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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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in den scharf bewachten ordo botanico sich zulassungsfähig zu machen sucht.
Zuweilen schlüpft eine in Pantoffeln glücklich durch. Meist aber erwischt sie
der Wächter beim Rockzipfel und sie muß wieder auf die Gasse hinaus, um
ihre beschuhte Freundin drinnen durchs Gitter zu begrüßen und mit der besten
Laune von der Welt auf eine neue Kriegslist zu sinnen.

Aber wo gibts ein Ende, wenn man in einem Lande, dessen Bewohner
im Freien leben, die unzähligen, dem Künstlerauge stündlich zuströmenden
Skizzenvorwürfe sich vergegenwärtigt! Welche Vielseitigkeit bei den Festen, bei
den Processionen. Welche unverwüstliche Komik oft selbst in den Madonneu-
und Heiligenbildern, die sich -- wie es in Sorrent z. B. geschah -- aus Trotz
schwer machen, weil sie einmal wieder neu geschmückt sein wollen, ehe man
sie umherträgt. Wesches Getreide in den Lottoläden, wo Pfaffe und Bettler
sich um dieselbe Nummer streiten, von der ihnen träumte, Läden, die auch
während der Kirchzell offen sein dürfen und wo der Einsatz aus Fürsorge des
heiligen Vaters, seit -1836 von 5 auf den Bettelpfennig von 2^ Vajocchi
herabgesetzt ist. Welch ein Leben auf den Märkten, wo alle Landcostüme zu¬
sammenströmen und der nach Broccoli Suchende sich plötzlich über einem Latuga-
einkanf ertappt, verwirrt durch die Reize der saubern Sabinerin, die dem
Pantheon gegenüber daS Sprühfeuer ihrer Blicke allabendlich auf alle Gemüse¬
bedürftigen richtet. Welches Dolce far niente unter den Facchini dort auf
Piazza Navona, die einen invaliden Stuhl soeben, der Himmel weiß wem.
abgeschwätzt und angezündet haben und nun, behaglich angewärmt, in der
Januarsonne um das Freudenfeuer im Kreise sitzen, unbekümmert über den
künftigen Sitzapparat des frühern Besitzers. Und welche Wichtigkeit in den
Gesichtern der französischen Soldaten, die, dem nämlichen Erwärmungstriebe
fröhnend, mit Federwischen die Kohlenpfanne vor dem Wachtposten umstehen,
oder gar jenes Maurers auf dem Gerüste des Palazzo Sciarra, der auf
seinem luftigen Standpunkt zwischen Arbeiten am Gemäuer und Wärmen der
Hände über einem Kohlenfeuer gewissenhaft abwechselt.

Ob der Neuling in Italien vor lauter Schauen zum Zeichnen kommen
wird? Leicht möglich, daß, wie Carstens nie sich zum Copiren der Antike ent¬
schließen konnte, auch er sich unfähig fühlen wird, anzufangen, wo sich'kein
Ende absehen läßt. Mag er aber auch des Stoffes nicht Herr werden, mag
er nach manchem akademischen Frohnjahre endlich einmal wieder rasten, Athem
schöpfen, schöne Menschen, schöne Natur mächtig aus sich wirken lassen, es
soll ihm nicht verarge werden, bringe er nur so viel Gewecktheit, wieder ge¬
wonnene Frische, Phantasie und Geistesregheit über die Alpen zurück, wie sie
ein frohes Umschauen in Italien unter Lebendigen und Todten dem Künstler
nur immer zu gewähren vermag.




in den scharf bewachten ordo botanico sich zulassungsfähig zu machen sucht.
Zuweilen schlüpft eine in Pantoffeln glücklich durch. Meist aber erwischt sie
der Wächter beim Rockzipfel und sie muß wieder auf die Gasse hinaus, um
ihre beschuhte Freundin drinnen durchs Gitter zu begrüßen und mit der besten
Laune von der Welt auf eine neue Kriegslist zu sinnen.

Aber wo gibts ein Ende, wenn man in einem Lande, dessen Bewohner
im Freien leben, die unzähligen, dem Künstlerauge stündlich zuströmenden
Skizzenvorwürfe sich vergegenwärtigt! Welche Vielseitigkeit bei den Festen, bei
den Processionen. Welche unverwüstliche Komik oft selbst in den Madonneu-
und Heiligenbildern, die sich — wie es in Sorrent z. B. geschah — aus Trotz
schwer machen, weil sie einmal wieder neu geschmückt sein wollen, ehe man
sie umherträgt. Wesches Getreide in den Lottoläden, wo Pfaffe und Bettler
sich um dieselbe Nummer streiten, von der ihnen träumte, Läden, die auch
während der Kirchzell offen sein dürfen und wo der Einsatz aus Fürsorge des
heiligen Vaters, seit -1836 von 5 auf den Bettelpfennig von 2^ Vajocchi
herabgesetzt ist. Welch ein Leben auf den Märkten, wo alle Landcostüme zu¬
sammenströmen und der nach Broccoli Suchende sich plötzlich über einem Latuga-
einkanf ertappt, verwirrt durch die Reize der saubern Sabinerin, die dem
Pantheon gegenüber daS Sprühfeuer ihrer Blicke allabendlich auf alle Gemüse¬
bedürftigen richtet. Welches Dolce far niente unter den Facchini dort auf
Piazza Navona, die einen invaliden Stuhl soeben, der Himmel weiß wem.
abgeschwätzt und angezündet haben und nun, behaglich angewärmt, in der
Januarsonne um das Freudenfeuer im Kreise sitzen, unbekümmert über den
künftigen Sitzapparat des frühern Besitzers. Und welche Wichtigkeit in den
Gesichtern der französischen Soldaten, die, dem nämlichen Erwärmungstriebe
fröhnend, mit Federwischen die Kohlenpfanne vor dem Wachtposten umstehen,
oder gar jenes Maurers auf dem Gerüste des Palazzo Sciarra, der auf
seinem luftigen Standpunkt zwischen Arbeiten am Gemäuer und Wärmen der
Hände über einem Kohlenfeuer gewissenhaft abwechselt.

Ob der Neuling in Italien vor lauter Schauen zum Zeichnen kommen
wird? Leicht möglich, daß, wie Carstens nie sich zum Copiren der Antike ent¬
schließen konnte, auch er sich unfähig fühlen wird, anzufangen, wo sich'kein
Ende absehen läßt. Mag er aber auch des Stoffes nicht Herr werden, mag
er nach manchem akademischen Frohnjahre endlich einmal wieder rasten, Athem
schöpfen, schöne Menschen, schöne Natur mächtig aus sich wirken lassen, es
soll ihm nicht verarge werden, bringe er nur so viel Gewecktheit, wieder ge¬
wonnene Frische, Phantasie und Geistesregheit über die Alpen zurück, wie sie
ein frohes Umschauen in Italien unter Lebendigen und Todten dem Künstler
nur immer zu gewähren vermag.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/324>, abgerufen am 01.09.2024.