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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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immer. In Palermo führt man die Leichen noch in Sänften zum Grabe, und
zwar in sitzender Stellung.

Gleichfalls in Sänften werden die reich gekleideten Hebammen im Neapo¬
litanischen mit dem neu gebornen Kinde zur Taufe getragen. Jsts ein Knabe,
so hält ihn der rechte Arm, ists ein Mädchen -- der linke. In Sorrento
begegnete uns eine solche weise Frau. Sie strahlte wie eine Königin von
Geschmeide und Goldverbrämung.

Kaum eine Viertelstunde Wegs weiter bot sich ein Bild, das nur in
Italien gleich bunt und lebendig anzutreffen ist. Ein Schiff wurde vom
Stapel gelassen. Zelte und Ballustraden waren errichtet, zahllose Barken be-
deckten/vie blaue Flut. Mädchen in goldgelben und rothen Gewändern, und
weißen Kopf- und Busentüchern standen in brennender Sonnenbeleuchtung im
glühenden Ufersande umher. Nackte Kinder spielten halb im Wasser; Kapu¬
ziner und Franciscaner fungirten als Einsegnende oder nahmen als Zuschauer
Theil. Eine sogenannte Hausnonne d. h. eine aus Gesundheitsrücksicht und
auf gewisse Zeit den Ihrigen zurückgegebene Nonne, die Schwester eines sor-
rentiner Wirths, schauckeltc in einem buntbewimpelten Nachen. Sonngebräunte
Männer, alte und junge, bis auf eine Schwimmhvse entkleidet und dem Auge
des Beschauers eine an pompejanische Wandmalerei gemahnende Bronzecarna-
tion der entzückendsten Farbenglut darbietend, ruhten in offenen Kähnen oder
kauerten am Strande, des Augenblicks gewärtig, wo das ins Meer gelassene
Schiff vor Anker gehen und ihnen das Zeichen geben würde, tauchend über
die um den Kiel genagelten Balken herzufallen. Als das nahe Kirch¬
lein zum dritten Male geläutet hatte, kam der ersehnte Augenblick, und nun
begann im klaren Element ein Schwimmen, Tauchen und Kämpfen um die
unterseeische Holzbeute, daß man hätte wünschen mögen, der Balkenmenge
werde kein Ende.

Verwandte Schauspiele bietet Amalsis Strand. Die dortigen Fischer,
Sackträger und Schiffer verschmähen bei heißem Wetter fast sämmtliche Er¬
findungen der Bekleidungskunst, und keine Lumpen entstellen oder verhüllen
das schöne Muskelspiel ihrer ausgearbeiteten Gestalten. Selbst die am Bache
stehenden Wäscherinnen und die mit Reisig vom Gebirg herabkommenden Trä¬
gerinnen, hoch aufgeschürzt, baarfuß und dem Hemde kaum anderes als den
verkürzten Rock hinzufügend, bieten noch, beeinträchtigt in ihrer Schönheit
durch das Fetzenhafte ihrer Halbkeidung, den uns daheim so selten gebotenen
Genuß der Verständlichkeit jeder Bewegung, des harmonischen Echos im Wellen¬
spiele der Körperlinien.

Der Custvde des botanischen Gartens in Neapel würde sie freilich nicht
einpassiren lassen. Nichts ist drolliger, als wenn an Sonntagnachmittagen die
weibliche Jugend durch alle erdenklichen Toilettengeheimnisse vor dem Einkitte


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immer. In Palermo führt man die Leichen noch in Sänften zum Grabe, und
zwar in sitzender Stellung.

Gleichfalls in Sänften werden die reich gekleideten Hebammen im Neapo¬
litanischen mit dem neu gebornen Kinde zur Taufe getragen. Jsts ein Knabe,
so hält ihn der rechte Arm, ists ein Mädchen — der linke. In Sorrento
begegnete uns eine solche weise Frau. Sie strahlte wie eine Königin von
Geschmeide und Goldverbrämung.

Kaum eine Viertelstunde Wegs weiter bot sich ein Bild, das nur in
Italien gleich bunt und lebendig anzutreffen ist. Ein Schiff wurde vom
Stapel gelassen. Zelte und Ballustraden waren errichtet, zahllose Barken be-
deckten/vie blaue Flut. Mädchen in goldgelben und rothen Gewändern, und
weißen Kopf- und Busentüchern standen in brennender Sonnenbeleuchtung im
glühenden Ufersande umher. Nackte Kinder spielten halb im Wasser; Kapu¬
ziner und Franciscaner fungirten als Einsegnende oder nahmen als Zuschauer
Theil. Eine sogenannte Hausnonne d. h. eine aus Gesundheitsrücksicht und
auf gewisse Zeit den Ihrigen zurückgegebene Nonne, die Schwester eines sor-
rentiner Wirths, schauckeltc in einem buntbewimpelten Nachen. Sonngebräunte
Männer, alte und junge, bis auf eine Schwimmhvse entkleidet und dem Auge
des Beschauers eine an pompejanische Wandmalerei gemahnende Bronzecarna-
tion der entzückendsten Farbenglut darbietend, ruhten in offenen Kähnen oder
kauerten am Strande, des Augenblicks gewärtig, wo das ins Meer gelassene
Schiff vor Anker gehen und ihnen das Zeichen geben würde, tauchend über
die um den Kiel genagelten Balken herzufallen. Als das nahe Kirch¬
lein zum dritten Male geläutet hatte, kam der ersehnte Augenblick, und nun
begann im klaren Element ein Schwimmen, Tauchen und Kämpfen um die
unterseeische Holzbeute, daß man hätte wünschen mögen, der Balkenmenge
werde kein Ende.

Verwandte Schauspiele bietet Amalsis Strand. Die dortigen Fischer,
Sackträger und Schiffer verschmähen bei heißem Wetter fast sämmtliche Er¬
findungen der Bekleidungskunst, und keine Lumpen entstellen oder verhüllen
das schöne Muskelspiel ihrer ausgearbeiteten Gestalten. Selbst die am Bache
stehenden Wäscherinnen und die mit Reisig vom Gebirg herabkommenden Trä¬
gerinnen, hoch aufgeschürzt, baarfuß und dem Hemde kaum anderes als den
verkürzten Rock hinzufügend, bieten noch, beeinträchtigt in ihrer Schönheit
durch das Fetzenhafte ihrer Halbkeidung, den uns daheim so selten gebotenen
Genuß der Verständlichkeit jeder Bewegung, des harmonischen Echos im Wellen¬
spiele der Körperlinien.

Der Custvde des botanischen Gartens in Neapel würde sie freilich nicht
einpassiren lassen. Nichts ist drolliger, als wenn an Sonntagnachmittagen die
weibliche Jugend durch alle erdenklichen Toilettengeheimnisse vor dem Einkitte


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[0323] immer. In Palermo führt man die Leichen noch in Sänften zum Grabe, und zwar in sitzender Stellung. Gleichfalls in Sänften werden die reich gekleideten Hebammen im Neapo¬ litanischen mit dem neu gebornen Kinde zur Taufe getragen. Jsts ein Knabe, so hält ihn der rechte Arm, ists ein Mädchen — der linke. In Sorrento begegnete uns eine solche weise Frau. Sie strahlte wie eine Königin von Geschmeide und Goldverbrämung. Kaum eine Viertelstunde Wegs weiter bot sich ein Bild, das nur in Italien gleich bunt und lebendig anzutreffen ist. Ein Schiff wurde vom Stapel gelassen. Zelte und Ballustraden waren errichtet, zahllose Barken be- deckten/vie blaue Flut. Mädchen in goldgelben und rothen Gewändern, und weißen Kopf- und Busentüchern standen in brennender Sonnenbeleuchtung im glühenden Ufersande umher. Nackte Kinder spielten halb im Wasser; Kapu¬ ziner und Franciscaner fungirten als Einsegnende oder nahmen als Zuschauer Theil. Eine sogenannte Hausnonne d. h. eine aus Gesundheitsrücksicht und auf gewisse Zeit den Ihrigen zurückgegebene Nonne, die Schwester eines sor- rentiner Wirths, schauckeltc in einem buntbewimpelten Nachen. Sonngebräunte Männer, alte und junge, bis auf eine Schwimmhvse entkleidet und dem Auge des Beschauers eine an pompejanische Wandmalerei gemahnende Bronzecarna- tion der entzückendsten Farbenglut darbietend, ruhten in offenen Kähnen oder kauerten am Strande, des Augenblicks gewärtig, wo das ins Meer gelassene Schiff vor Anker gehen und ihnen das Zeichen geben würde, tauchend über die um den Kiel genagelten Balken herzufallen. Als das nahe Kirch¬ lein zum dritten Male geläutet hatte, kam der ersehnte Augenblick, und nun begann im klaren Element ein Schwimmen, Tauchen und Kämpfen um die unterseeische Holzbeute, daß man hätte wünschen mögen, der Balkenmenge werde kein Ende. Verwandte Schauspiele bietet Amalsis Strand. Die dortigen Fischer, Sackträger und Schiffer verschmähen bei heißem Wetter fast sämmtliche Er¬ findungen der Bekleidungskunst, und keine Lumpen entstellen oder verhüllen das schöne Muskelspiel ihrer ausgearbeiteten Gestalten. Selbst die am Bache stehenden Wäscherinnen und die mit Reisig vom Gebirg herabkommenden Trä¬ gerinnen, hoch aufgeschürzt, baarfuß und dem Hemde kaum anderes als den verkürzten Rock hinzufügend, bieten noch, beeinträchtigt in ihrer Schönheit durch das Fetzenhafte ihrer Halbkeidung, den uns daheim so selten gebotenen Genuß der Verständlichkeit jeder Bewegung, des harmonischen Echos im Wellen¬ spiele der Körperlinien. Der Custvde des botanischen Gartens in Neapel würde sie freilich nicht einpassiren lassen. Nichts ist drolliger, als wenn an Sonntagnachmittagen die weibliche Jugend durch alle erdenklichen Toilettengeheimnisse vor dem Einkitte 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/323>, abgerufen am 01.09.2024.