Selbst zum Abfegen und Abwischen<lb/>
der Tische wird Musik gemacht.  Ein geschätzter Dilettant, der zu den Habi¬<lb/>
tues des Hauses gehört, wird aufgefordert, der Gesellschaft einen musikalischen<lb/>
Genuß zu gönnen; er entschuldigt sich, seit dem Podagra sei seine Stimme<lb/>
nicht mehr die alte, in seiner Jugend freilich habe er sich fast die Schwindsucht<lb/>
an den Hals gesungen und außer dem berühmten Virtuosen Apelles nicht<lb/>
seines Gleichen gehabt.  &#x201E;Hierauf legte er die Hand an den Mund und pfiff<lb/>
etwas ganz Abscheuliches heraus, was er nachher für eine griechische Pi&lt;^<lb/>
erklärte."  Auch Trimalchio selbst gibt sein musikalisches Talent zum Besten;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] Wir gingen hinauf ins Dampfbad, und nachdem dies seine gehörige Wirkung gethan, i» das Kaltwasferbad. Trimalchio war bereits mit wohl¬ riechenden Oelen übergössen und ließ sich abreiben, aber nicht mit uralten Tüchern, sondern mit Mänteln aus der feinsten Wolle. Hierauf wurde er in einen scharlachrothen Friesrock eingehüllt und in die Sänfte gehoben. Vier Läufer, deren Livreen mit metallenen Schilden geschmückt waren, gingen vor¬ an, und Trimalchios Favoritpage, ein alter triefäugiger Junge, noch häßlicher als sein Herr, wurde auf einem Handwagen vorausgefahren. Während der Zug sich in Bewegung setzte, näherte sich ein Flötist, mit einem Paar ganz kleiner Flöten, dem Kopfende der Sänfte, und spielte aus dem ganzen Wege, als wenn er Trimalchio etwas im Geheimen inS Ohr sagen wollte." Von der Mustkliebe Trimalchios, die sich hier in so auffallender Weise zeigt, erhalten seine Gäste später nach eigenthümlichere Beweise. Bei der ganzen Mahlzeit geschieht nichts ohne Musik. Kaum haben die Gäste ihre Schuhe abgelegt und sich auf die Polster niedergelassen, so erscheinen Pagen, um ihnen mit äußerster Subtilität die Fußnägel zu beschneiden, und dieses Geschäft vollzieh» sie unter Gesang. Der Erzähler, um sich zu überzeugen, ob , die ganze Dienerschaft singt, verlangt zu trinken; sogleich fällt der angeredete Sklave mit einer abscheulichen Melodie ein, und so jeder, von dem man sich etwas reichen läßt: „man mußte glauben nicht in einem Privathause, sondern im Theater zu sein." Nachdem alle Gäste versammelt sind, wird Trimalchio auf lauter ganz kleinen Polsterkissen liegend, in den Saal getragen: hierzu spielt die Kapelle, wir bleiben zweifelhaft, ob einen Tusch oder einen Marsch- Beim ersten Gange wird eine hölzerne Bruthenne im Nest aufgetragen; zwei Sklaven treten herzu und suchen aus dem Neststroh Pfaueneier heraus: auch hierzu Orchesterbegleitung. Ein ägyptischer Sklave-reicht Brot auf einem sil¬ bernen Rost herum, und singt mit höchst scheußlicher Stimme dazu; ein Gang wird auf einem verdeckten Präsentirteller aufgetragen, vier Sklaven treten unter Musikbegleitung tanzend auf und heben den Deckel ab. Ein Page lo Costüm des Bachus, mit Weinlaub und Epheu bekränzt, bietet, in eine»' Körbchen Trauben herum, und singt dazu im schärfsten Discant Gedichte ab, die von Trimalchio selbst verfaßt sind. Selbst zum Abfegen und Abwischen der Tische wird Musik gemacht. Ein geschätzter Dilettant, der zu den Habi¬ tues des Hauses gehört, wird aufgefordert, der Gesellschaft einen musikalischen Genuß zu gönnen; er entschuldigt sich, seit dem Podagra sei seine Stimme nicht mehr die alte, in seiner Jugend freilich habe er sich fast die Schwindsucht an den Hals gesungen und außer dem berühmten Virtuosen Apelles nicht seines Gleichen gehabt. „Hierauf legte er die Hand an den Mund und pfiff etwas ganz Abscheuliches heraus, was er nachher für eine griechische Pi<^ erklärte." Auch Trimalchio selbst gibt sein musikalisches Talent zum Besten;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/330>, abgerufen am 01.09.2024.