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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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dore Dulcamare steht nicht allenthalben mehr im Flor, aber wo er noch sein
Handwerk treibt, wird der Künstler seinen Bleistift sicher nicht umsonst gespitzt
haben. Auf der Piazza del Gran Duca in Florenz sahen wir den Dotiere
Terenzio vom Wagen herab seine Medicamente anpreisen. Es war eigentlich
nur eins, natürlich purgirender Wirkung, half aber gegen alle Uebel der
Welt, und eine große Mappe von Certificaten, welche Terenzio'unablässig in
die Höhe hob und vom Winde durchblättern ließ, bekehrte jeden Unglauben.
Lange Manschetten und Jabot, ein ungeheurer Castor auf dem gekräuselten
Haar, eine Fülle von Instrumenten aller Art, sämmtlich aus ungefährlichen
Fischbein, dazu eine mit unermüdlichen Lungen bewaffnete Beredtsamkeit --
zerstreuten alle Zweifel an der Unfehlbarkeit des kostbaren Universalmittels,
und so theilnahmlos Michel AngeloS David, Cellinis Perseus und Göttlings
vermeinte Thusnelda von ihren Postamenten auf diesen Wunderdoctor eines
nachgebornen Geschlechts herabblickten, so begierig lauschte die Volksmasse den
Anpreisungen deS großen Mannes.

Leider sind die weit minder gefährlichen Improvisatoren fast in ganz Ita¬
lien verschwunden. Selbst in Venedig, der Stadt "allwo man geflügelte
Löwen göttlich verehrt," findet man keine mehr. Ihre Kunst wird sich nicht
leicht von neuem ins Leben rufen lassen, wenn das Verbot gegen sie noch
lange anhält. Fast ist man aber versucht, bei der Wohlredenheit so mancher
ambulanter Krämer an verkappte Jünger jener mißliebigen Zunft zu denken.
Wenn Abends nach dem Ave Maria der Chemico Parlati ti Venezia an
einer Ecke des Corso seinen Tisch aufstellte, zwei Wachslichter und zwei
Salonlampen anzündete und eine Menge Schachteln mit Wichse nebst ge¬
schriebenen Zeugnissen auskramte, hörten die Römer stundenlang seinem wort¬
reichen Vortrage zu. Bald spendete der Redner der della Iwlia und ihren
uomini Ain8tri in schwungvollen Wendungen seine Verehrung, bald traf
den fleckenmachenden und löchersressenden Vitriol der Blitz seiner Verachtung-
These und Antithese drängten einander. Des Redners Augen funkelten, er
warf einem bereit stehenden Famulus den Mantel, dann den Shawl, endlich
auch die Halsbinde zu und gerieth zuletzt, trotz aller Vornehmheit seiner
Sprache, in solches Feuer, daß er sich an den gaffenden Straßenjungen, die
ihn umdrängten, vergriff und am Ende den gutmüthigsten der erwachsenen
Zuschauer nöthigte, seinen Fuß und Stiefel eine Viertelstunde lang in un¬
bequemster Stellung der Wichsprobe des Chemico Parlati Preis zu geben.

Minder zahlreich ist die Zuhörerschaft der am Charfreitag in Rom und
an vielen andern Tagen in Neapel im Freien predigenden Mönche. Aber
auch in diesem Kreise gibt es manch eignes Bild. Unversehens wird da z.
dem Pantheon gegenüber ein Tisch aus die Straße getragen, oder eine Kiste
umgewendet, und nun kommt aus dieser improvisirten Kanzel ein Jesuit oder


dore Dulcamare steht nicht allenthalben mehr im Flor, aber wo er noch sein
Handwerk treibt, wird der Künstler seinen Bleistift sicher nicht umsonst gespitzt
haben. Auf der Piazza del Gran Duca in Florenz sahen wir den Dotiere
Terenzio vom Wagen herab seine Medicamente anpreisen. Es war eigentlich
nur eins, natürlich purgirender Wirkung, half aber gegen alle Uebel der
Welt, und eine große Mappe von Certificaten, welche Terenzio'unablässig in
die Höhe hob und vom Winde durchblättern ließ, bekehrte jeden Unglauben.
Lange Manschetten und Jabot, ein ungeheurer Castor auf dem gekräuselten
Haar, eine Fülle von Instrumenten aller Art, sämmtlich aus ungefährlichen
Fischbein, dazu eine mit unermüdlichen Lungen bewaffnete Beredtsamkeit —
zerstreuten alle Zweifel an der Unfehlbarkeit des kostbaren Universalmittels,
und so theilnahmlos Michel AngeloS David, Cellinis Perseus und Göttlings
vermeinte Thusnelda von ihren Postamenten auf diesen Wunderdoctor eines
nachgebornen Geschlechts herabblickten, so begierig lauschte die Volksmasse den
Anpreisungen deS großen Mannes.

Leider sind die weit minder gefährlichen Improvisatoren fast in ganz Ita¬
lien verschwunden. Selbst in Venedig, der Stadt „allwo man geflügelte
Löwen göttlich verehrt," findet man keine mehr. Ihre Kunst wird sich nicht
leicht von neuem ins Leben rufen lassen, wenn das Verbot gegen sie noch
lange anhält. Fast ist man aber versucht, bei der Wohlredenheit so mancher
ambulanter Krämer an verkappte Jünger jener mißliebigen Zunft zu denken.
Wenn Abends nach dem Ave Maria der Chemico Parlati ti Venezia an
einer Ecke des Corso seinen Tisch aufstellte, zwei Wachslichter und zwei
Salonlampen anzündete und eine Menge Schachteln mit Wichse nebst ge¬
schriebenen Zeugnissen auskramte, hörten die Römer stundenlang seinem wort¬
reichen Vortrage zu. Bald spendete der Redner der della Iwlia und ihren
uomini Ain8tri in schwungvollen Wendungen seine Verehrung, bald traf
den fleckenmachenden und löchersressenden Vitriol der Blitz seiner Verachtung-
These und Antithese drängten einander. Des Redners Augen funkelten, er
warf einem bereit stehenden Famulus den Mantel, dann den Shawl, endlich
auch die Halsbinde zu und gerieth zuletzt, trotz aller Vornehmheit seiner
Sprache, in solches Feuer, daß er sich an den gaffenden Straßenjungen, die
ihn umdrängten, vergriff und am Ende den gutmüthigsten der erwachsenen
Zuschauer nöthigte, seinen Fuß und Stiefel eine Viertelstunde lang in un¬
bequemster Stellung der Wichsprobe des Chemico Parlati Preis zu geben.

Minder zahlreich ist die Zuhörerschaft der am Charfreitag in Rom und
an vielen andern Tagen in Neapel im Freien predigenden Mönche. Aber
auch in diesem Kreise gibt es manch eignes Bild. Unversehens wird da z.
dem Pantheon gegenüber ein Tisch aus die Straße getragen, oder eine Kiste
umgewendet, und nun kommt aus dieser improvisirten Kanzel ein Jesuit oder


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[0320] dore Dulcamare steht nicht allenthalben mehr im Flor, aber wo er noch sein Handwerk treibt, wird der Künstler seinen Bleistift sicher nicht umsonst gespitzt haben. Auf der Piazza del Gran Duca in Florenz sahen wir den Dotiere Terenzio vom Wagen herab seine Medicamente anpreisen. Es war eigentlich nur eins, natürlich purgirender Wirkung, half aber gegen alle Uebel der Welt, und eine große Mappe von Certificaten, welche Terenzio'unablässig in die Höhe hob und vom Winde durchblättern ließ, bekehrte jeden Unglauben. Lange Manschetten und Jabot, ein ungeheurer Castor auf dem gekräuselten Haar, eine Fülle von Instrumenten aller Art, sämmtlich aus ungefährlichen Fischbein, dazu eine mit unermüdlichen Lungen bewaffnete Beredtsamkeit — zerstreuten alle Zweifel an der Unfehlbarkeit des kostbaren Universalmittels, und so theilnahmlos Michel AngeloS David, Cellinis Perseus und Göttlings vermeinte Thusnelda von ihren Postamenten auf diesen Wunderdoctor eines nachgebornen Geschlechts herabblickten, so begierig lauschte die Volksmasse den Anpreisungen deS großen Mannes. Leider sind die weit minder gefährlichen Improvisatoren fast in ganz Ita¬ lien verschwunden. Selbst in Venedig, der Stadt „allwo man geflügelte Löwen göttlich verehrt," findet man keine mehr. Ihre Kunst wird sich nicht leicht von neuem ins Leben rufen lassen, wenn das Verbot gegen sie noch lange anhält. Fast ist man aber versucht, bei der Wohlredenheit so mancher ambulanter Krämer an verkappte Jünger jener mißliebigen Zunft zu denken. Wenn Abends nach dem Ave Maria der Chemico Parlati ti Venezia an einer Ecke des Corso seinen Tisch aufstellte, zwei Wachslichter und zwei Salonlampen anzündete und eine Menge Schachteln mit Wichse nebst ge¬ schriebenen Zeugnissen auskramte, hörten die Römer stundenlang seinem wort¬ reichen Vortrage zu. Bald spendete der Redner der della Iwlia und ihren uomini Ain8tri in schwungvollen Wendungen seine Verehrung, bald traf den fleckenmachenden und löchersressenden Vitriol der Blitz seiner Verachtung- These und Antithese drängten einander. Des Redners Augen funkelten, er warf einem bereit stehenden Famulus den Mantel, dann den Shawl, endlich auch die Halsbinde zu und gerieth zuletzt, trotz aller Vornehmheit seiner Sprache, in solches Feuer, daß er sich an den gaffenden Straßenjungen, die ihn umdrängten, vergriff und am Ende den gutmüthigsten der erwachsenen Zuschauer nöthigte, seinen Fuß und Stiefel eine Viertelstunde lang in un¬ bequemster Stellung der Wichsprobe des Chemico Parlati Preis zu geben. Minder zahlreich ist die Zuhörerschaft der am Charfreitag in Rom und an vielen andern Tagen in Neapel im Freien predigenden Mönche. Aber auch in diesem Kreise gibt es manch eignes Bild. Unversehens wird da z. dem Pantheon gegenüber ein Tisch aus die Straße getragen, oder eine Kiste umgewendet, und nun kommt aus dieser improvisirten Kanzel ein Jesuit oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/320>, abgerufen am 01.09.2024.